BBS Simmern kooperiert im Bereich der Höheren Berufsfachschulen mit vielen Unternehmen aus der Region - Praktika münden in Ausbildung
Projekt der BBS Simmern: Allianz mit Betrieben hat nur Gewinner
Beim Unternehmen ERO in Simmern ist derzeit eine Langzeitstudentin der BBS im Einsatz. Zudem befinden sich drei künftige Industriekauffrauen in der Ausbildung. Die beiden Ausbildungsleiter Michael Fey (links) und Annalena Neumann (2. von rechts) sind dankbar für die Kooperation. Foto: Sina Ternis
Sina Ternis

Die BBS Simmern kooperiert im Bereich der Höheren Berufsfachschulen mit vielen Unternehmen aus der Region - eine fruchtbare Allianz, in der es nur Gewinner gibt.

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Wenn Shirin Sehn von ihrem Praktikum als Industriekauffrau beim Simmerner Unternehmen ERO erzählt, dann kommt sie schnell ins Schwärmen. Seit vergangenem Sommer ist die 17-Jährige parallel zur schulischen Ausbildung zweimal wöchentlich dort, um in alle Bereiche zu schnuppern. Buchhaltung, Marketing, Auftragsabwicklung, überall erhält sie Einblicke und darf aktiv mitarbeiten. Bis zu den Sommerferien ist sie noch im Betrieb und hofft darauf, dass sie – nachdem sie ihr Fachabitur ein Jahr später macht – dort auch eine Ausbildung absolvieren kann.

Aktuell sind 40 Azubis in zehn verschiedenen Ausbildungsberufen bei ERO angestellt. Alle werden im Anschluss übernommen, sofern sie es wollen und „nicht den goldenen Löffel klauen“, wie es Michael Fey, Ausbildungsleiter im technisch-gewerblichen Bereich, auf den Punkt bringt. Dass es die Möglichkeit der Langzeitpraktika gibt, begrüßen er und seine Kollegin Annalena Neumann. Schließlich sei das die ideale Gelegenheit, die potenziellen Auszubildenden kennenzulernen. Und die wiederum könnten sich ein Bild von dem Berufsbild und ihrem Arbeitsumfeld machen. „Am Ende profitieren wirklich alle. Das ist eine absolut tolle Sache.“

Dass er einmal derart von der im Juli 2019 in Kraft getretenen Landesverordnung für Höhere Berufsfachschulen schwärmen würde, das hätte sich Marc Chittka zu Beginn nicht erträumen lassen. Vielmehr sah sich der Lehrer der Berufsbildenden Schule (BBS) in Simmern, der für Schulpatenschaften und Kooperationen mit Partnerbetrieben verantwortlich ist, zunächst einmal vor schier nicht zu überwindende Probleme gestellt. Denn bis zu besagter Reform der Landesverordnung hatten die Schüler, die ihre Fachhochschulreife ablegen konnten, keine langfristigen Praktika.

Es handelte sich um eine vollschulische Ausbildung, die in den Bereichen Wirtschaft, IT oder Sozialassistenz abgelegt werden konnte. Die Reform sah allerdings vor, dass alle Schüler – unabhängig von der Spezialisierung – während des gesamten ersten Schuljahres an zwei Wochentagen, donnerstags und freitags, ein Betriebspraktikum absolvieren. Statt die Schulbank zu drücken, sollten und sollen sie praktische Erfahrungen sammeln und vor allem schon einmal wertvolle Kontakte knüpfen. So die Grundidee. „Allerdings sind wir vier- beziehungsweise fünfzügig, haben pro Klasse bis zu 30 Schüler, und die sollten praktisch von heute auf morgen alle in Betrieben aus der Region unterkommen“, berichtet Chittka. Das sei ein unmögliches Unterfangen gewesen.

Idee der Langzeitpraktika kommt nicht an

Er sei dann erst einmal übers Land gezogen, habe regelrecht hausiert, sei aber in den Betrieben zunächst einmal auf wenig Gegenliebe, dafür auf relativ viel Skepsis gestoßen. Keiner habe sich ein Jahr lang an einen Praktikanten binden wollen, an jemanden, den man nicht kenne, von dem man nichts wisse.

Erst über den Kontakt mit dem Regionalrat Wirtschaft sei Bewegung in die Suche gekommen. Denn der sei mit nahezu allen Unternehmen im regelmäßigen Austausch, kenne die Betriebe, die ausbilden und die sich für ein Langzeitpraktikum eignen. „Ich hatte dann das große Glück, dass ich zu der Jahreshauptversammlung eingeladen wurde“, berichtet der Pädagoge. Um das Projekt, das er an diesem Abend den Entsandten der einzelnen Unternehmen vorstellte, greifbarer zu machen, gab er ihm die Bezeichnung „Strategische Ausbildungsallianz für den Hunsrück“. Er zeigte den Anwesenden die Chancen auf, die das Projekt mit sich bringt – und stieß plötzlich auf die erhoffte Gegenliebe.

Schon ab dem Schuljahr 2020 hatte Chittka keine Probleme mehr, seine Schützlinge in den Betrieben unterzubringen. Schnell hatte sich herumgesprochen, wie positiv das Projekt angelaufen war. So positiv, dass nahezu alle Praktikanten nach ihrer einjährigen Schnupperphase einen Ausbildungsvertrag angeboten bekommen haben.

Rund 40 bis 50 Betriebe stehen auf der Liste des Pädagogen. Das Spektrum reicht von kleinen Hotels an der Mosel bis hin zu großen produzierenden Unternehmen wie ERO. Die Schüler sind während des kompletten ersten Schuljahres an zwei Tagen dort, haben die Möglichkeit, in unterschiedliche Bereiche einzutauchen, die Arbeitsmethoden und die Kollegen kennenzulernen – und geben vor allem auch den potenziellen Arbeitgebern Gelegenheit, einen Eindruck von der Persönlichkeit und der Arbeitseinstellung zu gewinnen.

Die Höhere Berufsfachschule ist keine Sackgasse, und das erkennen auch 
immer mehr Schüler.

Marc Chittka über die vielfältigen Möglichkeiten an der BBS in Simmern

Hier sieht Chittka in den ländlichen Strukturen des Hunsrücks große Vorteile gegenüber Metropolregionen. Denn die Betriebe seien, auch über den Regionalrat Wirtschaft, sehr gut miteinander vernetzt, es gebe ein Miteinander und kein Gegeneinander. Und auf diese Weise habe sich auch schnell herumgesprochen, wie gut die Allianz funktioniere, wie viele Vorteile sie für beide Seiten mit sich bringe. Hinzu komme, dass die Schüler als Multiplikatoren fungierten. Indem sie in den Familien, bei ihren Freunden und im Unterricht von ihren Erfahrungen erzählten. Das tut auch Shirin Sehn, die das familiäre Umfeld und die vielen Möglichkeiten bei ERO schätzt.

Auch Chittka ist begeistert von der unkomplizierten Zusammenarbeit und den Begegnungen auf Augenhöhe. Aktuell sind drei seiner ehemaligen Schülerinnen dort als Azubis zur Industriekauffrau beschäftigt. „Das zeigt, wie gut es funktioniert“, so der Lehrer. Er würde die Zusammenarbeit gern noch weiter ausbauen, auch um den Nachwuchs für den technischen Bereich zu begeistern. Denn der, das berichtet Ausbildungsleiter Fey, fehlt auch bei ERO. „Die Berufe haben leider einen schlechten Ruf. Und das grundlos“, sagt er – und hofft, dass eine Zusammenarbeit mit den Schulen hier künftig Früchte trägt. „Die Realschüler fehlen uns. Es macht sich bemerkbar, dass heute fast an jeder Schule Abitur gemacht werden kann. Und anschließend gehen viele studieren.“

Hätte sich früher ein Großteil der Absolventen für ein Studium an der Fachhochschule entschieden, würde die reine Ausbildung oder das duale Studium mittlerweile immer populärer werden. „Die Schüler spüren die Wertschätzung, bekommen oft auch Einblicke in die vielfältigen Möglichkeiten.“

Ohnehin biete die Höhere Berufsfachschule unterschiedliche Gelegenheiten der Orientierung: Praxisbezug durch Praktikum, hohe Chance auf Ausbildung, Studium an einer FH oder ein weiteres Jahr an der Berufsoberschule und ein anschließendes Studium an einer Universität. „Die Höhere Berufsfachschule ist keine Sackgasse, und das erkennen auch immer mehr Schüler“, sagt Chittka. Vor allem die Langzeitpraktika seien beliebt. Dass im zweiten Jahr keine Praxis mehr vorgesehen ist, liegt vor allem daran, dass die Schüler sich auf ihre Abschlussprüfungen vorbereiten müssen.

Intensive Zusammenarbeit zwischen Schule und Betrieben

Dem Kontakt zu den Unternehmen tut das laut Chittka aber keinen Abbruch. Im Gegenteil: „Die meisten bekommen das Angebot zur Ausbildung ohnehin schon während ihrer praktischen Phase.“ Zudem halte die Schule auch auf andere Weise den Kontakt zu den Betrieben in der Region, fülle so die „Strategische Ausbildungsallianz für den Hunsrück“ mit Leben.

So kommen beispielsweise immer wieder Experten für bestimmte Bereiche an die Schule, halten dort Vorträge und stehen für Fragestellungen zur Verfügung. Umgekehrt gehen aber auch Schülergruppen in die Unternehmen, um sich an Ort und Stelle ein Bild von den Strukturen zu machen und sich über die Abläufe zu informieren. „Mittlerweile ist die Berufsorientierung ein wichtiges Thema geworden“, weiß der Lehrer der Simmerner BBS aus eigener Erfahrung.

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