In Zeiten von Trumps neuer, für die westlichen Bündnispartner völlig unberechenbarer US-Politik und Putins Angriffskrieg in der Ukraine erlangte das 25. Simmerner Stadtgespräch besondere Aufmerksamkeit. Die Nato-Osterweiterung und Putins Mythos von falschen Versprechungen waren die Themen. Der Journalist, Historiker, Buch- und Filmautor und Russlandkenner Ignaz Lozo versuchte, Licht in ein Stück Zeitgeschichte zu bringen – immer ganz eng verbunden mit einer Analyse des aktuellen Geschehens.
Lozo war viele Jahre TV-Korrespondent in Moskau. Unter anderem führte er 2014 ein Interview mit Gorbatschow anlässlich des 25. Jahrestags des Mauerfalls. Darin stellte Gorbatschow klar, dass der Westen der Kremlführung keineswegs zugesagt habe, die Nato nach der deutschen Wiedervereinigung nicht ostwärts auszudehnen. Er sei niemals vom Westen betrogen worden; die Existenz eines Versprechens, die Nato nicht auszudehnen, sei „ein Mythos“.
Russlandkenner schildert Zusammenhänge von Jelzin über Gorbatschow bis Putin
In Lozos Biographie „Gorbatschow, der Weltveränderer“ analysiert er die Hintergründe für den Untergang der Sowjetunion und den sich damals schon abzeichnenden russischen Angriffskrieg auf die Ukraine. In seinen Ausführungen gab der 62-Jährige Einblicke in höchst komplexe Zusammenhänge. Sie beginnen in der Regierungszeit des russischen Präsidenten Boris Jelzin in der 1990er-Jahren über die Ära von Michail Gorbatschow bis hin zu Putin.
Im Mittelpunkt dabei stand immer der von Putin und den Russen gemachte Vorwurf: Der Westen habe Russland nach dem Mauerfall 1989 und dem Zusammenbrechen der ehemaligen UDSSR mit der Nato-Osterweiterung getäuscht. Putin, so argumentierte Lozo, widerspreche sich heute selbst zu seinen 2007 bei der Münchener Sicherheitskonferenz gemachten Aussagen, und viele andere – wie Sahra Wagenknecht – plapperten es in Talkshows ständig nach.
„Die Masse an Talkshows vernebelt das Gehirn der Zuschauer.“
Ignaz Lozo, Gast beim 25. Simmerner Stadtgespräch
Für den promovierten Journalisten ist der Grund für eine öffentliche Verunsicherung und die kritiklose Übernahme von Argumenten und Meinungen eine kaum noch überschaubare Flut an Informationen in Medien und sozialen Netzwerken. „Die Masse an Talkshows vernebelt das Gehirn der Zuschauer“, so Lozo. Dabei würden Mythen und Lügen ständig reproduziert, die Tatsache, dass Putin schon 2014 Teile der Ukraine annektierte, völlig aus dem Bewusstsein verdrängt.
Bezug nehmend auf die aktuelle politische Lage, kritisierte Lozo in seinen Ausführungen scharf den Neoimperialismus des US-Präsidenten Donald Trump: „den wir bis dato in der Aggressivität nur von Putin kannten“. Auf die Frage eines Zuschauers, ob die Amerikaner im Fall eines russischen Angriffs auf ein Land im Baltikum dem Nato-Partnerland zu Hilfe kämen, gab Lozo zu, dass seine Meinung sich durch die aktuelle politische Entwicklung geändert habe. Noch vor zwei Jahren hätte er das nicht hinterfragt. Seit Trumps zweiter Regierungszeit sei Amerika Russland gegenüber neu aufgestellt. Heute habe er jedoch ein komisches Gefühl, was alles kommen könnte, verbunden mit der Hoffnung, „dass alles gut geht“.