„Ein Boot noch, dann fangen wir an.“ Der Andrang ist erwartungsgemäß groß, die kleine Personenfähre im Dauereinsatz, als die Generaldirektion Kulturelles Erbe (GDKE) Rheinland-Pfalz am Sonntag, dem Unesco-Welterbetag, die Burg Pfalzgrafenstein der Öffentlichkeit präsentiert. Auf den ersten Blick sieht sie zwar aus wie immer aus, die malerische, mitten im Rhein gelegene Burg mit ihrem ganz besonderen, gleichermaßen rustikalen wie verspielten Flair, die zweifellos zu den meist fotografierten Gebäuden im Rheintal zählt. Doch in den vergangenen Jahren hat sich hier, von vielen weitestgehend unbemerkt, mächtig viel getan: 2016 ging eine umfangreiche Sanierung an den Start, die der Schönen auf der Insel unter anderem ein aufwendig erneuertes Dach und einen ebensolchen Mauerputz beschert hat.
So originalgetreu wie nur irgendwie möglich und unter Sicherung der erhaltensfähigen historischen Substanz erneuert, versteht sich. Denn, wie Thomas Metz, Generaldirektor Kulturelles Erbe, am Sonntag in seiner Eröffnungsansprache betonte: „Im Gegensatz zu anderen Bau- und Sanierungsvorhaben sollte man nach der Restaurierung historischer Denkmäler nicht unbedingt sehen, dass etwas gemacht wurde.“ Historische Denkmäler wie die Burg Pfalzgrafenstein würden vor allem die Geschichte der Menschen erzählen, die früher in der Region lebten, so der GDKE-Chef: „Diese Geschichte ist für viele von uns spannender als die Frage, ob dieser oder jener Gebäudeteil aus dem 13. oder irgendeinem anderen Jahrhundert stammt.“
Sie habe eigentlich geglaubt, die Pfalzgrafenstein zu kennen – und sie, angeregt von der Frage, was denn eigentlich das Besondere an dieser Burg sei, plötzlich dennoch in einem anderen Licht zu sehen begonnen, berichtete Dr. Angela Kaiser-Lahme, Direktorin Burgen Schlösser Altertümer bei der GDKE: „Eine Besonderheit liegt sicherlich darin, dass sie neben der Marksburg in Braubach die einzige vollständig erhaltene Burg im Oberen Mittelrheintal ist.“ Damit, Rundgänge in der sanierten Burg anzubieten, sei es im Übrigen nicht getan, betonte Kaiser-Lahme: „Damit sich die Besucher mit der Geschichte auseinandersetzen, müssen wir auf verschiedenen Ebenen Anreize schaffen.“ So verfügt die Pfalzgrafenstein jetzt über eine Art Theater, in dem man sich zum einen die historisch zwar nicht verbürgte, auf jeden Fall aber herzerweichende Geschichte der Pfalzgrafen- und Staufertochter Agnes und ihrer verbotenen Liebe zum Welpensohn Heinrich anhören kann, das zum anderen aber auch Schulklassen Raum bietet, sich der Geschichte in Rollenspielen zu nähern. Überhaupt kommt die in vielen Punkten überarbeitete Präsentation mit ihrem Audio-Guide, der sogar eine eigene Version für Kinder umfasst, ihren zahlreichen Anschauungsobjekten und interaktiven Angeboten höchst modern und ansprechend daher.
Doch auch was die finstere Seite der im 14. Jahrhundert von Ludwig dem Bayern erbauten und lange als „Zoll-Wachposten“ genutzten Pfalzgrafenstein betrifft, gibt es Neuigkeiten: Im Erdgeschoss des Hauptturms entdeckten die Fachleute ein lange Zeit offenbar vergessenes Verlies, in dem mindestens zehn Jahre lang der geistig verwirrte Brandstifter Michael Stimmel angekettet dahinvegetierte, und zwei darüber liegende Gefängnisräume, in denen bis zu 45 Kriegsgefangene, aber auch säumige Zoll-Zahler ihrer Freiheit beraubt waren. „Zum ersten Mal seit mehr als 60 Jahren sind alle Räume offen“, freute sich Angela Kaiser-Lahme, die noch von einer weiteren Überraschung zu berichten wusste: Beim Wandputz in der Kommandantenwohnung hat man weit mehr Schichten und unterschiedliche Farbvarianten gefunden als ursprünglich gedacht.
Logisch, dass bei so einem Projekt ohne Unterstützer gar nichts geht. „Wenn man ihn brauchte, war er da“, sagte Angela Kaiser-Lahme – und meinte damit Karl-Heinz Lachmann, dem sie zum Dank für sein Engagement während der Arbeiten einen mittelalterlichen „Privilegienbrief“ verlieh – mit der Folge, dass Lachmann kurz vor dem Ende seiner Zeit als Stadtbürgermeister nun endlich aus der Leibeigenschaft entlassen und ein freier Bürger Kaubs ist. Der Noch-Stadtchef seinerseits betonte, man habe gerne hingenommen, dass die Pfalzgrafenstein an den Blüchertagen grün eingedeckt gewesen sei: „Schließlich wussten wir, dass etwas Tolles dabei herauskommen würde.“
Wovon sich die Besucher anschließend ausgiebig selbst überzeugen konnten. Dazu gab es ein ausgesprochen pfiffiges Rahmenprogramm. So sorgte eine fünfköpfige Abordnung der Spielleut Ranunculus mit ihrer mittelalterlichen Musik, zu der zahlreiche Tänze, aber auch Trink- und Spielmannslieder gehörten, für die perfekt ins historische Ambiente passende akustische Stimmung. In der Kommandantenwohnung weihte Kalligrafin Kornelia Roth die Besucher in die Geheimnisse der historisierenden Schrift ein, draußen auf der Insel Falkenau ging es auf Schatzsuche und vieles mehr.