Kommunalaufsicht stoppt seit Jahrzehnten rechtswidrige Praxis in Boppard - Vorsteher sehen Handlungsspielraum gefährdet
Kommunalaufsicht stoppt rechtswidrige Praxis in Boppard: Verfügungsmittel für Ortsbezirke gestrichen
Der Verkehrs- und Verschönerungsverein Boppard hat unter anderem mithilfe der Verfügungsmittel des Ortsbeirates Boppard Anfang Juli eine Weinbergschaukel im Bopparder Hamm realisiert.
Suzanne Breitbach/Archiv

Die Kommunalaufsicht des Rhein-Hunsrück-Kreises hat mit Schreiben vom 11. November der Stadt Boppard erklärt, dass eine Veranschlagung von Haushaltsmitteln für die Ortsbeiräte ohne eine Zweckbindung gegen das geltende Haushaltsrecht verstößt. In den vergangenen Jahrzehnten sei dies in der Stadt Boppard gängige Praxis gewesen, teilt die Stadtverwaltung Boppard mit.

Lesezeit 3 Minuten

In der Mitteilung der Stadt heißt es weiter: Die Ortsvorsteher beziehungsweise die Ortsbeiräte hätten über sogenannte Dispositionsmittel verfügt, zu denen die Kommunalaufsicht nun nach Abstimmung mit dem Ministerium des Inneren und für Sport mitgeteilt habe: „Die bisherige Veranschlagung dieser Dispositionsmittel im Haushaltsplan der Stadt Boppard ist jedoch nicht mit den gemeindehaushaltsrechtlichen Grundsätzen vereinbar.“

Ausschlaggebende Diskussion im Jahr 2021

Wie die Stadt mitteilt, habe sich Boppards Bürgermeister Jörg Haseneier am 19. August mit einem Schreiben an die Aufsichtsbehörde gewandt und um Klärung des Sachverhalts gebeten. Ausschlaggebend sei dafür die 2021 öffentlich geführte Diskussion um die Küchenkasse in Bad Salzig gewesen.

Boppards Altbürgermeister Walter Bersch hatte seinerzeit Strafanzeigen erstattet, die sich gegen den früheren Ortsvorsteher von Bad Salzig, Wolfgang Spitz, und den Ortsvorsteher von Buchholz, Rudolf Bersch, gerichtet hatten. In Bad Salzig ging es um die sogenannte Küchenkasse und Einnahmen aus Festen, in Buchholz um Bareinnahmen aus der Vermietung des Gemeindehauses, die nicht zeitnah eingezahlt worden seien. Die Staatsanwaltschaft ermittelte. Beide Verfahren wurden eingestellt.

Bürgermeister Jörg Haseneier äußert sich in der Pressemitteilung zur Sachlage: „2021 bin ich in Boppard zum Bürgermeister gewählt worden, weil ich dafür angetreten bin, dass Schluss sein wird mit parteipolitischem Gezänk. Entscheidungen müssen transparent und gesetzeskonform erfolgen. Deshalb habe ich mich auch am 19. August an die Kommunalaufsicht gewandt, da zu diesem Zeitpunkt bereits absehbar war, dass die bisherige Veranschlagung der Dispositionsmittel rechtlich zumindest fragwürdig sein würde.“

Er fügt an: "Stadtverwaltung, Stadtrat und Ortsbeiräte müssen sich in einem rechtssicheren Raum bewegen. Das gilt auch für mich als Bürgermeister. Deshalb müssen diese Abläufe geklärt werden. Strafanzeigen gegen einzelne Ortsvorsteher zu stellen, wie es in der Vergangenheit vor meinen Amtsantritt erfolgt ist, ist nicht meine Art und Weise, solche Dinge zu regeln.“

Laut Mitteilung der Stadt seien die Dispositionsmittel im Jahr 2000 eingeführt worden – „aus welchen Gründen auch immer“, so Haseneier. Damals seien sie unter dem Begriff „Verfügungsmittel“ im Haushalt aufgeführt worden und ein Jahr später in „Dispositionsmittel“ umbenannt worden.

Praxis war rechtswidrig

Nach Informationen unserer Zeitung sei es zunächst um 100.000 D-Mark pro Jahr gegangen, die nach Einwohnerzahl der Ortsbezirke und nach einem Sockelbeitrag anteilig an die Ortsbezirke ausgeschüttet wurden. Nach Einführung des Euro wurden dann 50.000 Euro daraus.

Über die Verwendung entschied jeder Ortsbeirat selbstständig, es erfolgte also keine Kontrolle durch den Stadtrat oder den Bürgermeister, und die Ortsbezirke konnten die jeweiligen Beträge in den vergangenen Jahren auch ansparen, teilt die Stadt mit. Im Jahr 2022 belaufe sich die Gesamtsumme der vorhandenen Dispositionsmittel auf 211.592 Euro. Wie der Stadt Boppard von der Aufsichtsbehörde nun mitgeteilt worden sei, war diese jahrelange Praxis rechtswidrig.

Haseneier dazu: „Die Kommunalaufsicht hat die in der Stadt Boppard vor vielen Jahren eingeführte und bis dato gängige Praxis untersagt, Haushaltsmittel an die Ortsbeiräte als Dispositionsmittel zuzuweisen, über die diese im jeweiligen Haushaltsjahr frei und ohne Zweckbindung verfügen konnten. Ministerium und Kommunalaufsicht haben dieses Vorgehen als rechtswidrig bewertet, daran müssen wir uns als Stadt halten.“

Dies bedeute aber nicht zwingend, dass die Ortsbeiräte künftig über keine finanziellen Mittel mehr verfügen könnten. Es müsse sich aber in einem rechtskonformen Rahmen bewegen. „Darum werden wir uns schnellstmöglich bemühen, und dies muss auch in den kommenden Haushaltsberatungen berücksichtigt werden. Noch in diesem Monat werde ich den Ältestenrat und die Ortsvorsteher zu einer Besprechung einladen“, verspricht Haseneier.

Für die Ortsbeiräte der Stadt Boppard ist die Pressemitteilung der Stadt ein Schlag. Der Ortsbeirat Boppard beispielsweise hat seinen Anteil von jährlich 21 500 Euro in den vergangenen Jahren angespart, um größere Projekte umsetzen zu können. Derzeit sind rund 80.000 Euro verfügbar, die mit sofortiger Wirkung eingefroren sind, was bedeutet, dass einige Vorhaben zunächst mal warten müssen. „Auf den Hauptausschuss dürfte mehr Arbeit zukommen“, sagt Ortsvorsteher Niko Neuser.

Nur noch Empfehlungen möglich

Gleichzeitig könne der Ortsbeirat aus Neusers Sicht keine Beschlüsse mehr fassen und nur noch Empfehlungen an die städtischen Gremien geben. „Mit den Verfügungsmitteln konnten Dinge, die keine Berücksichtigung im Haushalt fanden, aber für den Ortsbezirk wichtig sind, realisiert werden“, bedauert Bad Salzigs Ortsvorsteher Andreas Nick.

Und der ehemalige Beigeordnete der Stadt Boppard, Jürgen Schneider, lange Mitglied im Bopparder Stadtrat, erklärt: „Ich bin mehr als überrascht. Kleinere Ortsbezirke finden sich fast nicht wieder im Haushalt der Stadt Boppard. Aus diesem Grund sollten die Ortsbeiräte mithilfe der Dispositionsmittel in ihrer Funktion gestärkt werden, um eigenverantwortlich Dinge, die in den Ortsbezirken anfallen, zu beschließen und Mittel sachgerecht vor Ort einzusetzen, das war ein gutes Zeichen. Große Entscheidungen stehen dem Ortsbeirat nicht zur Verfügung“, sagt Schneider, derzeit Mitglied im Ortsbeirat Bad Salzig. Er will die Angelegenheit mithilfe des Kommunalbreviers prüfen. red/sub

Top-News aus der Region