Der 5. Band der Reihe spielt an Schauplätzen und sogar Tatorten vom Hochwald bis an den Rhein. Die erste Geschichte reicht zurück ins 19. Jahrhundert, alle anderen spielen im 20. Jahrhundert: eigentlich gar nicht so lange her, aber welch ein Wandel der Lebenswelt zu heute.
Es beginnt mit der Geschichte „Der Aufbruch“. Geschildert wird das unromantische Leben eines Müllers im 19. Jahrhundert. Anton Gräf, geboren als Sohn der Gräfsmühle bei Mittelstrimmig, hatte damals keine Freiheit in der Berufswahl und musste den Familienbetrieb übernehmen. Sein Lebensweg war bis zum Brand der Mühle am 20. November 1883 und seinem gleichzeitigen Verschwinden bleischwer vorgezeichnet. Erst 1922 kam überraschende Kunde aus Chicago.
Hermeskeil ist nicht nur Ortsname
Ebenfalls eine sozialkritische Geschichte ist „Der neue Hermeskeiler“. Sie endet mit dem Mord an Johann Georg Hartmann in Börfink am 28. Juli 1912. Hermeskeiler sind nicht nur die Bewohner des gleichnamigen Ortes, sondern besondere Stöcke, die damals im Hochwald von Männern auch als Statussymbole getragen wurden. Johann Georg Rosar, der Mörder in der Geschichte, hatte sich endlich einen stattlichen Hermeskeiler leisten können, aber der Tag, an dem er ihn der Öffentlichkeit präsentierte, wurde nicht so triumphal wie erhofft. Das Leben in Börfink und Umgebung war geprägt von starken sozialen und konfessionellen Gegensätzen. Die Herkunftsfamilie gab auch hier den Lebensweg vor, Aufstieg war kaum möglich, und in diesem Klima gab es Erniedrigungen und zornige Hilflosigkeit. Dieser Frust und eine Unmenge Bier führten letztlich zum Mord. Leona Riemann gelingt es, diese Lebensbedingungen sehr anschaulich und gut recherchiert in eine spannende Erzählung zu packen.
Auch in der dritten Geschichte geht es um Zwänge in der Lebensplanung, die heute für uns unvorstellbar sind. Kirchenglocken stehen im Zentrum der dritten Geschichte „Der Klang der Glocken von Morshausen“. Diese wurden am 9. Mai 1926 geweiht, nachdem die alten Glocken im Ersten Weltkrieg konfisziert und eingeschmolzen worden waren. Zwei berühmte Söhne des Dorfes, der Lehrer Jakob Kneip und Dr. Johannes Kaster, standen als Paten der großen Glocken – Fräulein Anna Gräf, im Dorf mit Kneip und Kaster aufgewachsen, für die kleine Glocke. Als Lehrerin in Bonn unterlag sie dem Lehrerinnenzölibat, trotz für die Zeit ungewöhnlicher Bildungsmöglichkeit war eine ganz selbstbestimmte Lebensplanung auch für sie nicht möglich.
Leben zur Zeit des Zweiten Weltkriegs
In die Zeit des Zweiten Weltkriegs führt die Reportage „Der verwundete Schutzengel“. Sie erzählt die Lebensgeschichte von Ludwig Bettendorff, Pfarrer in Heimbach von 1920 bis 1945. Er hat mit großem Enthusiasmus in seiner Gemeinde gewirkt, den Bau der Schutzengelkirche im Ort möglich gemacht. 1939 wurde er nach Dachau gebracht, überlebte und kam schwer gezeichnet zurück. Seine letzte Pfarrstelle war in Monzel an der Mosel.
Drei biografische Erzählungen der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg bilden den Abschluss und beleuchten Hunsrücker Lebensgeschichten wieder im Spiegel der kleinen großen Geschichte. Zunächst erzählt Heinrich Kauer aus Argenthal vom Jahr 1945 und seinen Erlebnissen als Jugendlicher mit der französischen Besatzung im Hunsrückdorf in „Aug in Aug mit dem ,Erbfeind’“.
Hunsrücker Schiefer und der Beruf des „Layebrechers“ zwischen 1948 und 1968 formten die Erinnerung „Schieferliebe“ von Aloysius Backes aus Bundenbach. Der Schiefer und die Arbeit unter Tage prägten ihn. In seinen Schilderungen der Bergwerksarbeit wird an ein ganz besonderes und zugleich zentrales Kapitel Hunsrücker Geschichte erinnert.
Kontakt zu Papst Franziskus
Zum Abschluss des Buches wird in „Beten Sie für mich!“ die Lebensgeschichte von Helma Schmidt in Boppard erzählt. Durch das Goethe-Institut kamen viele internationale Studenten nach Boppard und lebten dort bei Familien, so auch Jorge Mario Bergoglio, der seit 1985 den Kontakt mit Helma Schmidt behält, auch jetzt in seinem aktuellen Amt als Papst Franziskus.
Der 5. Band „Hunsrücker“ mit seinen knapp 160 Seiten ist gut erzählt und macht neugierig auf weitere Informationen aus der Hunsrücker Geschichte. Durch die Buchaufteilung, in der zunächst der Inhalt mit den Fakten, anschließend die spannend erzählten Begebenheiten Platz gefunden haben, ist das Buch informativ, aber nicht überfrachtet. Leona Riemann zeigt meisterhaft, was im Hunsrück alles passierte und was nicht vergessen werden sollte. Es gelingt ihr hervorragend, den Spagat zwischen Lokalkolorit und Weltgeschichte an spannenden Beispielen in die-sen fünften Band zu packen. Man darf gespannt sein, welche Hunsrücker in Band 6 zu entdecken sein werden.
Weitere Infos zum Verlag gibt es im Internet unter www.verlag-hunsruecker.de, einen Deeplink zu Buchinhalten finden interessierte Bürger unter www.verlag-hunsruecker.de/band-5. Das Buch ist im Handel erhältlich (ISBN: 978-3-9822731-4-3).