In der Simmerner Hunsrückhalle ist es gute Tradition, abwechslungsreichen Tönen zu folgen. Es war allerdings nicht die Rheinische Philharmonie am Montag zu Gast, sondern die Politik, die teils lauten Klängen lauschen ließ. Die Töne, die angeschlagen wurden, waren mitunter geprägt von Dissonanzen.
Das Thema Migration und Flucht sowie die Bemühungen um die Integration von Geflüchteten in die Gesellschaft vor Ort wurden energisch diskutiert. Dabei diskutierte der Kreistag aber ein Thema, das gefühlt schon behandelt gewesen war. Bereits im Februar hatten Carsten Stumpenhorst von der Diakonischen Werk der Evangelischen Kirchenkreise Trier und Simmern-Trarbach gGmbH und Ilona Besha, Dienststellenleiterin der Caritas Simmern/Boppard, das Projekt „Gemeinsam Richtung Integration“ im Kreisausschuss umfangreich vorgestellt. Damals, so klang es nun im Kreistag heraus, gingen einige Abgeordnete wohl davon aus, dass die Konzeption insgesamt wohlwollend aufgenommen werden würde. In der Tat hatte es im Ausschuss keine tiefere inhaltliche Auseinandersetzung oder Zweifel am Konzept oder dessen Notwendigkeit gegeben. Angesichts der Summe der Aufwendungen – beantragt war von Diakonischem Werk und Caritas eine 80-prozentige Kreisbeteiligung an Gesamtkosten von rund 300.000 Euro – wurde die Entscheidung lediglich an den Kreistag gegeben.
Die Debatte im Kreistag begann mit einer erneuten Vorstellung durch die Abgesandten der Träger. Stumpenhorst und Besha fassten sich nach breiter Darstellung im Ausschuss dieses Mal deutlich kürzer und betonten die grundsätzliche Notwendigkeit des Kümmerns um Geflüchtete und Ehrenamtliche. „Gerade in Zeiten von Corona gibt es eine besondere Herausforderung“, sagte Stumpenhorst. Die Fakten hinter diesem Satz sind dem Kreistag bekannt, von lange geschlossenen Flüchtlingscafés und Ausgabestellen der Tafeln bis hin zu den veränderten Serviceangeboten der Verwaltungen und Behörden. So ist beispielsweise das Jobcenter in Simmern seit 18. März komplett für den Publikumsverkehr geschlossen. Auf der Internetseite heißt es: „Die Auszahlung von Geldleistungen hat für uns derzeit Vorrang!“ Der Geschäftsführer des Jobcenters erklärt im Netz weiter: „Ihre Gesundheit und die Gesundheit meiner Beschäftigten stehen jetzt an erster Stelle. Sie brauchen sich keine Sorgen um Ihre finanzielle Absicherung zu machen, die Geldleistungen werden pünktlich überwiesen.“
Arbeit für Integration bleibt auf der Strecke
Abseits von finanziellen Unterstützungsleistungen bleibt die Betreuung und das Arbeiten für und an einer Integration gerade in Zeiten von Corona wohl eher auf der Strecke, wie Stumpenhorst und Besha verdeutlichten. „Die derzeitige Situation erfordert von der Ehrenamtsbegleitung eine besondere Sensibilität“, erklärte Besha. Viele Ehrenamtler sind älter und gelten als gefährdeter durch Corona.
Dabei zeige die aktuelle Situation, dass es viele schutzbedürftige Flüchtlinge gibt, gerade Frauen mit Kindern, die besondere Betreuung bräuchten. Besha und Stumpenhorst warben dafür, die gute Ehrenamtsarbeit im Kreis fortzusetzen und die Struktur zu optimieren. Auch wenn die Anzahl der ankommenden Menschen im Kreis auf aktuell 120 bis 150 pro Jahr gesunken sei (gegenüber mehr als 550 in 2016), seien von den Angekommenen noch gut 300 in der Region, die langfristig eine Perspektive benötigten und eine solche im Umkehrschluss auch für die Gesellschaft bieten könnten.
Landrat Marlon Bröhr lobte das Engagement der kirchlichen Initiativen sowie aller Ehrenamtlichen ausdrücklich und richtete sein Wort stellvertretend an Besha und Stumpenhorst. „Vielen Dank für die Unterstützung der Hauptamtlichen, der Kirchengemeinden und der Ehrenamtlichen“, sagte Bröhr, bevor der politische Austausch begann.
Austausch geprägt von erheblichen Misstönen
In der Folge entwickelte sich ein Austausch, der teils von erheblichen Misstönen geprägt war. Traditionsgemäß wandte sich zunächst CDU-Fraktionschef Wolfgang Wagner ans Plenum. Er betonte, dass die CDU „großen Wert auf gute Integration“ legt. Zudem skizzierte er die gesunkenen Zahlen der Angekommenen in den vergangenen Jahren und dass es von der Lebenshilfe bis zur VBS, über das DRK und kirchliche Träger bis hin zur neu geschaffenen Stelle der Kreisbeauftragten für Integration sowie im Hauptamt zahlreiche Anlaufstellen gibt. „Wir sind ja keine Wüste hier im Rhein-Hunsrück-Kreis“, sagte Wagner. „Wir haben deutlich mehr Beratungsstellen als monatlich Flüchtlinge zu uns kommen.“ Auch vor dem Hintergrund der durch die Corona-Krise massiv veränderten Haushaltsgrundlagen wandte er sich gegen das aus Sicht der CDU zu personalintensive Projekt. „Was wir uns vorstellen können, ist eine Koordinationsstelle für die Ehrenamtlichen“, sagte Wagner – angedockt werden sollte diese „bei den Profis“, also ans Hauptamt der Kreisverwaltung. Der Antrag der kirchlichen Träger sah bezüglich letzterer Position vor, dass eine Vollzeitstelle durch das Projekt finanziert würde, da ein dafür bislang verwendeter Bistumsanteil zum Jahresende ausläuft.
Für die SPD plädierte Klaus Gewehr auf Umsetzung des Konzeptes, das für den Kreis in zwei Jahren Laufzweit Aufwendungen von rund 240.000 Euro bedeutet hätte. „Wer Integration vernachlässigt, handelt gegen die Zukunft unserer Gesellschaft“, sagte Gewehr, der forderte, die Begleitung der Ehrenamtlichen nicht zu vergessen. Angesichts der schwieriger gewordenen Haushaltslage erklärte die FDP-Fraktion dagegen ihre Ablehnung des Antrags. Grundsätzlich, so sagte Fraktionschefin Carina Konrad, hätte sie sich im Vorfeld der Sitzung eine Stellungnahme der Integrationsbeauftragten Sabine Bollhorst gewünscht. Konrad dankte für den Antrag, da er aufzeige, dass bei der Integrationsberatung optimiert werden müsse. In der Sitzung betonte Bollhorst unterdessen, dass die Arbeit der beiden Träger nicht zu bezahlen sei.
Einen Vorschlag der Mitte unterbreitete Stefan Wickert seitens der Freien Wähler. „Integration ist für uns sehr wichtig“, sagte Wickert. Vor dem Hintergrund der bedeutenden Unterstützung der Ehrenamtlichen und der gesunkenen Ankunftszahlen im Kreis sprach er sich allerdings für eine 50:50-Finanzierung aus und beantragte für die Freien Wähler, über die Projektkonzeption unter diesen „gleichberechtigten“ Vorzeichen abstimmen zu lassen. Wickerts Antrag fand schließlich breiten Zuspruch, während der ursprüngliche Antrag abgelehnt wurde.
Die beiden unterschiedlichsten Positionen in der Debatte vertraten AfD und Grüne. Für die AfD sprach Ralf Schönborn, zur Verärgerung gerade in der SPD, von einem „ideologisch motivierten Antrag“. Er erklärte die Integration als gescheitert und sprach von „zweifellos vorhandenen Parallelgesellschaften“. Die Kirchen seien „die größten Profiteure der Flüchtlingssituation“, zudem war die Rede von einer „Asylindustrie“.
Klar hinter den Antrag stellte sich Okka Senst für die Grünen. „Ohne das Diakonische Werk und die Caritas wären wir baden gegangen“, sagte sie und forderte eine langfristige Betrachtung des Integrationsprozesses ein. Zudem mahnte Senst an, dass die vom Bund über das Land bis zuletzt als Integrationspauschale an den Kreis gezahlten Gelder entsprechend verwendet werden. Senst bezifferte die an den Kreis geflossene Gesamtsumme auf 5 Millionen Euro. Diese Gelder hatten bis zuletzt aber keine fixe Zweckbindung.