Mit diesem, von der Kritik damals hochgelobten, vom breiten Publikum aber leider verkannten und nicht sehr geschätzten Film, wird am Samstagabend, 13. Juli, um 21.30 Uhr das Filmfest Simmern eröffnet. Simmerns Ehrenbürger Edgar Reitz wird als Schirmherr zu Gast im Pro-Winzkino sein.
Vom 13. Juli bis zum 23. August steht passend zum Motto des rheinland-pfälzischen Kultursommers „heimat/en“ der Heimatfilm im Mittelpunkt des neu geschaffenen Filmfestivals. Der Heimatfilm erfährt gerade wieder eine kleine Renaissance. Bis Edgar Reitz seine Trilogie „Heimat“ schuf, war dieses Genre mit einer negativen Bedeutung verknüpft. Der Missbrauch durch die Naziideologie und das Eintauchen in den Heile-Welt-Kitsch der 1950er-Jahre sorgten für das negative Image. Beim Filmfest in Simmern sollen die Besucher entdecken, wie sich die Darstellung von Heimat im Laufe der Jahrzehnte gewandelt hat. „Die Reise nach Wien“ ist der ideale Einstieg dafür.
Toni und Marga träumen von kleinen und großen Fluchten
Die Geschichte spielt in einem Ort im Hunsrück im Jahr 1943: Die blonde Toni, dargestellt von Elke Sommer, und die brünette Marga (Hannelore Elsner), deren Männer an der Front sind, träumen im Kriegsalltag von den kleinen und großen Fluchten. Ihr Städtchen im Hunsrück erstickt sie in ihrer Sehnsucht nach dem Leben, sie haben ständig Angst, etwas zu verpassen. Heimlich schlachten die beiden ein Schwein und umgarnen einen Jagdflieger, zu dessen Ehren ein Fest veranstaltet wird. Zufällig finden die Freundinnen eine Zigarrenkiste voller Geld. Spontan beschließen sie, ihre Abenteuerlust zu stillen und auf die Reise zu gehen. Ihr Ziel ist Wien. In der mondänen Metropole erleben sie allerdings nur Enttäuschungen. Desillusioniert und völlig pleite kehren die beiden Frauen in den Hunsrück zurück. Dort erwartet sie ein Ermittlungsverfahren wegen Schwarzschlachtung, doch die beiden jungen Frauen wissen den zuständigen Ortsgruppenleiter (Mario Adorf) so zu kompromittieren, dass dieser selbst in weit größere Schwierigkeiten gerät.
Die Geschichte hat, wie bei vielen Filmen von Edgar Reitz, einen autobiografischen Hintergrund. Bei der Beerdigung seines Vaters blätterte der Regisseur mit seiner Mutter in alten Familienalben. Dabei entdeckte er Bilder, die seine Mutter mit einer Freundin im Jahr 1943 todschick gekleidet vor dem Schloss Schönbrunn in Wien zeigen. Reitz begann, die Geschichte zu recherchieren. Daraus entstand der Stoff für seine „Reise nach Wien“.
Manfred Faust, von 1997 bis 2012 Bürgermeister der Verbandsgemeinde Simmern, war damals Büroleiter im Rathaus. Er erinnert sich noch genau, wie Simmern im Frühjahr 1973 zur Filmstadt wurde. Edgar Reitz kannte sich genau aus, denn am Herzog-Johann-Gymnasium hatte er 1952 Abitur gemacht. In seinen letzten Schuljahren lebte er in einer Schülerpension in Simmern. Sein Mitschüler Kurt Schöllhammer war Anfang der 1970er-Jahre Simmerns Bürgermeister. Er sagte Reitz nach der Präsentation seiner Pläne alle Unterstützung zu. Die Hunsrückhalle wurde während der Dreharbeiten zur großen Garderobe umfunktioniert. Im städtischen Bauhof kamen die Requisiteure und die Filmfassadenbauer unter. Die Feuerwehr und andere Institutionen halfen, wo immer sie konnten.
Simmern war damals in einer Umstrukturierung von einer Beamten- und Verwaltungsstadt zu einem multifunktionalen Mittelzentrum. Reitz legte großen Wert darauf, dass die in Frage kommenden Drehorte möglichst das authentische Bild der Stadt Simmern in den 1940er-Jahren widerspiegelt. Im Bereich der Koblenzer Straße wurden daher etwa einige für die Sanierung notwendigen Abrissmaßnahmen alter Häuser verschoben.
Der von Reitz vorgesehene Umzug durch die fahnengeschmückte Innenstadt konnte so wunschgemäß erfolgen. Durch den Film erlebte der Simmerner Bahnhof nach seiner Stilllegung im Jahre 1970 auch eine kurze Wiedergeburt. Denn zum Empfang eines Ritterkreuzträgers machte hier ein Sonderzug mit einer historischen Dampflok Halt. Hunderte von Zuschauern standen in den zeittypischen Anzügen und Kleidern Spalier. An mehreren Drehtagen war die gesamte Innenstadt in ein rotes nationalsozialistisches Fahnenmeer gehüllt.
Das Interesse der Bevölkerung an den Dreharbeiten war damals riesengroß. Kinder, Jugendliche und Erwachsene meldeten sich nach einem Aufruf zur Besetzung von Statisten und Nebenrollen. Alle Hände voll hatten die Friseure zu tun, um allen Komparsen – ganz im Gegenteil zum aktuellen Zeigeschmack – einen der Nazizeit entsprechenden kurzen Haarschnitt zu verpassen. Auf große Resonanz stieß der Aufruf der Requisiteure nach Einrichtungsgegenständen, Klamotten und Utensilien aus den 1940er-Jahren.
Sichtlich wohl fühlten sich auch die Schauspieler in Simmern. Elke Sommer und Hannelore Elsner, beide damals schon gefeierte Filmstars, logierten stilgemäß im Ersten Haus am Platz, dem heute noch als „Ruine“ existierenden, mitten in der Fußgängerzone stehenden „Hotel zur Post“. Mario Adorf kam nur zu den Drehtagen in den Hunsrück. Während der Drehpausen gaben die Schauspieler Autogramme und unterhielten sich mit den Einheimischen. Elke Sommer spielte auch mal eine Runde Skat mit Simmerner Handwerkern.
Gesangsduo Sommer/Elsner erhält Nachhilfe in Altweidelbach
Weil sie gemeinsam ein Lied singen sollten, aber nicht den richtigen Ton trafen, erhielt das Gesangsduo Sommer/Elsner Nachhilfeunterricht bei dem Musikpädagogen Josef Keller in Altweidelbach. Sein Sohn Lothar, ein damals 23-jähriger Musikstudent, war fasziniert von diesen besonders reizvollen Schülerinnen in seinem Elternhaus. Zudem wurden im Fotolabor von Harald Mayer massenweise Hakenkreuze und Reichsadler vergrößert, die als zeitkonforme Dekoration vielfache Verwendung fanden.
Schmunzelnd erinnert sich heute noch Faust an einen Empfang des Filmteams durch die Stadt nach dem Abschluss der Dreharbeiten. Der Saal im Schloss war gut gefüllt, die Reden der Honoratioren ellenlang. Sehr zum Ärger einer hungrigen Elke Sommer, die offenkundig auf die Eröffnung des Buffets wartete. Irgendwann war sie die Faxen dick, schritt zum reichlich gedeckten Tisch und machte sich den Teller voll.
Karten im Vorverkauf für die „Reise nach Wien“ und weitere Informationen inklusive einer Broschüre zum Festival gibt es im Pro-Winzkino Simmern, unter Tel. 06761/7748, unter www.filmfest-simmern.de und unter www. pro-winzkino.de/heimaten