Vermutlich hätten die Organisatoren um Komponist Peter Menger und seine Frau und Dirigentin Deborah, Andreas Haupt und Martin Kilian gut das Doppelte von Karten verkaufen können, denn die Geschichte machte in der Region die Runde. Auf eine Plakatierung wurde also verzichtet. Paul und Gretel, das sind Leute aus der Region. Ein Großteil der mehr als 220 Darsteller auf der Bühne kommen aus der Region – 100 singen im Regionalchor, 50 Kinder vom Meisenheimer Paul-Schneider-Gymnasium und der Grundschule Monzingen machten mit.
Drei Jahre an der Geschichte gearbeitet
Lang anhaltender Beifall begleitete Schauspieler und Chöre nach drei Stunden auf der Bühne. Drei Jahre hatte Komponist und Arzt Peter Menger an der Geschichte vom standhaften Prediger von Buchenwald gearbeitet. Er schrieb mehr als ein Dutzend Lieder, komponierte sie geschickt um die Lebens- und Leidensgeschichte. Auch das Publikum war eingebunden, sang inbrünstig beim Lied „Dem Ziele zu“ mit. Mit dabei: Paul und Gretels noch lebender Sohn Karl Adolf, der viele Hände schütteln musste und sich im Andenken an seine Eltern sehr wohl fühlte. Man hatte den Eindruck: Es war ein Wiedersehensabend – Pferdsfelder, Dickenschieder, Sobernheimer waren da, Winterbach, Hennweiler und Meisenheim waren stark vertreten.
Die Geschichte von Wahrheit, Mut und Standhaftigkeit, am Vorabend und Nachmittag des Ewigkeitssonntags dargebracht, hinterließ einen bleibenden, nachdenklichen Eindruck. Das Mitwirken vieler Kinder, die kindgerecht gleich zum Auftakt an der Bushaltestelle Dickenschied und im „Häusle“ von Margarete Schneider den Enkeln und einem Dorfbewohner erzählte Geschichte, ist ein genialer Ansatzpunkt. Jeder weiß, wie es ausgehen wird. Der Opa wird von den Nazis ermordet; nein, er war kein Jude. Er war der Pfarrer im Dorf Dickenschied.
Fröhlichkeit, Musik und Tanz, das Verlobungsfest von Paul und Gretel, das Kümmern des späteren Pfarrerehepaars um soziale Belange ihrer Gemeinde wird im ersten Teil des Stückes fast beschwingt auf die Bühne gebracht. Eine großartige Leistung dabei: Die Halle stand erst morgens um 7 Uhr zur Verfügung. Alles musste schnell aufgebaut werden.
Die 50 Kinder aus Meisenheim und Monzingen übten erst um 17 Uhr erstmals. In den sehr kurzen Umbaupausen auf der abgedunkelten Bühne wurde teils Schwerstarbeit geleistet: Die freundliche Fassade der Verlobungsszene, immer wieder Tisch und Stühle, später die zentnerschwere KZ-Zelle von Buchenwald, aus der der geschlagene und gefolterte Paul Schneider sein unerschütterliches Gottvertrauen in die Welt schrie – das alles gelang professionell. Und es traf den Nerv.
Auch das stinkende Zweitakt-moped von Eduard Lenhart, das vor der Bühne fuhr, das Postfahrrad, auf dem Friedhelm Kunz die Todesnachricht brachte, das alte 125 Jahre alte Klavier der Schneiders: All das trug zum Verständnis bei, verfestigte das Anliegen, machte die Geschichte rund. „Den Namen dürft ihr nie vergessen“, wurde Dietrich Bonhoeffer zitiert, dem die Todesnachricht des ersten Märtyrers überbracht worden war. Von Märtyrertum und Personenkult wollte indes Gretel Schneider sowohl auf der Bühne wie auch im wahren Leben als hochbetagte Zeitzeugin in Dickenschied nie etwas wissen.
Die umjubelte Aufführung, die zahlreichen verkauften CDs (als Weihnachtsgeschenke), die angesagten Aufführungen im Kongresszentrum der Europäischen Kulturhauptstadt Weimar (1999) am 19. März 2023 und an Himmelfahrt in der Stuttgarter Liederhalle werden, da muss man kein Prophet sein, das Musical „Paul und Gretel“ über die Grenzen der Region bekannt machen. Die Region selbst wird auch profitieren: Zusammenhalt über Kreis- und Gemeindegrenzen hinweg, Gottvertrauen, Mut, Schulprojekte und touristische Wanderwegpläne sollen dafür sorgen, dass Paul Schneider nicht vergessen wird.
Mehr als nur ein unterhaltsamer Abend
Auch nicht vergessen werden soll, dass Paul umstritten war, dass er mit einer Unterschrift freigekommen wäre, dass er Frau und sechs Kinder aus Sicht vieler Mitbürger im Stich gelassen hat. Für die Region ist das Musical ein idealer Auftakt für neue Sichtweisen im düstersten Kapitel der deutschen Geschichte. Vor allem die oft angesprochene Vergebung wirkt nach. Gretel Schneider reichte dem KZ-Kommandanten Sommer die Hand. „Er war nicht böse, er war verblendet“, glaubt sie. So war das Musical für viele Besucher mehr als nur ein unterhaltsamer Abend und Treff mit Freunden. Paul Schneider ist an seinem 125. Geburtstag in der Region wieder lebendig geworden.
Gerade wenn Zuhörer in ruhigen dunklen Sprechpassagen allzu nachdenklich zu werden drohten, gab es einen musikalischen „Aufschlag“: 200 Stimmen von der Bühne, harmonisch von Dirigentin Deborah und Pianist Peter Menger und seinen Musikern in Szene gesetzt, waren musikalische Höhepunkte, sozusagen „Weckrufe“. Entsprechend positiv war das Fazit. Wer dabei war, wird Paul und Gretel nicht vergessen, vor allem den Zusatz im Musicaltitel nicht: Es ist kein Märchen.
Resonanz ist auch überregional gewaltig
Das Musical „Paul und Gretel“ wurde 2019 anlässlich des 80. Todestags des Predigers von Buchenwald auf den Weg gebracht. Die Idee: Paul Schneiders Lebensweg einem breiteren Publikum zugänglich machen. Peter Menger (Hüttenberg/Hessen), der rund 20 Musicalaufführungen durchgeführt hat, schrieb und komponierte das Stück für Erwachsene und Kinder. Ein Regionalchor und Schulkinder machten das Projekt im Hunsrück zum „Heimspiel“. Auch in Hüttenberg im Sommer (1500 Besucher) und vor vier Wochen in Reutlingen (1000 Besucher) war die Resonanz gewaltig. as