Wird es auch zukünftig ein Spectaculum in Oberwesel geben? Oder droht der beliebten Veranstaltung nach 40 Jahren das Aus? Diesen elementaren und weitreichenden Fragen musste sich der verantwortliche Verein zur Erhaltung mittelalterlichen Brauchtums in Oberwesel stellen. Das Ergebnis seiner Versammlung am Donnerstagabend: Das Spectaculum ist Geschichte. Die Veranstaltung wird es in Zukunft nicht mehr geben.
„Es sind die Auflagen, die kaum noch zu stemmen sind – weder organisatorisch noch finanziell“, sagt Joachim Fladl. Seit 25 Jahren ist er im Verein aktiv, seit zehn Jahren ist er Vorsitzender. „Ich habe Verantwortung übernommen, weil ich sozusagen vom Fach bin“, sagt er. Denn seit 1989 ist er bereits als Jo, der Gaukler auf vielen Burgen, Mittelalterfesten und Märkten unterwegs. Sie alle hätten es mittlerweile schwer, weiß er, die Auflagen würden seit Jahren immer höher.
„Es sind die Auflagen, die kaum noch zu stemmen sind – weder organisatorisch noch finanziell.“
Joachim Fladl, Vorsitzender des Vereins
„Wir haben in Oberwesel einen der authentischsten Mittelaltermärkte Deutschlands“, ist Fladl sicher. Das würden die zunehmenden Auflagen jedoch zunichtemachen. Denn von der ursprünglichen Stimmung bliebe nach ihrer Umsetzung nichts mehr übrig, sagt er. Nach dem aktuell notwendigen Sicherheitskonzept sei etwa kein Stroh mehr als Dekoration in den pittoresken Gassen und an den Ständen erlaubt – aus Brandschutzgründen.

Eintauchen in das Jahr 1260: Spectaculum Oberwesel begeistert noch bis Pfingsmontag
Oberwesel. Trotz eines regnerischen Starts am Samstag herrscht bereits zu Beginn des Spectaculums in Oberwesel allerbeste Stimmung. Denn weder einem wahren Ritter noch der feinsten Edeldame können so ein paar Tropfen etwas anhaben.
Zudem müssten alle Dekostoffe – etwa die Baldachine, Stoffe einiger Marktstände oder auch die unzähligen Fahnen, die die Stadt schmücken – in einem Brandschutzmittel getränkt werden, damit sie nur schwer entflammbar sind. „Die Fahnen sind dann steif wie Bretter und wehen nicht mehr“, sagt Fladl. Zudem sei unklar, wie das überhaupt umzusetzen wäre. „Wir bräuchten etliche Badewannen voll von dieser Flüssigkeit“, sagt er. „Und wie sieht der Transport aus? Werden die vorher getrocknet oder bringen wir die nass aufs Gelände? Das ist alles ein riesiger Aufwand“, ist der Vorsitzende sicher. Er weiß aber auch: „Ohne diese Deko, ohne Stroh und ohne Fahnen, ist das Spectaculum nicht mehr das Spectaculum.“ Das sei einer der Kernpunkte, die den Verein beschäftigten. Denn der Vorsitzende ist sicher, dass die vielen Besucher ausblieben, gebe es die einzigartige Atmosphäre nicht mehr.

Diese Einschätzung teilten am Donnerstagabend auch die 55 Mitglieder, die zur Versammlung gekommen waren. „Die Entscheidung fiel schweren Herzens, aber mehr oder weniger einstimmig“, berichtet Fladl von dem Treffen. Fehle das gewohnte Ambiente, würden die Besucher enttäuscht, sind die Vereinsmitglieder nach dem rund zweieinhalbstündigen Austausch sicher.
Die Besucherzahlen seien in den vergangenen Jahren ohnehin rückläufig gewesen, sagt Fladl. „Nach Corona haben sie sich halbiert und seither nicht mehr so wirklich erholt“, sagt er. Trotzdem müssten sie – so sieht es das Sicherheitskonzept vor – ständig erfasst werden. „Damit im Notfall klar ist, wie viele Menschen evakuiert werden müssten“, erklärt der Vorsitzende. Diese Erfassung sollte personell und per Kameras erfolgen. Zudem sollte das Festgelände in der Stadt in mehrere Sektoren eingeteilt werden. Jeder Sektor müsse von je einem Sicherheitsmann im Blick behalten werden und das quasi rund um die Uhr. Zu gewährleisten, dass jedes Gebäude von Feuerwehr samt Rettungsleiter anfahrbar ist, hätte zudem Auswirkungen auf die Anzahl der Stände gehabt.
„Die Mitglieder waren einig, dass wir das Vereinsvermögen lieber in zukunftsträchtigere Veranstaltungen investieren.“
Joachim Fladl, Vorsitzender des Vereins
All das bedeute für den Verein enorme Kosten und einen enormen personellen Aufwand. „Für das Sicherheitskonzept haben wir einen Kostenvoranschlag über 21.000 Euro vorliegen“, berichtet der Vorsitzende. Das Ingenieurbüro sei so fair und habe angeboten, diese Kosten auf drei Spectaculumsveranstaltungen aufzuteilen. So entstünden Kosten in Höhe von 7000 Euro pro Spectaculum der kommenden Jahre. Doch dabei bliebe es nicht. „Das Konzept müsste jedes Mal neu angepasst werden auf neue Vorgaben, es müsste ständig aktualisiert und erweitert werden und würde so Folgekosten verursachen“, sagt Fladl. Diese Kosten aber könne der Verein kaum stemmen – gerade mit Blick auf sinkende Besucherzahlen.
Eine weitere Herausforderung seien versicherungstechnische Angelegenheiten. Da das Festgelände in der Stadt abends allein mit Kerzenlicht beleuchtet ist, müsse der Verein Messungen der Beleuchtungsstärke (Lux) vornehmen. „Denn hier ist die Frage, wer haftet, wenn ein Besucher aufgrund der Lichtverhältnisse stolpert“, erklärt der Vereinsvorsitzende. Wäre die Kerzenbeleuchtung dunkler als vorgeschrieben, müsse der Verein zahlen. Haftet er aber auch, wenn etwa Standbetreiber Stroh als Deko nutzen? Hat der Verein hier eine Kontrollpflicht? „Das sind Fragen, die hätten geklärt werden müssen“, sagt Fladl.

Wir regulieren unsere Feste zu Tode
Es ist ein herber Verlust, dass das Spectaculum Oberwesel nicht mehr stattfinden soll. Und es macht deutlich: Wir regeln uns zu Tode.
In einer Haftungssache seien dem Verein die Stadt Oberwesel und die Verbandsgemeinde Hunsrück-Mittelrhein bereits entgegengekommen: „Beide sind sehr bemüht, uns zu unterstützen und haben sich schon dafür ausgesprochen, dass sie haften, wenn im Umleitungsbereich etwas passiert.“ Denn die Versicherung des Vereins trage nur Kosten für Vorfälle, die sich innerhalb des Festgeländes ereigneten. Theoretisch aber hafte der Veranstalter auch, wenn etwa ein Unfall aufgrund der weiträumigen Umleitungen passiere. „Da aber der Bauhof die Schilder aufstellt, unterstützen uns die Kommunen dort“, ist Fladl froh.

Diese Unterstützung aber ist mit der Entscheidung, das Spectaculum nicht mehr zu veranstalten, nichtig. Die Kosten für das Sicherheitskonzept, der hohe Aufwand, die sinkenden Besucherzahlen und die Veränderung des Fests, die die Vorgaben mit sich gebracht hätten, will und kann der Verein nicht stemmen. „Die Mitglieder waren einig, dass wir das Vereinsvermögen lieber in zukunftsträchtigere Veranstaltungen investieren“, sagt Fladl.
Wie diese aussehen, stehe aber noch in den Sternen. „Wir wollen jetzt Ideen sammeln und diese bis Ende des Jahres auswerten“, sagt er. Sicher sei, dass sie – wie es der Name des Vereins bereits deutlich macht – etwas mit dem Mittelalter zu tun haben sollen. Fladl könne sich etwa einen Sänger- oder Gauklerwettstreit vorstellen. Doch nun sind erst einmal die Vereinsmitglieder gefragt. „1985 gab es das erste Spectaculum. Vielleicht ist es nach 40 Jahren ja auch ein guter Zeitpunkt, etwas Neues zu machen“, sagt Fladl. „Wenn’s auch wehtut.“