Jubiläum in Nannhausen
Schmiedel feiert 175 Jahre soziales Engagement
Vorständin Rita Seeger freut sich über das 175-jährige Jubiläum des Schmiedels und die damit verbundenen Feierlichkeiten.
Lara Kempf

Vom Rettungshaus zur vielseitigen sozialen Organisation: Der Schmiedel in Nannhausen zelebriert in diesem Jahr sein 175-jähriges Jubiläum. Doch wie hat sich der Verein im Laufe der Jahre gewandelt? Und was ist für die Zukunft noch geplant?

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Gegründet, um die soziale Not Mitte des 19. Jahrhunderts zu lindern, hat sich der Schmiedel in Nannhausen im Laufe der Jahre deutlich gewandelt. Von einem Rettungshaus für verwahrloste Kinder entwickelte er sich zu einer sozialen Organisation, die Kinder, Jugendliche, Familien und Menschen mit Beeinträchtigung unterstützt. In diesem Jahr feiert er sein 175-jähriges Bestehen. Doch was hat sich in den vergangenen Jahrzehnten verändert und was macht den Schmiedel heute aus?

„1850 hat der Schmiedel die Tür für das erste Kind geöffnet, und das tut er heute noch immer. Wir bieten Hilfe und eine starke, lebenswerte, menschliche Gemeinschaft“, beschreibt Rita Seeger, Vorständin des Schmiedels, die seit 175 Jahren bestehende Philosophie der sozialen Einrichtung. Trotzdem haben sich der Aufbau und die Schwerpunktthemen von 1850 bis heute deutlich gewandelt.

Gemarkung gibt Verein seinen Namen

Inspiriert von dem deutschen Theologen Johann Hinrich Wichern, der auch die Rettungshausbewegung in Deutschland anstieß, gründete Pfarrer Julius Reuß aus Simmern 1849 zusammen mit evangelischen Bürgern ein „Rettungshaus für Kinder aus verwahrlosten Verhältnissen“. Grund war die soziale Not, die in dieser Zeit im Hunsrück herrschte. Damit war der Verein kirchlichen Ursprungs.

1850 wurde der Forstdistrikt „Auf dem Schmiedel“, der dem Verein noch heute seinen Namen gibt, erworben und die ersten zwei Kinder zogen ein. 1851 wurde das Mutterhaus eingeweiht. Um die religiöse Bildung zu fördern und Kinder aus nicht evangelisch geprägten Gebieten auf die Konfirmation vorzubereiten, wurden sie ab 1857 für jeweils ein Jahr dort aufgenommen. Damit entstand auf dem Schmiedel zusätzlich die Konfirmandenanstalt.

1994: Eingliederungshilfe wird Teil des Angebots

Durch den Staat wurden die bisherigen Einrichtungen 1939 zum „Kinderheim auf dem Schmiedel“ zusammengefasst. Seit 1960 lebten auf dem Schmiedel nicht mehr ausschließlich Waisen, sondern familienlose Kinder im weitesten Sinn – darunter zum Beispiel uneheliche oder missbrauchte Kinder. In den folgenden Jahren wurden erste Versuche gestartet, junge Menschen auch außerhalb von Einrichtungen betreut wohnen zu lassen.

„Mit dem Inkrafttreten des Kinder- und Jugendhilfegesetzes in den 1990ern wurde klar, dass wir keinen rein konfessionellen Auftrag mehr verfolgen, sondern einen staatlichen“, erklärt Seeger. Es wurde mit dem Ziel eingeführt, die Kinder- und Jugendhilfe von einer kontroll- und eingriffsorientierten zu einer angebots- und hilfeorientierten Ausrichtung zu verändern.

Auch um erwachsene Menschen mit Beeinträchtigung kümmert sich der Schmiedel seit 1994. Grundgedanke war die Eröffnung eines Wohnheims für Menschen mit Beeinträchtigungen. Dies geschah 1998 mit dem Julius-Reuß-Wohnheim in Kastellaun, heute bekannt als das Julius-Reuß-Zentrum. Seit 2007 ermöglicht die Einrichtung zudem benachteiligten Jugendlichen, eine Berufsausbildung zu absolvieren und sich auf die Berufswelt vorzubereiten.

Schmiedel hat drei verschiedene Geschäftsfelder

Die Organisation beschäftigt heute rund 230 Mitarbeiter. In den drei verschiedenen Geschäftsfeldern kümmern sie sich täglich um die Belange von Kindern, Jugendlichen, Familien sowie beeinträchtigten Menschen. Die Kinder-, Jugend- und Familienhilfe bietet Wohngruppen für Kinder, Jugendliche, aber auch ganze Familiensysteme. „Das Jugendamt bewertet die Situation in den Familien und wir bieten die Kapazitäten, um Unterstützung zu leisten“, sagt die Vorständin. Die Wohngruppen für Kinder und Jugendliche unterschiedlichen Alters befinden sich teilweise auf dem Stammgelände in Nannhausen, teilweise aber auch im ganzen Rhein-Hunsrück-Kreis verteilt. Weitere Einrichtungen gibt es zum Beispiel in Kastellaun, Niederkumbd, Klosterkumbd, Kümbdchen, Belgweiler und Oppertshausen. Je nach Bedarf können die Kinder und Jugendlichen dort zwischen einigen Wochen und mehreren Jahren bleiben.

Zwei Familien-Eltern-Zentren bieten außerdem Platz für ganze Familiensysteme. Hier werden alleinerziehende Mütter oder Väter sowie Elternpaare mit Kindern unter sechs Jahren bei der Erziehung oder Problemen unterstützt. Im Erziehungshilfezentrum des Schmiedels leben Kinder ab sechs Jahren für einen befristeten Zeitraum. Während dieser Zeit findet eine intensive Zusammenarbeit mit Schule und Familie statt und es gibt ein familientherapeutisches Angebot. Zudem bietet der Schmiedel in diesem Bereich auch ambulante Angebote an.

Ein weiterer Höhepunkt in der Geschichte des Schmiedels: Der Spatenstich zum Kindergarten auf dem Schmiedel erfolgte im Jahr 2012.
Thomas Torkler

Die Evangelische Behindertenhilfe des Julius-Reuß-Zentrums bietet insgesamt 63 Plätze für Menschen mit Beeinträchtigung – davon sind fünf Gruppen der besonderen Wohnform in Kastellaun und eine Außenwohngruppe in Nannhausen angesiedelt. „Die Menschen, die dort wohnen, sind primär intellektuell, aber teilweise auch mehrfach beeinträchtigt“, betont Seeger.

Neben dem Wohnangebot gibt es auch noch das ambulante Angebot der „Aufsuchenden Assistenz“. Hier begleitet die Einrichtung beeinträchtigte Menschen, die so selbstständig sind, dass sie in einer eigenen Wohnung wohnen oder aber solche, die noch bei ihrer Familie wohnen, aber ausziehen wollen. „Als 1994 neben der Kinder-, Jugend- und Familienhilfe noch die Eingliederungshilfe dazu kam, war das ein Einschnitt – aber ein positiver“, findet die Vorständin.

Gute Zusammenarbeit des Leitungsteams

Der Bereich „Jugendliche und berufliche Bildung“ bildet das letzte und kleinste Geschäftsfeld des Schmiedels. Auf dem Stammgelände in Nannhausen können Jugendliche Praktika oder Berufsausbildungen in den Bereichen „Hauswirtschaft und Küche“ sowie „Gastronomie und Küche“ absolvieren. „Hier agieren wir als „Mini-Bildungsträger“. Wir wollen die jungen Leute an eine Beschäftigung heranführen“, sagt Seeger.

Seit 2006 arbeitet Seeger bereits beim Schmiedel, Vorständin ist sie jedoch erst seit Dezember 2018. Besonders positiv bewertet sie die Zusammenarbeit im Schmiedel-Leitungsteam mit der kaufmännischen Leitung, der Geschäftsbereichsleitung Kinder-, Jugend- und Familienhilfe sowie der Leitung des Geschäftsbereichs Evangelische Behindertenhilfe Julius-Reuß-Zentrum. „Wir haben einen guten Austausch und eine beteiligungsorientierte Führungskultur. Die einzelnen Bereiche werden immer miteinbezogen“, sagt Seeger.

Bau des Schmiedelparks war Meilenstein

Meilensteine in der Geschichte des Schmiedels waren die Schaffung neuer Angebote, wie beispielsweise des Bereichs Eingliederungshilfe oder die Eröffnung der Familienelternzentren. Auch der Bau des Schmiedelparks 2007 sowie der Bau des Bike-Parks 2002 gehörten dazu, so die Vorständin. Der Schmiedelpark, der an das Gelände des Schmiedels angrenzt, bietet ein Tiergehege, Spielgeräte sowie eine Wasserecke und ein Biotop. Er habe dazu beigetragen, dass nun auch Kinder gerne dorthin kommen. Denn vorher wurde der Schmiedel oft mit etwas Negativem assoziiert. „Früher wurde zu den Kindern oft gesagt: „Wenn ihr nicht lieb seid, kommt ihr auf den Schmiedel.“ Das ist natürlich Unsinn“, betont Seeger.

Obwohl sich der Tätigkeitsbereich des Schmiedels in den vergangenen Jahrzehnten verändert hat, sind die Probleme nicht kleiner geworden. Sie haben sich nur verschoben. „Früher hat Armut eine große Rolle gespielt. Heute gibt es innerfamiliäre Herausforderungen, weil Eltern beispielsweise nicht mehr so viel Zeit für ihre Kinder haben. Sie müssen immer mehr arbeiten, um ihnen ein gutes Leben zu ermöglichen oder schlichtweg die Miete zu bezahlen“, sagt die Vorständin.

Zukunftspläne: energetische Sanierung und neue Angebote schaffen

Um den Menschen in der Region auch in Zukunft die nötige Unterstützung bieten zu können, hat der Verein bereits Pläne, die er umsetzen möchte. Dazu gehört die energetische Sanierung einiger Gebäude unter dem Aspekt der Nachhaltigkeit sowie ein geplanter Ersatzbau für den Bereich der Eingliederungshilfe. Dort gibt es aktuell noch einige Doppelzimmer. Zukünftig soll es aber nur noch Einzelzimmer geben. „Für die Menschen, die dort leben, ist es ihr Zuhause. Deswegen wollen wir ihnen ihre Privatsphäre ermöglichen“, erklärt Seeger.

Im Bereich der Kinder-, Jugend- und Familienhilfe ist die größte Herausforderung, zeitgemäße Angebote zu schaffen, und sie den Bedarfen entsprechend weiterzuentwickeln. „Mit diesen Themen setzen wir uns kontinuierlich auseinander“, betont die Vorständin.

Programm der Jubiläumswoche

Die Jubiläumswoche des Schmiedels findet von Montag, 7. Juli, bis Freitag, 11. Juli, statt. Am Donnerstag, 10. Juli, findet ein Festakt mit geladenen Gästen statt. Mit dabei ist auch Alexander Schweitzer, der rheinland-pfälzische Ministerpräsident. Die ganze Woche über läuft ein Zirkusprojekt der Kinder-, Jugend- und Familienhilfe sowie des Julius-Reuß-Zentrums in Kooperation mit dem Circus Soluna. Dieses wird am Freitag, 11. Juli, beim großen Jubiläumsfest präsentiert. An diesem Tag findet auch ein Kunsthandwerkermarkt auf dem Gelände des Schmiedels in Nannhausen statt. Ein Dankesfest für alle Mitarbeiter wird es im Herbst dieses Jahres geben.

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