Während gut gelaunte Menschen am Mittwochabend bei der Weinhexennacht in Oberwesel gemeinsam feierten, war es Roland Schmelzeisen so gar nicht zum Feiern zumute. Denn der Uhrmacher hatte sich für einen traurigen Schritt entschieden: Am 30. April schloss er sein Juweliergeschäft in der Oberweseler Rathausstraße für immer. Damit verliert die Stadt der Türme und des Weins nicht nur ein alteingesessenes Geschäft, es geht auch eine 70-jährige Familientradition zu Ende.

Die hätte Schmelzeisen gern in andere Hände übergeben, berichtet er, doch all seine Bemühungen schlugen fehl. „Dabei habe ich wirklich alle Register gezogen“, sagt er. Vier Jahre lang habe er über die IHK und die IHK-Lotsen, über die Unternehmensnachfolge-Börse des Bundeswirtschaftsministeriums „nexxt-change“, über Meisterschulen und Außendienstler versucht, einen Nachfolger zu finden. Dass ihm das nicht gelingen würde, das habe er nicht erwartet, sagt Schmelzeisen. Daher habe er in den vergangenen Jahren auch nicht aufgehört, weiter in die Modernisierung seines Unternehmens zu investieren. „Ich habe die Ladenbeleuchtung auf LED umgerüstet, einen Onlineshop eingerichtet und die Klimatisierung erneuert“, zählt er etwa auf. Zudem verfügte er über einen festen Kundenstamm, von dem ein Nachfolger hätte profitieren können. „Gerade im ländlichen Raum ist die Bindung zur Kundschaft noch da“, sagt er. Und das sei für beide Seiten gut. Obendrein habe er mit den beiden Goldschmiedinnen Corinna Ruwisch und Kathrin Reichenecker und der Fachverkäuferin Claudia Nirschl ein tolles und vor allem versiertes und verlässliches Team gehabt.
„Ich kann mir das wirklich nicht erklären“, sagt er. Sein Geschäft sei immer gut gegangen, er habe 35 Jahre lang gut davon gelebt. „Das wäre auch noch 30 Jahre gut gegangen“, ist er sicher. Zumal er nicht jeden Trend habe mitgehen müssen, denn er und sein Team setzten vor allem auch auf Nachhaltigkeit. „Wir haben eine Werkstatt und reparieren viel“, sagt er. Das wussten auch seine Kunden zu schätzen, die ihm gerade in den letzten Wochen geradezu den Laden einrannten mit Reparaturaufträgen. „Wir konnten am Ende gar nicht mehr alle annehmen“, sagt Schmelzeisen, der auch über die Schließung hinaus nun noch Arbeit haben wird, bis noch alle angenommenen Aufträge abgearbeitet sind. „Meine Mitarbeiterinnen haben gearbeitet wie die Verrückten“, sagt er. Sie zeigten vollsten Einsatz bis zum Schluss, ist er dankbar.

Auf sein Team lässt er auch sonst nichts kommen. „Das ist ja fast wie eine Familie“, sagt er. Immerhin verbringe er mit den Kolleginnen fast mehr Zeit als mit der eigenen Ehefrau. Da wundert es nicht, dass auch die drei Frauen so gar keinen Grund zur Freude haben – wenngleich sie alle eine gesicherte Zukunft an anderer Stelle haben. Allein eine Kollegin sucht noch eine Stelle als Goldschmiedin. Doch das sieht Schmelzeisen gelassen: „Sie ist top und hatte eine gute Schule, sie findet sicher was“, sagt er. Einen Abschiedssekt haben sie sich noch gegönnt am Mittwochabend nach Ladenschluss, eine Feier wird es aber erst mal nicht geben. „Vielleicht verbringen wir demnächst noch ein Wochenende zusammen“, sagt er.
Schmelzeisen selbst will in seinem Ruhestand mehr Zeit mit Wandertouren verbringen. Doch von Uhren wird er auch nicht die Finger lassen. „Ich habe noch mehrere Hundert Uhrwerke in meiner Sammlung“, sagt er, darunter auch seltenere Stücke. Somit könne er Kollegen Ersatzteile anbieten, die auf dem normalen Markt nicht mehr erhältlich seien. Doch dafür gelte es zunächst, Rädchen, Schrauben und andere Kleinteile von Armband-, Taschen- und Großuhren zu erfassen und zu archivieren. „Ich könnte mir vorstellen, später eventuell einen Shop für Fachkollegen einzurichten“, sagt er. Immerhin liegt ihm die Präzisionsarbeit des Uhrmachers derart im Blut, dass er hin und wieder sogar vergesse, die Lupe vom Auge zu nehmen, wenn er die Werkstatt verlässt, erzählt er lachend.

„Ich habe immer auch für meinen Beruf und mein Geschäft gelebt und viele Stunden investiert“, sagt er. Da wurde etwa abends auf dem Sofa noch über eine Werbekampagne oder die Buchhaltung nachgedacht. Selbstständigkeit bedeute zudem, selbst entscheiden zu können. „Allerdings trägt man dann auch Fehlentscheidungen selbst“, räumt er ein. Selbstkritik und Selbstverantwortung gehörten ebenso dazu. „Das ist eine gute Schule fürs Leben“, sagt Schmelzeisen. Unterstützung habe er dabei stets auch von Kollegen bekommen, mit denen er sich regelmäßig in einer „Erfa-Gruppe“, einer Erfahrungsaustauschgruppe, getroffen habe. Dieser bleibe er auch weiterhin treu. „Diese Gruppe war vor einigen Jahren mein Gamechanger“, sagt er. Damals, im Jahr 2004, habe er über einen Standortwechsel nachgedacht. Dass der aber nicht die gewünschte Veränderung bringen würde, hatten seine Kollegen ihm schmerzlich deutlich gemacht. „Da habe ich ordentlich Kritik einstecken müssen“, erzählt er. Der Effekt: Neue Sortimente, neue Dienstleistungen und ein Ladenumbau brachten die Wende. „Es ist wichtig, sich zu vernetzen und immer offen zu bleiben“, sagt er.
Doch offenbar sei für all das die jüngere Generation nicht mehr bereit. Nun bleibt dem Uhrmacher in den kommenden Monaten nur, die Räume leer zu machen und die Werkstätten auszuräumen und zu verkaufen – in der Hoffnung, Interessenten dafür zu finden. Und vielleicht auch einen, der das Ladengeschäft in der Rathausstraße wieder mit Leben füllt.