Stadtrat Ärztemangel steht im Raum: Junge Mediziner sollen von einem Förderprogramm mit bis zu 30 000 Euro profitieren
Simmern kämpft um die ärztliche Versorgung: Mediziner sollen von einem Förderprogramm mit bis zu 30.000 Euro profitieren
Die Simmerner Hausärzte Dr. Victor Cordes (von links) und Dr. Hans-Josef Sehn haben den Stadtrat auf den drohenden Ärztemangel aufmerksam gemacht. Rat und Bürgermeister Andreas Nikolay haben deshalb eine neue Förderrichtlinie für Mediziner auf den Weg gebracht. Foto: Werner Dupuis
Werner Dupuis

Simmern. Die Stadt Simmern hat eine „Richtlinie zur Stärkung der ärztlichen Versorgung im Mittelzentrum Simmern“ verabschiedet. Damit stemmt sich die Kreisstadt gegen eine drohende Untervorsorgung im medizinischen Bereich.

Denn die derzeitige Altersstruktur in der Ärzteschaft bereitet Bürgermeister Andreas Nikolay und dem Stadtrat einiges Kopfzerbrechen: Von sechs niedergelassenen Hausärzten haben fünf bereits das 60. Lebensjahr überschritten – und mögliche Nachfolger geben sich nicht gerade die Klinke in die Hand. Simmern kämpft, wie bundesweit andere ländliche Region auch, um den medizinischen Nachwuchs. Immer weniger junge Mediziner zieht es aufs Land. Viele setzen andere Prioritäten, trotz sicherlich nach wie vor vorhandener guter Verdienstmöglichkeiten. Urbane Zentren bieten dem ärztlichen Nachwuchs ein wesentlich größeres Freizeitangebot. Die Ärzteschaft wird dazu immer weiblicher – und viele Medizinerinnen setzen verstärkt auf die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, was mit dem klassischen Hausarztmodell nur schwer zu vereinbaren ist.

Nicht zuletzt legen viele junge Mediziner großen Wert auf die sogenannte Work-Life-Balance, also das Verhältnis zwischen Freizeit und beruflicher Tätigkeit. Dazu kommt: Junge Ärzte scheuen oft das wirtschaftliche Risiko, das mit einer eigenen Praxis mit angestelltem Personal und teureren medizinischen Geräten verbunden ist. Deshalb wird es für ländliche Regionen in der ganzen Republik – von Mecklenburg-Vorpommern bis ins Allgäu – immer schwieriger, frei werdenden Hausarztplätze noch zu besetzen. Ein Trend, der sich auch bei den Fachärzten deutlich abzeichnet.

Länder und Kommunen kämpfen mittlerweile mit unterschiedlichen Ansätzen um „ihre“ Ärzte: Das reicht von Stipendien für Studenten, die sich verpflichten, sich auf dem Land für mehrere Jahre niederzulassen bis zur großzügigen finanziellen Förderung, um so das wirtschaftliche Risiko ein Stück weit zu minimieren.

Für letzteres hat sich nun auch die Stadt Simmern mit ihrer neuen Richtlinie entschieden. Sie wird künftig junge Ärzte, die sich in der Kreisstadt niederlassen wollen, mit bis zu 30.000 Euro unter die Arme greifen. Das hat der Stadtrat einstimmig bei zwei Enthaltungen so beschlossen.

„Wir müssen und wollen die ärztliche Versorgung in Simmern sicherstellen“, betont Stadtchef Nikolay. „Das ist ein Thema, das dem Stadtrat und mir persönlich sehr am Herzen liegt.“ Deshalb haben die Kommunalpolitiker in enger Abstimmung mit den Simmerner Ärzten diese neue Richtlinie erlassen. Ins Rollen gebracht hat das Tema die „Zentrale Zukunftswerkstatt zur Sicherung der hausärztlichen Versorgung“ des rheinland-pfälzischen Gesundheitsministeriums. Hier hat sich der Simmerner Hausarzt Dr. Hans Josef Sehn sehr engagiert (wir berichteten).

Viele Hausärzte haben das 60. Lebensjahr überschritten

Mit weiteren Kollegen aus der Kreisstadt wurden mehrere Gespräche mit dem Stadtrat geführt, die kreisstädtischen Kommunalpolitiker für den drohenden Ärztekollaps sensibilisiert. Ein Ergebnis des Austauschs dürfte das geplante Ärztehaus auf dem Areal des mittlerweile abgerissenen Herbstreuter-Gebäudes in der Nähe des Kandelabers sein. Doch die jetzt verabschiedete Richtlinie soll ausdrücklich keine „Lex-Ärztehaus“ (so SPD-Fraktionssprecher Friedhelm Schüler) sein. Deshalb wurden auch Gedankenspiele, die Förderung nur auf das Gebiet der Innenstadt zu beschränken, wieder verworfen. Jeder Arzt, der eine Hausarzt- oder Facharztpraxis innerhalb der Stadtgrenzen übernimmt, soll in den Genuss der Fördermittel kommen. Mit finanziellen Hilfen soll dem medizinischen Nachwuchs die Nachfolge schmackhaft gemacht und dessen wirtschaftliches Risiko minimiert werden. Die Stadt möchte so günstige Rahmenbedingungen für junge Ärzte schaffen.

Mit Fördermitteln können Mediziner planen, die sich neu in der Kreisstadt niederlassen oder eine bestehende Praxis übernehmen, wobei dort die Kassenärztliche Vereinigung das gewichtigste Wörtlein mitzureden hat. Sie entscheidet letztlich über die Zahl der Haus- und Facharztsitze.

Die Stadt gewährt künftig – zunächst befristet auf drei Jahre – jedem neuen Haus- oder Facharzt finanzielle Zuwendungen in Höhe bis zu 30.000 Euro. Voraussetzung ist, dass sich der Mediziner dazu verpflichtet, für mindestens fünf Jahre eine Praxis in der Kreisstadt zu betreiben.

Sollten von anderer Seite noch Fördermittel fließen, verringert sich der Betrag entsprechend. Eine Doppelförderung soll damit ausgeschlossen werden. Bürgermeister Nikolay unterstrich in der Stadtratssitzung, dass die Richtlinie vom Gemeinde- und Städtebund abgesegnet wurde und jeder juristischen Prüfung standhält. Die Fördergelder müssen bei der Stadt beantragt und vom Stadtrat genehmigt werden.

Medizinier und Stadtrat arbeiten Hand in Hand

„Für die Menschen in unserer Region wird es immer schwerer, einen Hausarzt zu finden“, erläutert Nikolay. „Alle Hausarztsitze der Kassenärztlichen Vereinigung sind derzeit zwar besetzt, aber bis auf einen sind alle Hausärzte bereits über 60 Jahre alt. Deshalb wollen wir frühzeitig Förderanreize schaffen, bevor die Ärzte in den Ruhestand gehen. Der Stadtrat hat großen Wert darauf gelegt, dass die Förderung nicht nur für Allgemeinmediziner, sondern auch für Kinderärzte, Gynäkologen und sonstige Fachärzte im gesamten Stadtgebiet gilt. Wir betrachten das als einen hervorragenden Beitrag zur Stärkung des Gesundheitsstandortes Simmern.“ Nikolay nennt einen aktuellen Fall: Kinderärztin Ursula Reichardt möchte bald in den Ruhestand treten und sucht einen Nachfolger, der ihre Praxis übernimmt.

Der Bürgermeister unterstreicht, dass sich der Stadtrat zuvor ausführlich mit den heimischen Ärzten beraten hat und bedankt sich ausdrücklich für deren Engagement. „Ein ganz großer Ratgeber war dabei Dr. Hans Josef Sehn, der sich sehr viel Zeit für uns genommen hat. Auch der Beigeordnete Michael Becker war mit großem Engagement dabei. Wir haben uns über die Problematik ausführlich mit unseren Ärzten abgestimmt.“

Der Simmerner Hausarzt Dr. Victor Cordes bestätigt: „Wir haben uns Gedanken über attraktive, lebensfähige und die Zukunft gestaltende Strukturen gemacht, mit denen wir die hausärztliche Versorgung in die Hände jüngerer Kollegen legen können. Die Stadt gibt ihnen mit ihrer Förderung und Zusammenarbeit den Mut, die Zukunft zu gestalten. Die finanzielle Unterstützung bei der Niederlassung entspricht dem Wunsch vieler Ärzte und ist eines der Ergebnisse der Zukunftswerkstatt.“

Ins gleiche Horn stößt sein Hausarztkollege Sehn. „Die Richtlinie ist sehr gut durchdacht und ich bin dankbar, dass alle Fraktionen in Stadtrat das Problem erkannt haben. Dafür mussten wir erst einmal das Bewusstsein schaffen. Für eine gute medizinische Versorgung brauchen wir die entsprechende Infrastruktur – fehlt einem Ort erst der Arzt, dann stirbt der Ort aus. Deshalb ist es auch so wichtig, dass sich hier die Stadt engagiert und einbringt.“

Informationen über die Fördermöglichkeiten gibt es beim Stadtbürgermeister unter Telefon 06761/837300.

Von unserem Redakteur Markus Lorenz

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