Es dauerte kaum mehr als eine Stunde, bis dieser maßgebliche Entschluss zum vierten Tagesordnungspunkt der Sitzung fixiert war – der VG-Rat will die Klage. Einmütig und im breiten Konsens fasste der Rat einen Beschluss, der als Untertitel die Beschreibung „Ende des Zauderns und der Kooperationsbereitschaft im Streit um den Bahnlärm“ tragen könnte. Wer auch immer sich aus dem Rat in dieser Stunde zu Wort meldete, der Tenor war gleich: Es ist genug – die Menschen haben ausreichend gelitten unter der Bahn.
VG-Bürgermeister Thomas Bungert skizzierte eingangs kurz den Weg hin zum anstehenden Rechtsstreit und beschränkte sich auf wenige Kernsätze. Bungert beschrieb auch einen persönlichen „Knacks“, den er erlitt, als er ein Jahr lang im geradezu als legendär geltenden Arbeitskreis zum (vermeintlichen) Tunnelneubau bei Oberwesel einer der zahlreichen regionalen Vertreter war. Damals habe die Bahn signalisiert, dass sie die Menschen bei der Tunnelfrage mitnehmen wolle, auch die Alternativtrasse sei Thema gewesen. Am Ende endete der Arbeitskreis aber im Nirwana. Ein weiterer Frustrationshöhepunkt war die Aussage des Staatssekretärs im Verkehrsministerium, Enak Ferlemann, dass sich die Güterzugfrequenz auf der aktuellen Trasse um den Faktor 10 erhöhen müsse, um eine Alternativtrasse wirtschaftlich zu rechtfertigen. „Meine Kooperationsbereitschaft ist im Laufe der Jahre erheblich geschrumpft“, sagte Bungert. „Meine Erkenntnis ist, dass sich die Bahn leider nur auf medialen Druck bewegt oder durch Entscheidungen deutscher Gerichte.“ Diesen letzten Schritt der Eskalation befürwortete der VG-Chef.
Bungert verwies darauf, dass er sich zwischenzeitlich mit dem Bad Emser Landrat Frank Puchtler verständigt hat, dass dieser als Vorsitzender des Zweckverbands Welterbe das Thema auf die Agenda setzt. Dass Anlass besteht, dieses Thema im Zweckverband und in der Region zu diskutieren, verdeutlichte der anschließende Vortrag des Fachanwalts. Antweiler zeigte sich erstaunt, dass die Bahn und das Eisenbahnbundesamt (EBA) als zuständige Aufsichtsbehörde erklären, dass eine Betriebsgenehmigung besteht, nicht aber, auf welcher Grundlage diese gilt. „Die Bahn sagt nur: Wir sind ja schon immer da, deswegen haben wir Bestandsschutz. Aber Bestandsschutz gibt’s nur, wenn etwas rechtmäßig errichtet wurde“, erläuterte Antweiler. „Wenn ich ein Haus baue ohne Genehmigung, dann ist es egal, ob das Haus 300 Jahre alt ist.“ Wenn die Bahn nicht nachweisen könne, dass die Strecke rechtmäßig errichtet wurde, sind laut Antweiler Auflagen möglich, beispielsweise Geschwindigkeitsreduzierung oder Nachtfahrverbote. Ob auf dem Weg, diese durchzusetzen, eine zivil- oder eher eine verwaltungsgerichtliche Auseinandersetzung anzustreben sei, hänge von prozesstaktischen Erwägungen ab. „Ich habe ein bisschen Präferenz für den Zivilrechtsweg“, sagte er. In einem solchen Verfahren sei die Bahn ein Beklagter wie jeder andere.
Auch das Thema eines möglichen Schadensersatzes griff Antweiler auf. „Beim Schadensersatzanspruch kann ich Ihnen jede Angst nehmen“, sagte er. Teuer wäre nur eine Einstweilige Verfügung, im Zivilrechtsprozess drohe kein Risiko. „Dann gibt es keinerlei Schadensersatzrisiko“, sagte er. Bei einem Verwaltungsgerichtsverfahren seien die Kosten aufgrund eines festen Kataloges sehr überschaubar, beim Zivilprozess sei abzuklären, wie hoch der Streitwert anzusetzen ist. „Viel höher als 1 Million wird der Streitwert nicht sein“, sagte Antweiler – und dies würde Gerichtskosten im unteren fünfstelligen Bereich bedeuten.
Auf Frage von St. Goars langjährigem Stadtchef Walter Mallmann nach vergleichbaren Fällen erläuterte Antweiler, dass es einen vergleichbaren Fall in Nordrhein-Westfalen geben würde und ganz grundsätzlich regelmäßig Klagen von kommunalen Körperschaften gegen die Bahn. Mallmann sagte: „Wir haben alle einen dicken Hals, weil wir alle ein Jahr lang im Arbeitskreis gesessen haben.“
Leidenschaftlich meldete sich Oberwesels Stadtbürgermeister Jürgen Port zu Wort: „Ich möchte ein Plädoyer für die Klage halten. Wenn es nur ein Fünkchen Chance gibt zu obsiegen, dann müssen wir diese nutzen. Für mich ist das jetzt die Ultima Ratio.“ Port erinnerte an verschiedene Erlebnisse nicht nur rund um den Tunnelneubau und erklärte: „Jetzt hier und heute sind wir bei einem Schwur.“ Dies fand parteiübergreifend Zuspruch.
„Wir brauchen ein klares Signal“, sagte Reinhold Rüdesheim, „wir streiten für die Menschen im Tal, auch wenn der Weg nicht leicht sein wird. Das ist ein Votum für die Menschen hier am Mittelrhein.“ Der Gerichtsweg stelle eine neue Ebene dar, sei aber die einzige Möglichkeit. Pia Trimpe-Müller erklärte: „Mir gefällt es sehr gut, dass die Sache jetzt Fahrt aufnimmt.“ St. Goars Stadtchef Horst Vogt fügte an: „Sagen Sie Ja zu einer Klage gegen die Bahn!“ Er zeigte sich zuversichtlich, „dass unsere Anwaltskosten wie im Verfahren gegen den Prinz von Preußen nicht von uns, sondern von der Bahn getragen werden“. Er signalisierte, dass der VG-Rat sich Chancen ausrechnet, erfolgreich zu sein.
Der Grundsatzbeschluss zur Klage wurde ohne Gegenrede gefasst. Jetzt gilt es laut VG-Bürgermeister Bungert herauszufinden, ob das gesamte Tal dahintersteht.