Von unserem Redakteur Ingo Lips
„Nach einem Vierteljahrhundert darf man ruhig in Rente gehen“, schmunzelt der 72-Jährige, während er in Akten voller Erinnerungsstücke blättert. 25 Jahre füllen gut und gern eine ganze Schrankwand. Dabei war es wohl das interessanteste Kapitel der jüngeren Ortsgeschichte, das Perscheid mitschrieb. Wer kann schon von sich behaupten, durch „Rückneugliederung“ vom Ortsvorsteher eines Stadtteils zum Bürgermeister einer selbstständigen Gemeinde aufgestiegen zu sein? „Das ist ein echtes Alleinstellungsmerkmal in Rheinland-Pfalz“, scherzt Perscheid und blättert im Privatarchiv.
Der Weg zur Ausgemeindung war eine „äußerst spannende Zeit“, wie Perscheid sich erinnert. 1994 hatte die Wählergemeinschaft Oberwesel-Urbar das Thema aufs Tapet gebracht. Die zweitstärkste Kraft nach der CDU verzichtete allerdings darauf, einen Kandidaten aus ihren eigenen Reihen zum Ortsvorsteher zu küren. Stattdessen wählte sie den Amtsinhaber mit SPD-Parteibuch, Karl Josef Perscheid, mit.
In den Akten hat der ehemalige Lehrer seine Rede aus der konstituierenden Sitzung von 1994, dem Beginn seiner zweiten Amtszeit als Ortsvorsteher, aufbewahrt: „Wir sind gemeinsam davon überzeugt, dass sich die Probleme Urbars besser lösen lassen, wenn der jetzige Stadtteil Oberwesel-Urbar wieder zur selbstständigen Gemeinde wird“, sagte Perscheid damals. Er verglich das Verhältnis Oberwesels zu seinen Stadtteilen mit einer „polygamen Eheform“. Der Ehemann denke zuerst an sich, bevor für seine vier Frauen etwas abfalle.
„Ob ich das noch mal so formulieren würde ... ?“, schmunzelt Perscheid heute. Damals traf es den Nerv, und es zeigt die Entschlossenheit, mit der man in Urbar zu Werke ging. Schließlich gelang die Ausgemeindung (in nur einer Wahlperiode!) mit Segen des Innenministers nach der Zustimmung des Oberweseler Stadtrats – ein Wohlwollen, das sicher auch das Ergebnis der sachlich-konstruktiven Verhandlungen war, die Karl Josef Perscheid führte.
Nicht zuletzt hatte es ein überzeugendes Votum der Urbarer Bürger pro Ausgemeindung gegeben. Die Idee der Selbstständigkeit war binnen kürzester Zeit gewachsen und hatte auch anfängliche Skeptiker überzeugt. Eine entscheidende Rolle bei diesem Meinungsbildungsprozess spielte Perscheids Ansicht nach die 750-Jahr-Feier. Damals, 1996, hatten alle gemeinsam angepackt, die guten alten Zeiten aufleben lassen und das Dorf als liebenswerten Lebensraum präsentiert, wobei sich Nostalgie mit Zukunftszuversicht verband. „So etwas hat es vorher und nachher nicht mehr gegeben“, erinnert sich der Ortschef mit glänzenden Augen und resümiert: „Da kam das große Wir-Gefühl der Urbarer auf.“
Diese Begeisterung begleitete die junge Gemeinde auch in den ersten Jahren der Selbstständigkeit, obwohl man finanziell nicht auf Rosen gebettet war. Der Preis für die Ausgliederung aus dem stark verschuldeten Stadtverband war hoch. Urbar startete mit einer Hypothek von 435 000 Euro an Verbindlichkeiten. Kostendisziplin war oberstes Gebot, und doch gelangen wichtige Infrastrukturmaßnahmen.
2001 wurde der Sportplatz in einen modernen Rasenplatz verwandelt, während in den folgenden beiden Jahren der Bau des Feuerwehrhauses erfolgte. Der vielleicht größte Coup war der Ausbau des Loreleyblicks Maria Ruh für rund 250 000 Euro. Dabei flossen beachtliche Summen von Land, Verbandsgemeinde und EU. Aber auch die Urbarer stemmten ihren Eigenanteil und erbachten jede Menge Eigenleistung. Dabei tat sich besonders die Rentnerband hervor, die sich auf Initiative Perscheids 2004 gründete. Jugendraumneubau, schnelles Internet und der zuletzt erfolgte Ausbau des Kindergartens sind weitere Projekte, die teuer waren, aber Urbar für die Zukunft wappnen sollen.
Parallel schmolz der Schuldenberg. 2008 war er auf 100 000 Euro gesunken. Aktuell ist er durch den Ausbau des Kindergarten- und Mehrzweckgebäudes auf 179 000 Euro angestiegen. Dennoch bleibt Kostendisziplin das oberste Gebot. „Ich halte nichts davon, Lasten auf kommende Generationen zu verschieben“, betont Perscheid.
Ein Nachfolger für das Amt des Ortsbürgermeisters wurde noch nicht offiziell nominiert. Doch Perscheid ist davon überzeugt, dass die Verantwortung für Urbar in zuverlässige Hände gegeben wird. Eine Lehre aus der Vergangenheit ist für ihn zugleich Auftrag für die Zukunft: Auch künftige Gemeinderäte sollen über reine Persönlichkeitswahl und nicht über Listen gewählt werden. Mit der Ausgemeindung hat Urbar die Abkehr vom Parteiensystem vollzogen. „Ich habe festgestellt, dass wir in der Sache besser vorankommen, wenn der eine dem anderen nicht vors Schienbein tritt, nur weil er ein anderes Parteibuch hat“, lautet Perscheids Fazit.
Und dieses Lehrstück der selbstständigen Gemeinde Urbar kann er belegen: „Ich war selbst überrascht, aber fast jeder Beschluss, den wir in den vergangenen 15 Jahren gefasst haben, fiel einstimmig“, sagt Perscheid. Insofern hat sich erfüllt, was er zu Beginn seiner zweiten Amtszeit als Ortsvorsteher im Jahr 1994 noch als Vision formulierte: „Zwietracht zerstört, Einigkeit baut auf!“
Ganz Lebewohl sagen wird der Dritte Beigeordnete der Verbandsgemeinde der Kommunalpolitik übrigens nicht. Auf der Liste der freien Wähler wird er sich für eine weitere Zeit im Verbandsgemeinderat bewerben. Treu bleibt Karl Josef Perscheid auch der Urbarer Rentnerband – dem „Baby“ des künftigen Ortsbürgermeisters a. D. Und vielleicht wird er im Kreise seiner Mistreiter bei Pflegearbeiten auf „Maria Ruh“ in naher Zukunft zufrieden feststellen können, wie ein weiteres touristisches Glanzlicht, das er angeregt hat, mit Leader-Unterstützung Formen annimmt: der Skywalk gegenüber der Loreley.