Neuer Geschäftsführer Ingo Jakschies im Interview - Pilotprojekt für niedrigschwellige Versorgung über Nacht geplant
Neuer Geschäftsführer Ingo Jakschies im Interview: Gesundheitscampus Loreley nimmt Fahrt auf – Versorgung über Nacht geplant
Ingo Jakschies ist Geschäftsführer der neuen Gesundheitscampus Loreley GmbH.
Denise Bergfeld

Oberwesel. Die Loreley-Kliniken am Mittelrhein haben ihren Krankenhausbetrieb eingestellt. Anstelle des Oberweseler Krankenhauses soll nun ein Gesundheitscampus entstehen. Ingo Jakschies, Experte für Projektentwicklungen im Gesundheitswesen vom Büro Gesunddenken.de, soll den Gesundheitscampus ans Laufen bringen. Unsere Zeitung hat mit ihm gesprochen.

Dieser Gesundheitscampus wird aus drei Komponenten zusammensetzt: einem Fachärztezentrum, einer Tagesklinik und dem erweiterten Seniorenzentrum. Dafür hat die kommunale Krankenhausgesellschaft mit der Gesundheitscampus Loreley GmbH eine neue Tochterfirma gegründet und einen neuen Geschäftsführer eingestellt.

Herr Jakschies, was hat Sie dazu bewogen, die Umsetzung des Gesundheitscampus in Oberwesel zu übernehmen?

Ich habe in Mannheim BWL studiert bei Professoren, die immer quer gedacht haben. Zudem bin ich in der Krankenhauswelt groß geworden und habe mehr als 20 Jahre lang Krankenhäuser geführt, überwiegend in Nordrhein-Westfalen. Vor acht Jahren habe ich mich selbstständig gemacht und begleite seitdem Gebietskörperschaften, wenn sie den Wunsch haben, die Gesundheitsversorgung in ihrem Bereich zu verbessern. Eines meiner ersten Projekte war ein geschlossenes Krankenhaus im Sauerland, in Balve. Das war ein Haus mit 125 Betten, was abgerissen werden sollte. Mit der Gruppe, die sich da formiert hat, arbeite ich seit acht Jahren an dem Projekt Gesundheitscampus Sauerland.

Was genau haben Sie in Balve erreichen können?

Wir haben in kürzester Zeit 17 Ärzte in den Ort geholt. Das ist für einen Ort mit 6000 Einwohnern ganz beachtlich. Darunter sind zehn Hausärzte, überwiegend junge Frauen. Eine der Herausforderungen im Gesundheitswesen ist die zunehmende Feminisierung. Diese Ärztinnen haben ganz andere Arbeitszeitvorstellungen, die wir realisieren konnten. Und wir haben sieben Sekundärfachärzte gewinnen können, indem wir alle gesetzlichen Möglichkeiten genutzt haben wie etwa die Zulassung einer Filialpraxis. Darunter sind Fachärzte wie Internisten, Kardiologen und Gastroenterologen.

Was möchten Sie jetzt konkret in Oberwesel umsetzen? Nehmen wir das Seniorenzentrum.

Dort werden wir zusammen mit dem pflegerischen Team neue Ansätze entwickeln, denn neben der stationären Pflege gibt es noch andere Versorgungsmöglichkeiten für ältere Menschen. Bei der Therapie sind wir mit unseren Therapeuten bereits wunderbar aufgestellt. Ein weiteres Element, das mir genauso am Herzen liegt, ist das bürgerschaftliche Engagement mit Selbst-hilfegruppen, Demenzbetreuung oder Demenzcafé. Eine meiner Hauptaufgaben ist es, diese Elemente zusammenzuführen. Ich nenne das gerne „Der Kümmerer“.

Was wäre denn ein neuer Ansatz?

Wir sind mit der Landesregierung im Gespräch über ein Pilotprojekt, bei dem auch die Kassenärztliche Vereinigung mitziehen würde. Angedacht ist, dass wir eine kleine Versorgungseinheit platzieren, die sich „niedrigschwellige Versorgung“ nennt. Bedeutet, dass von Hausärzten Patienten für zwei, drei Tage über 24 Stunden betreut werden können.

Früher hat man in den kleinen Krankenhäusern auf dem Land ab uns zu mal ein Auge zugedrückt und gerade ältere Menschen mal eine Nacht länger liegen lassen, bei denen man die sozialen Hintergründe ja auch kannte. In dieser Hinsicht wird aus Kostengründen ja schon seit geraumer Zeit ein härterer Kurs gefahren ...

In der Tat ist es so, dass da eine Versorgungslücke entstanden ist. Die Krankenhäuser werden aus wirtschaftlichen Gründen immer mehr dazu gezwungen und genötigt, die Patienten eher zu entlassen.

Auch wenn noch gar nicht klar ist, wie es daheim weitergeht?

Genau. Die Kollegen in den Krankenhäusern bemühen sich und versuchen alles. Aber in der Regel klappt es nicht. Und damit fallen die Patienten in ein Versorgungsloch. Diese Lücke wollen wir schließen.

Sprechen wir bei diesem Ansatz ausschließlich über das Seniorenzentrum?

Das ist das Spannende daran: Wir berühren das Sozialgesetzbuch XI, die Pflege, bewegen uns aber auch im Sozialgesetzbuch V, dem Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung. Wir haben diese Probleme, weil wir in XI und V denken. Was wir brauchen, ist aber eine Mischung und eine Versorgung genau dazwischen.

Wie lässt sich eine solche „Versorgung dazwischen“ abrechnen?

Juristisch gesehen gibt es eine Basis mit dem 122er im Sozialgesetzbuch V. Das nennt sich Praxisklinik (eine medizinische Einrichtung, an der mehrere Vertragsärzte gemeinsam Patienten ambulant oder kurzstationär behandeln. Anmerkung der Redaktion). Dieses Gesetz gibt es schon seit 1999, es wird aber nur in den seltensten Fällen aktiviert, weil viele sich damit nicht auskennen. Es gibt aber auch Krankenkassen, die sehr offensiv in diesen Bereich hinein denken, wie die Barmer in Thüringen, die sagt: Es ist uns erst einmal vollkommen egal, was das kostet, wir erklären für drei Jahre, dass wir alle Kosten übernehmen werden.

Was bewegt eine Krankenkasse zu einer solchen pauschalen Zusage?

Weil damit natürlich der Trend, sich von kleinen Krankenhäusern zu verabschieden, verstärkt wird. Und das ist im Grunde der Weg, der durch die Wahl des DRG-Finanzierungssystems vorgegeben wurde. Mit Einführung 2003 war absehbar, dass kleine Krankenhäuser unter Druck geraten werden. Es ist schon bemerkenswert, dass sie so lange durchgehalten haben. Aber dieser Druck wird noch größer werden.

Wenn wir zurück nach Oberwesel blicken: Wie soll in den kommenden Wochen die Umsetzung des Facharztzentrums und der Tagesklinik aussehen? Die Tagesklinik soll ja unter dem Titel „Schmerzfrei bewegen“ den Ansatz der konservativen Orthopädie fortführen.

Unsere Tagesklinik behandelt schon die ersten Patienten. Das sind Patienten, die sonst ins Krankenhaus gekommen wären. Für die Krankenkassen ist das deutlich günstiger, weil das „Heimschläfer“ sind. Damit fällt eine Versorgung über Nacht weg.

Welches Einzugsgebiet schätzen Sie wird die Tagesklinik in Zukunft haben? Wegen der konservativen Orthopädie kamen Patienten aus ganz Deutschland ...

Wir streben natürlich an, dieses Einzugsgebiet nicht kleiner werden zu lassen. Ein entscheidender Faktor ist aber die Unterbringung. Grundsätzlich bauen wir auf die Hotellerie und Gastronomie am Ort und in der Umgebung – übrigens eine wunderschöne Region. Wir werden einige Empfehlungen aussprechen für Pensionen, die wir kennen. Mittelfristig streben wir an, dass wir außerdem im Gebäude ein sogenanntes Patientenhotel zur Verfügung stellen wollen.

Warum wird eine Leistung, die es früher stationär gab, nur noch ambulant angeboten?

Es ist ein bundesweiter Trend. Es gibt eine Liste, wonach mehr als 30 Prozent der Operationen, die jetzt stationär erfolgen, künftig nur noch ambulant gemacht werden sollen.

Schauen wir mal zehn Jahre weiter. Was wird sich verändert haben?

Wir werden ähnlich nach dem schottischen Modell große stationäre Zentren haben, in denen verschiedene Spezialisten sehr eng zusammenarbeiten. Dort wird auch die Notfallversorgung stattfinden. Wofür wir jetzt kämpfen müssen ist, dass es in der Peripherie wohnortnahe medizinische Versorgung gibt, in der die Hausärzte eine sehr große Rolle spielen werden.

Was sagen die Krankenkassen zum Projekt Gesundheitscampus?

Vor zehn Tagen gab es eine gemeinsame Erklärung vom Ministerium und den Krankenkassen, dass sie der Tagesklinik so zustimmen.

Welche Ärzte sind für das Facharztzentrum und die Tagesklinik in Oberwesel vorgesehen?

Wir sind in der Vorbereitung, die meisten Personen sind angesprochen.

Dr. Ferdinand, der viele Jahre als Oberarzt im St. Goarer Krankenhaus tätig war, wird ja neuer ärztlicher Leiter der Tagesklinik. Können Sie weitere Namen nennen?

Nein.

Kommt das Personal für die Tagesklinik aus der Loreley-Klinik oder von außerhalb?

Von hier. Wir haben sechs oder sieben Ärzte, die mitmachen werden, und mehr als 15 Therapeuten.

Und wie sieht es beim Facharztzentrum aus?

Da haben wir noch ein bisschen Zeit und müssen erst einmal über den Bauplan sprechen. Wir haben ja noch eine größere Baumaßnahme vor uns.

Stehen denn die Fachrichtungen schon fest?

Weitestgehend sind es Fachrichtungen, die man mit konservativer Orthopädie assoziieren kann.

Es war neben der Orthopädie auch mal die Rede von Diabetologie?

Ja, das ergibt sich aus der Situation im Ort, weil schon eine wunderbare Praxis besteht, die damit schon lange Jahre arbeitet. Und da ist es natürlich für uns interessant zu sagen: Das greifen wir auf.

Wenn zum Jahreswechsel der Mehrheitsgesellschafter Marienhaus aus der Krankenhausgesellschaft aussteigt, wie geht es dann mit dem Gesundheitscampus weiter?

Der Kolping-Förderverein Krankenhaus und Seniorenzentrum ist in den Startlöchern und wartet darauf, die Anteile von Marienhaus innerhalb dieser Trägergesellschaft zu übernehmen.

Dieses Vorhaben ist aber doch bereits an der Ablehnung des Stadtrats in St. Goar gescheitert? Um die 55 Prozent zu übernehmen, braucht es ein einstimmiges Votum aller Gesellschafter.

Es wurde verschoben.

Sehen Sie also eine Chance, dass dieses Vorhaben doch noch funktionieren könnte?

Es gibt Hinweise, die vermuten lassen, dass die Stadt St. Goar vielleicht noch einmal ihre Entscheidung überdenkt.

Das Gespräch führte Denise Bergfeld

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