Da war es legitim, dass Kulturstaatssekretär Jürgen Hardeck im Vorwort des Programmhefts sich einen ausführlichen Rückblick auf die ganz große Liedermacherzeit gönnte. Auch wenn Hardeck nach eigenen Worten noch etwas zu jung war, um die legendären Festivals selbst mitzuerleben, Tondokumente finden sich offenbar genügend in seinem Plattenregal.
Das die Arbeitsgemeinschaft Burg Waldeck (ABW) bei allem berechtigten Rückblick im Hinblick auf die beiden Anlässe zu feiern zwingend auch den Blick in die Zukunft richten muss, dokumentierte das dreitägige Programm, das sich sehen lassen konnte. Es begann am Freitag gegen 19 Uhr mit Stereo Naked um den neuseeländischen Kontrabassisten Pierce Black und die Banjospielerin Julia Zech. Die eigenwillige Zusammenstellung setzte einen interessanten Akzent zum Auftaktabend, der mit Steiner & Madlaina seine Fortsetzung fand. Die beiden Frauen warteten mit deutschen und schweizerdeutschen Texten auf.
Lulos unglaubliche Virtuosität
Civetto kam dann mit Pop, Latin und französischen Elementen, bevor der unvergleichliche Lulo Reinhardt einmal mehr auf der Waldeck ein grandiose Kostprobe seiner Virtuosität ablieferte. Zwischen Balkan-Folk, Flamenco, Tango, Gypsy-Swing, Jazz, Blues, Musette verschmolzen die Genres zu einem heißen Gebräu, dass die Akteure, Absinto Orkestra featuring Lulo Reinhardt als „Gadjo Swing“ bezeichnen.
Den Samstag eröffnete auf der Bühne Polly Rakete mit einem Kinderkonzert, im Anschluss gab es für den Waldeck-Nachwuchs dann Die Kleine Weltbühne, ein Kindertheater. Den musikalischen Reigen führte Danny Dziuk Trio fort, der schon Songs für Stoppok (der sollte auch noch kommen) geschrieben hat, für Wolfgang Niedecken und Annett Louisan. Charlotte Brandi löste ihn ab, gefolgt von Joana Black mit Adax Dörsam und – Stoppok solo, der mit grellem Anzug, noch grelleren Texten und echten Ruhrpottslang-Ansagen sein Publikum unterhielt.
Als gäbe es kein Morgen mehr
Die Ansagen von Rainald Grebe hatten es auch in sich und boten mitunter genauso viel Spaß wie die bissigen Texte, die er mit seiner Kapelle der Versöhnung vortrug.
Zum Schluss enterte die in Berlin lebende Irin Wallis Bird die Bühne und entpuppte sich als Temperamentsbolzen. Einmal in Fahrt, war sie schwer im Zaum zu halten, knalle messerscharfe Riffs mit ihrer Akustikgitarre ins begeisterte Publikum und sang sich die Seele aus dem Leib, als gäbe es kein morgen mehr. Dass sie auch leise und im wahren Wortsinn „schön“ kann, wurde offenbar, als sie ihre Tourbegleiter zum fragilen Begleitgesang auf ihr Bühnenpodest bat und mit dem Trio eine hinreißend schönen Sound in den Nachthimmel über der Waldeck zauberte.
Dass der Himmel auch mal die Schleusen öffnete, war nicht schlimm. Das Publikum im geschichtsträchtigen Rund vor der professionell in Sound und Licht ausstaffierten Bühne war präpariert. Die Abkehr vom Zelt erwies sich als richtige Entscheidung.
Ein Sonntag für die ganze Familie
Der Sonntag stand dann zum einen im Zeichen der Familie, zum anderen wurde die Burg Waldeck als ein Ort der Demokratiegeschichte ausgezeichnet. Zum Familienkonzert kam Kinderliedermacher Fredrik Vahle nach Besuchen auf vergangenen Festivals wieder zur Waldeck. Mit seinen mehreren Generationen bekannten Liedern wie Anne Kaffeekanne oder dem Schweinelied erfreute er seine kleinen wie großen Zuhörer. Aber auch bei seinen Geschichten und Gedichten etwa zum Ich war das Publikum ganz Ohr und bekam genauso wie bei Vahles nie ganz unpolitischen Liedern Denkanstöße. Zuvor hatten die Liedermacher Simon und Jan dem Programm zur demokratiegeschichtlichen Bedeutung der Burg Waldeck einen musikalischen Rahmen gegeben. Ein Bericht zur Auszeichnung durch die Stiftung Orte der deutschen Demokratiegeschichte folgt.