Atemberaubend – sowohl für die Akteure als auch für die Zuschauer – war wie immer das Ballett. Anne Jung, Tänzerin und Choreografin in namhaften Ballett-Companien weltweit, Publikumsliebling und fast schon lebendes Inventar des Horner Kunstfestes, hatte mit Viktoria Nowack und Denislav Kanev zwei junge Tänzer an ihrer Seite. Ihre Choreografie „Undone Reverie“ handelte von dem ewigen Abstoßen, Wiederzusammenkommen und Wiederfinden im alltäglichen Leben. Intensiver, direkter und authentischer wie auf der kleinen, ächzenden Bühne des Horner Dorfsaals kann Ballett wohl nur in Ausnahmefällen von den Zuschauern gesehen und gleichzeitig auch gefühlt werden. Jeder Atemzug der Tänzer war zu spüren. Geboten wurde eine Verbindung aus klassischem Ballett und Modern Dance. Das beeindruckte Publikum bedankte sich mit langem Applaus.
Im krassen Gegensatz zur wunderbaren und ästhetischen Welt des Tanzes mit ihren makellosen Körpern stand die szenische Lesung von Andra Quirbach. Die Schauspielerin vom Staatstheater Mainz hatte sich dafür intensiv mit der Literaturvorlage GAS von Tom Lanoye beschäftigt. Hierbei handelt es sich um den Monolog der leidenden Mutter eines Attentäters, der einen Giftgasanschlag in der U-Bahn verübt und 184 Menschenleben auf dem Gewissen hat. In ergreifenden Worten schildert die Erzählerin die Geburt, Kindheit und Jugend, spricht über die Talente und Eigenheiten ihres toten Kindes, ihrer Beziehung zueinander und ihre unendliche Liebe zu ihm. Dabei schildert sie, wie der Sohn ihr langsam abhandenkam, bei allem aber nichts auf ein gewaltsames Ende hindeutete. Die Mutter begibt sich auf die Suche nach ihrem Kind und findet nur das Unerklärliche. Am Ende steht die Frage: Könnte das auch mein Kind sein? Zwischen Entsetzen über den grausamen Inhalt und im gleichen Atemzug auch fasziniert von der szenischen, mit allen Facetten einer mütterlichen Gefühlswelt vorgetragenen Darbietung des Schrecklichen, des Abgründigen und Unerklärlichen, schwankte die Reaktion des Publikums. Gebannt und mit allergrößter Konzentration verfolgten die Zuhörer den ergreifenden, gut einstündigen Monolog.
Nach der Mittagspause standen, extern in der Galerie Rehberg einige Meter vom Gemeindehaus entfernt, Werke des Bildhauers Werner Pokorny und des Malers und Zeichners Volker Lehnert auf dem Programm. Über 50 Jahre bestand eine enge, freundschaftliche Verbindung zwischen Dagmar Rehberg und Werner Pokorny, der an Silvester 2022 verstorben war. Pokorny beschäftigte sich in seinen Werken ausschließlich mit den Materialien Holz und Cortenstahl. Sein Markenzeichen sind einfache, archetypische Grundelemente wie Schalen, Gefäße, Kugeln oder Häuser. Pokorny und der Maler, Zeichner und Grafiker Volker Lehnert waren fast zwei Jahrzehnte lang Professorenkollegen an der Stuttgarter Kunstakademie. Erstmals stehen Arbeiten beider Kunstschaffenden in einer Ausstellung in einen Dialog.
Premiere als Duo feierten beim Kunstfest auch die Harfenistin Silke Aichhorn und die Mezzosopranistin Shai Terry. Noch nie hatten sie davor miteinander musiziert. Werke unter anderem von Robert Schumann, Johannes Brahms und Wolfgang Amadeus Mozart hatten sie ausgewählt. Die Verbindung von tiefer Musikalität, Spielfreude und virtuosem Handwerk, kombiniert mit ihrer unnachahmlichen Natürlichkeit und Authentizität kennzeichnet das Spiel von Silke Aichhorn, die zu den gefragtesten Harfe-Virtuosinnen in Europa zählt.
Shai Terry wurde in Israel geboren. Im Alter von 13 Jahren erhielt sie den ersten Gesangsunterricht. Nach ihrer Umsiedlung nach Deutschland studierte sie an der Hochschule für Musik in Mainz, ist Stipendiatin bei Villa Musica, nahm an zahlreichen Kammer-Opernproduktionen und Meisterkursen in Israel und Europa teil und sang mit namhaften Orchestern zusammen. Bei aller Freude an der Klassik, besonders berührt war das Publikum von einem hebräischen Wiegenlied, das Shai Terry gemeinsam mit ihrer kongenialen Duopartnerin Silke Aichhorn vortrug. Und so war es auch dieses Mal wieder ein rundum gelungenes Kunstfest in Horn.