Für die betroffene Familie und deren Betreuer dürfte der Freitag vergangener Woche ein Tag der Erleichterung und der Hoffnung gewesen sein. Gegenüber unserer Zeitung erklärt Hans-Joachim Jung, zuständiger Dezernent der Kreisverwaltung, dass am Freitagmorgen eine E-Mail seitens der Behörde an den Anwalt der Familie versandt wurde, um nach Wochen der Ungewissheit Klarheit zu schaffen. „Wir wollen zur Beruhigung der Situation beitragen“, betont Jung mit Blick auf die Familie, „und wir wollen im Verfahren weiterkommen.“
Situation war lange diffus
Insbesondere seitens des betreuenden Vereins VfR Simmern war bis zuletzt heftig kritisiert worden, dass die Behörde durch fehlende Klarheit beispielsweise bezüglich des Schulbesuchs der vier Kinder für eine diffuse Lage gesorgt hatte. Die Betroffenen, so wurde überaus deutlich, wussten ebenso wie der Verein bisweilen nicht, wie sie sich im Rahmen des Kirchenasyls verhalten könnten, ohne Gefahr zu laufen, abgeschoben zu werden. Hintergrund ist, dass die Ausländerbehörde Anfang Februar einen Antrag der Familie auf Gewährung eines Aufenthaltstitels abgelehnt und wenig später die Abuevs zur freiwilligen Ausreise aufgefordert hat. Der eingeschaltete Grünstädter Anwalt Alexander Dauch hat daraufhin Anfang Februar Widerspruch gegen die Entscheidung eingelegt und eine Duldung verlangt. Aus Sorge vor einer drohenden Abschiebung entschloss sich die evangelische Kirchengemeinde Simmern dazu, auf ein überaus seltenes, sogenanntes „letztes Mittel“ zurückzugreifen – und Kirchenasyl zu gewähren.
Am Freitag dauerte dieses Kirchenasyl bereits fast sechs Wochen lang. In dieser Zeit waren diverse Anfragen an die Verwaltung gerichtet worden, ob die Kinder die Schule besuchen dürfen und der 16 Jahre alte Sohn am Fußballbetrieb der B-Jugend des VfR Simmern teilnehmen kann. Zunächst im Kreisausschuss und dann erneut im Kreistag wurde auch Landrat Marlon Bröhr auf den Fall angesprochen. Wie die Kreisverwaltung gegenüber unserer Zeitung vor Wochenfrist erläuterte, machte der Landrat seine Äußerungen im Kreisausschuss im Rahmen des nicht öffentlichen Teils, sodass dazu keine Auskünfte möglich wären. Teilnehmer der Sitzung betonten unterdessen, dass Bröhr unter anderem erklärt hätte, dass der Familie nie mit Abschiebung gedroht worden sei. Zumindest mündlich soll eine solche Drohung allerdings durchaus von der Ausländerbehörde geäußert worden sein, ansonsten hätte auch die Aufforderung zu einer freiwilligen Ausreise Anfang Februar dem Vernehmen nach kaum Sinn ergeben. Zudem lag ein sogenannter Rückführungsbescheid russischer Behörden vor, dies entspricht einem Signal der „Aufnahmebereitschaft“ Russlands. Anfang Februar lief dieses auf eine Gültigkeit von 90 Tagen begrenzte Papier zwar ab, aber es gehört in solchen Fällen wohl zur gängigen Verwaltungspraxis, dass im Rahmen der Fristen lediglich ein Flug gebucht wird, der eine Abschiebung auch dann noch rechtmäßig werden lässt, wenn die eigentliche Frist zur Rückführung bereits abgelaufen ist. In diesem Zusammenhang befand sich die Familie Abuev stets in einer überaus unklaren und höchst belastenden Situation.
Diskutable Aussagen im Kreistag
Im Kreistag hat Landrat zwar zuletzt keine Details zum Fall darlegen wollen, aber mit Überzeugung erklärt, der Familie und dem Anwalt sei „mehrfach“ „schriftlich“ mitgeteilt worden, dass die Kinder die Schule besuchen dürften. De facto gab es allerdings weder gegenüber dem Anwalt noch gegenüber der Familie solche Schriftbelege. Vielmehr räumte die Verwaltung vergangene Woche gegenüber unserer Zeitung ein, dass es lediglich einen E-Mail-Austausch mit einer Klassenlehrerin bezüglich eines Schulausflugs der beiden jüngsten Töchter sowie mit der evangelischen Landeskirche gegeben hatte.
Bereits kurz nach der Kreistagssitzung versicherte Dezernent Jung deutlich, dass dem Schulbesuch nichts im Wege stehe und der Familie keine Konsequenzen drohen würden, falls diese das Kirchenasyl zwecks Schulbesuch oder beispielsweise Sportbetrieb verlassen würde. Vor allem von der ältesten Tochter war zuvor eine Abschiebung befürchtet worden, denn als Volljährige fürchtete sie sich davor, „einzeln“ abgeschoben werden zu können. Erst seit Donnerstag besucht sie die Schule – nach mehr als fünfwöchiger Abwesenheit.
Am Freitag hat Dezernent Jung nun mit Ungewissheiten aufgeräumt, welche die Verwaltung zuletzt durch nicht hinreichend klare, teils auch widersprüchliche Aussagen wohl zumindest mitverursacht hatte. So erhielt der Anwalt der Familie per E-Mail eine klare Aussage. Die Verwaltung hat dem Rechtsbeistand darin erörtert, dass die Familie aktuell keine Abschiebung zu befürchten habe. „Für die Dauer des Widerspruchsverfahrens ist keine Rückführung geplant“, sagt Jung klar. Eine förmliche Duldung bis zum Abschluss der Klärung aller Fragen, insbesondere des strittigen Passersatzes, die Anwalt Dauch bereits seit Anfang Februar fordert, ist dies formell nicht. „Inhaltlich ist unsere Aussage aber identisch zu betrachten“, sagt Jung. „Für uns ist es eine Kompromisslösung, die wir anbieten wollen, um die Situation zu verbessern.“
Schritt von immenser Bedeutung
Jung unterstreicht, dass mit dieser Information feststeht, dass „aufenthaltsbeendende Maßnahmen“ nicht zu befürchten sind. Demnach könnte die Familie wohl auch aus dem Kirchenasyl in ihre Wohnung zurückkehren und bis zum Abschluss des Verfahrens einem „normalen“ Alltag nachgehen. Hintergrund ist, dass die Ausländerbehörde laut Jung keine Abschiebung geplant und beispielsweise auch keinen entsprechenden Flug gebucht hatte. Die Frage stellt sich, weshalb dies nicht bereits Anfang Februar seitens der Behörde kommuniziert und die Familie sechs Wochen lang über ihre Lage im Unklaren gelassen wurde.
Jung ist es ein Anliegen, dass der Fall sachlich und schnell bearbeitet wird. Im Zuge des Widerspruchsverfahrens überprüft die Ausländerbehörde derzeit erneut die Gesamtbewertung des Falles und in diesem Zusammenhang auch Veränderungen, die sich innerhalb der vergangenen Wochen ergeben haben. Dazu dürfte auch gehören, dass die Familie inzwischen drei Pässe vorlegen konnte, ihr nachweislich mehrfaches Bemühen um die beiden noch ausstehenden Pässe bei russischen Konsulaten allerdings erfolglos war. Seitens des Anwalts und gerade auch durch den VfR Simmern war insbesondere hinsichtlich der Passfragen mehrfach das Vorgehen der Ausländerbehörde kritisiert worden (wir berichteten). Anwalt und Verein halten es im Sinne des Aufenthaltsrechts und ganz besonders aufgrund der nachweislich guten Integration der Familie sowie des inzwischen fünfjährigen Aufenthaltes in Deutschland für möglich, dass den Abuevs ein Aufenthaltstitel zugestanden werden kann. Zudem könne die Verwaltung die beiden fehlenden Pässe in diesem Zusammenhang im Sinne ihres Ermessens ersetzen.
Auch diese Ermessensfrage, so erklärt Jung, wird neben anwaltlichen Eingaben sowie den weiteren Verfahrenserkenntnissen, die in den vergangenen Wochen gewonnen wurden, derzeit im Rahmen einer sogenannten Abhilfeprüfung, erörtert. Dem Anwalt wurde am Freitag mit einwöchiger Frist die Gelegenheit gegeben, seinen Widerspruch ergänzend zu begründen. Anschließend soll eine abschließende Rechtsbewertung erfolgen, die möglicherweise ein förmliches Widerspruchsverfahren beenden könnte. „Das Verfahren soll zügig fortgesetzt werden“, sagt Hans-Joachim Jung.
Mit dem Signal, dass bis zum Ende des Widerspruchsverfahrens keine Abschiebung nach Russland zu befürchten ist, hat die Kreisverwaltung für die Abuevs, die betreuende Kirchengemeinde und den VfR Simmern einen eminent wichtigen Beitrag dazu geleistet, die stark belastende Situation für die Familie zu verbessern.