Historienfest In der Stadt am Mittelrhein steigt zu Pfingsten wieder das Spectaculum - Eine Zeitreise ins Jahr 1418
Spectaculum im Mai: Oberwesel fällt zurück ins Mittelalter
Ritter und Edelleute tummeln sich wieder in den Oberweseler Gassen, wenn zu Pfingsten das mittelalterliche Spectaculum steigt. Sowohl Kenner der Epoche als auch neugierige Laien kommen auf ihre Kosten. Archivfoto: Werner Dupuis
Werner Dupuis

Oberwesel. An Pfingsten ist es wieder soweit: Was auf die heutige Zeit hinweist, wird in Oberwesel mit Säcken, Leinen oder Tüchern verhüllt. Keine Reklame, Garageneinfahrt, kein Verkehrsschild soll die historische Kulisse beeinträchtigen. Spätestens wenn die Geldautomaten wieder mit Dukatenscheißerschildern in gotischen Lettern kaschiert werden, weiß jeder Bescheid: Das mittelalterliche Spectaculum beginnt. Die Oberweseler feiern es traditionell alle zwei Jahre zu Pfingsten. Tausende Besucher pilgern deshalb an den Mittelrhein. In diesem Jahr von Samstag bis Montag, 19. bis 21. Mai..

Tausende Besucher lassen sich ins Jahr 1418 zurückversetzen

Wer an Pfingsten nach Oberwesel reist, unternimmt eine Zeitreise in das Jahr 1418 und erfährt, wie es sich vor 600 Jahren lebte – unter der Herrschaft des Siegmund von Luxemburg, der sich durch die Verbrennung von Jan Hus den Zorn der Böhmen auf sich gezogen hatte. Immer noch litten die Weseler unter dem verhassten Kurfürsten, dem Trierer Erzbischof Werner von Falkenstein. Weil sie ihm nicht huldigen wollten, führte er 1390/91 Krieg gegen sie und setzte erstmals in Europa Feuerwaffen ein.

Die „Stadt der Türme und des Weines“ im Welterbe Oberes Mittelrhein-Tal verzaubert seine Besucher mit dem dreitägigen Fest, das sich durch seine Originalität bis ins kleinste Detail von den zahlreichen Mitbewerbern abhebt. Elektrizität ist weitgehend tabu: Galgen mit eigens geschmiedeten Leuchtern und mehr als 2000 selbst gegossenen Kerzenbechern ersetzen die Straßenbeleuchtung. Tausende von flackernden Lichtern tauchen die Stadt abends in einen gespenstischen Schein.

Jegliche Art von Kunststoffen, Plastikgeschirren, Papptellern und Papierservietten sind auf dem Festgelände strikt verboten, da sie Erfindungen der Neuzeit sind. Das gleiche gilt für Kartoffeln, Fast-Food, Flaschen oder Dosen. Die Standbetreiber offerieren Essen wie im Mittelalter nach alten Rezepten. Und dabei kann es auch mal derb zugehen: Rülpsen und Furzen – beispielsweise nach einem kräftigen Stück Wildbrett – waren im Mittelalter durchaus statthaft.

Wer eine „Toilette“ sucht, wird auf dem Spectaculum nicht fündig werden. Für das Verrichten der Notdurft sollten die Gäste stattdessen dem Hinweis „Donnerbalken“ folgen. Armbanduhren oder Handys sollten die Teilnehmer – wenn überhaupt nötig – nur völlig verdeckt tragen. Bei Brillen drücken die Veranstalter aus Sicherheitsgründen ein Auge zu.

Volles Programm mit Musik, Vorführungen und Ritterstunts

Die Gäste erwartet an den drei Tagen ein volles Programm: Nachdem in früheren Jahren die bekannten Mittelaltercombos Corvus Corax und In Extremo auf der Bühne standen, bereichert zum siebten Mal die Gruppe Furunkulus das Fest. Zudem empfehlen sich erstmals die Formationen Des Wahnsinns fette Beute und Fatzwerk.

Für eine gehörige Portion Wirbel sorgen Ritter-Stunts, bei denen sich die Schwertkämpfer der Söldner zu Cöln und der Freien Halunken streiten. Das große Ritterlager in den Rheinanlagen komplettiert mit seinem mittelalterlichen Lagerleben das Fest. Feuerspeier, Gaukler und Narren, Stelzenläufer, Jongleure und Zauberer sorgen für viel Kurzweil.

Chnutz von Hopfen ergänzt die Gaukelei mit Geschichten. Ein Figurentheater und Max Gaudios Schmierentheater, die Damscheider Theatergruppe und das Kinderpuppentheater im Ratskeller warten auf ihr junges Publikum. Weitere Attraktionen für Kinder sind eine Spielgasse, ein Streichelzoo und ein Scriptorium, in dessen Schreibstube sie fleißig üben dürfen.

Ob Steinmetze, Lehmbauer, Drechsler, Schieferspalter, Stellmacher, Waffenschmiede, Bierbrauer, Seilmacher, Salzsieder, Löffelschnitzer, Laternenmacher, Weinschröter oder Töpfer – auch die Vielfalt mittelalterlichen Handwerks ist vom Spectaculum nicht wegzudenken. In der Schmiede des Eberbacher Hofs, 1312 bereits urkundlich erwähnt, wird kräftig gehämmert, während nebenan das große Lastenrad von Kindern unter Aufsicht in Betrieb gesetzt werden kann. Das Fest findet statt vor der ohnehin alte Kulisse der Stadtmauern, deren Restaurierung teilweise von den Erlösen des Spectaculums mitfinanziert wurde.

Für das leibliche Wohl sorgen Winzer und Wirte. Traditionell steht der Sonntag im Zeichen eines festlichen Hochamtes in der Liebfrauenkirche, es marschieren die Teilnehmer auf das Festgelände ein. Die Landvögte, Landrat Marlon Bröhr und VG-Bürgermeister Thomas Bungert sowie der Stadt-Schultheiß alias Stadtbürgermeister Jürgen Port verkünden im Namen des Herzogs Stephan von Simmern-Zweibrücken die Regularien.

Mit der Bahn oder dem Schiff direkt zum Festgelände

Keine 200 Meter trennen den Oberweseler Bahnhof vom Eingang zum Festgelände am Haags Turm. Für die Anfahrt entlang des Rheines bietet sich der Schienen- und Schiffsverkehr an. Samstag und Sonntag verlängert die Fähre von Sankt Goar ihren Dienst bis kurz vor Mitternacht, damit auch die rechtsrheinischen Mittelalterfans auf ihre Kosten kommen.

Bis „Schwertgröße 150“ – also bis zum vollendeten 14. Lebensjahr – ist beim Oberweseler Spectaculum der Eintritt frei. Wer älter ist, zahlt für eine Tageskarte 14 Euro. Dafür werden zwölf Stunden mittelalterliche Aktivitäten auf mehreren Schauplätzen geboten. Ein Tonbecher mit Schönburger Wappenmotiv ist im Eintrittspreis enthalten

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