Festspielfreunde, die das Programm der fünften Auflage des Festivals durchstöberten, mögen vielleicht so ungläubig reagiert haben wie Edgar Reitz. Aber die Künstlerin Anja Verbeek von Loewis hatte die Zuschauer genauso schnell von ihrer faszinierenden Arbeit überzeugt wie 1989 den Filmemacher, als dieser in den Dreharbeiten zu „Die Zweite Heimat – Chronik einer Jugend“ steckte.
Damals in München, in der Architekturabteilung der Universität, schneite Anja Verbeek von Moewis eines Tages herein und fragte, ob sie die Dreharbeiten zeichnerisch dokumentieren dürfe. Schnell hatte der Regisseur erkannt, was für ein Talent da um Erlaubnis gebeten hatte, denn „sie hat die Szenen mit ihrem Tuschepinsel in rasender Geschwindigkeit innerhalb von 10 bis 15 Minuten festgehalten“, erinnerte sich Edgar Reitz am Sonntag im Rahmen des Filmgesprächs im Pro-Winzkino.
Dass nach mehr als 30 Jahren die damals entstandenen Werke der Öffentlichkeit endlich in einer Ausstellung präsentiert werden, geht auch auf Reitz zurück. Irgendwie habe es sich nie ergeben, die Bilder zu zeigen, aber nun, im Vorfeld der Filmfestspiele, „hatte Edgar die Idee, mich an sie zu wenden, dann nahmen die Dinge ihren Lauf“, sagte die Künstlerin am Dienstagabend. „Mit „sie“ war Kristina Müller-Bongard gemeint, Leiterin des Hunsrück-Museums, die sich um die Aktivitäten im Edgar Reitz Filmhauses kümmert.
Bei der Konzeption der Ausstellung sei schnell die Idee aufgekommen, dass Edgar Reitz etwas zu den ausgestellten Bildern schreibt. „Aber obwohl Edgar Reitz ein Wunder ist mit seinen 90 Jahren, hat er die Aufgabe dann doch Thomas Hönemann überlassen“, berichtet die Künstlerin.
Hönemann ist einer der größten Anhänger und Kenner der „Heimat“-Trilogie und betreibt die Internetseite „heimat123“, die eine wahre Fundgrube an Informationen zu Edgar Reitz und seinem Epos ist und stets aktuelle Ereignisse dokumentiert. Ihm vertraute Reitz die Aufgabe an, aus Reitz-Zitaten die jeweils zu den Zeichnungen passenden Begleittexte zusammenzustellen. Und auch wenn die Bilder schon für sich allein wirken, entfacht die Kombination mit den Zitaten zusätzliche Wirkung beim Betrachter.
Nachhaltigen Eindruck hinterließ die Künstlerin dann nach dem Ausstellungsbesuch. Da malte sie auf dem Fruchtmarkt und wurde dabei von oben gefilmt. Projiziert auf die Großleinwand, verfolgten die Zuschauer eine traumwandlerisch sicher über das Papier huschende Hand, deren atemberaubende Pinselführung – laienhaft beobachtet – mit einem Vertikalstrich das Bein eines Menschen entstehen ließ. Die herausgearbeitete Kniekehle, die Ausdehnung der Wade, die Verjüngung zum Fuß hin – alles in einem einzigen Pinselstrich.
Auf diese Weise entstanden Bilder, frei improvisiert. „Nichts ist geplant, ich lasse mich tragen von der Atmosphäre, dem Ort, den Zuschauern und der Musik“, bekannte die Malerin. Die musikalische Begleitung steuerten Ludger Bartels (Saxofon, Percussion, Gitarre) und Frederick Verbeek (Klavier) bei.
Einen Eindruck der Dreharbeiten von 1989 erhalten Besucher der Ausstellung auch durch Jan Verbeek. Der Bruder von Anja durfte auf Super 8 die Dreharbeiten dokumentieren und spielte auch als Komparse mit. Sein kurzer Film ist im Museum zu sehen. tor
Die Ausstellung im Edgar Reitz Filmhaus in Simmern läuft noch bis 30. Dezember.