„Schwerer sexueller Missbrauch von Kindern“ – steht auf der Infotafel draußen auf dem Flur vor dem Sitzungssaal Sieben des Landgerichts Bad Kreuznach. Hat ein 53-jähriger Mann aus dem Rhein-Hunsrück-Kreis einem Teenager ein Bild seines entblößten Geschlechtsteils geschickt? Hat dieser Mann junge Mädchen aufgefordert, Nacktbilder von sich zu machen und ihm zu schicken? Wollte er sich gar mit ihnen treffen, um mit ihnen „Sex zu machen“? Dominik Radzivilovskij, Vertreter der Staatsanwaltschaft Bad Kreuznach, ist felsenfest überzeugt davon. Der Beschuldigte soll zudem mehrfach in den verschiedensten Internetforen Kontakt zu minderjährigen Mädchen aufgenommen haben, obwohl dies dem einschlägig Vorbestraften von Rechtswegen strikt untersagt war.
Insgesamt zwölf Delikte werden dem 53-Jährigen vorgeworfen. Er befindet sich momentan in Untersuchungshaft in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Rohrbach. Nachdem am ersten Prozesstag die Anklageschrift verlesen worden ist, macht der Beschuldigte beim ersten Fortsetzungstermin vor der 5. Strafkammer des Landgerichts Bad Kreuznach am Dienstag Angaben nicht nur zu seiner Person und zu seinem Lebenslauf, er äußert sich auch zu den Beweggründen seiner Taten. Dabei verliert er sich in abenteuerlich anmutende Entschuldigungen und Behauptungen, spricht von einem ominösen pädophilen Bekannten mit Namen Tim, vor dem er die jungen Mädchen habe beschützen wollen. An viele der Vorwürfe könne er sich nicht mehr erinnern, andere entsprächen nicht der Wahrheit, erklärt er im Dialog mit der Vorsitzenden Richterin Annegret Werner.
Einzelkind mit Zwangsstörung, immer wieder von Mitschülern gehänselt
Zuvor gibt es einen Rückblick auf das Leben des Angeklagten: Einzelkind mit Zwangsstörung, immer wieder von Mitschülern gehänselt, Hauptschule abgebrochen, Förderschule, wiederholt geschwänzt und schließlich ganz fern geblieben, mit 15 oder 16 Jugendhilfezentrum, dort nach eigenen Angaben sexuell missbraucht und geschlagen worden. Dann wieder nach Hause gezogen, Trennung der Eltern, Mutter ohne Geld, Strom abgestellt, zeitweise obdachlos. Plötzlich die scheinbare Wende: Nach Abendschule macht er den Abschluss in der Förderschule und Hauptschule. Eine Ausbildung bricht er wenig später ab, mit Gelegenheitsjobs hält er sich zeitweise über Wasser. Hauptsächlich lebt er von Arbeitslosengeld II. Wegen eines Unfalls mit einem Fahrrad ist er zu 60 Prozent schwerbehindert. Freundinnen zwischendurch – teilweise haben diese Freundinnen Kinder, mit einer der Frauen hat er einen Sohn. Der Kontakt zu ihm ist nahezu abgerissen. Seit 2006 hat der Beschuldigte einen Vormund.
Der Angeklagte ist bereits zuvor zweimal wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in jeweils mehreren Fällen verurteilt worden, saß deswegen mehrere Jahre in Haft. Seit 2021 steht er unter Führungsaufsicht und darf keinen Kontakt zu minderjährigen Mädchen aufnehmen – weder physisch noch virtuell. Gegen die Weisung soll der Mann im vergangenen Jahr mehrfach verstoßen haben. Laut Anklage hat der Rhein-Hunsrücker mindestens zehn Mädchen unter 18 Jahren im Internet angeschrieben und mit ihnen gechattet haben.
„Das ist völlig normal, Süße, das kannst du ruhig machen.“
Mit diesen Worten soll der Angeklagte das Mädchen aufgefordert haben, ihm Nacktbilder von sich zu schicken.
Wie das im Einzelnen vonstattengegangen ist, möchte das Gericht in Gesprächen mit den betroffenen Mädchen erfahren. Sie sollen per Video zugeschaltet und befragt werden. Eine heute 18-Jährige macht den Anfang. Sie sei im Sommer 2024 von dem Beschuldigten, der sich als 20- oder 21-Jähriger ausgegeben habe, geaddet – also angeschrieben – worden. Es habe sich langsam ein Vertrauensverhältnis aufgebaut, bis der Chatpartner plötzlich Nacktbilder von dem Teenager verlangt habe. „Das wir mir doch sehr komisch“, bekennt die junge Frau mit stockender Stimme. Doch der Beschuldigte habe entgegnet: „Das ist völlig normal, Süße, das kannst du ruhig machen.“ Nachdem sie immer wieder bedrängt wird, gibt sie nach. Anfangs ist sie auf den Fotos noch teilweise bekleidet, es folgen Aufnahmen von entblößten Beinen, vom Oberkörper, schließlich auch vom Intimbereich.
Der Mann habe ihr auch Fotos von seinem Geschlechtsteil gesendet. „Aber ich wollte die gar nicht anschauen“, sagt das Opfer. Sie habe sich aber nicht getraut, etwas zu ihm zu sagen – aus Angst, dass er sich dann nicht mehr meldet. Der Mann – so beschreibt es die Zeugin – sagt, er wolle eine Beziehung, spricht sogar von Familie. Gleichzeitig bietet er an, dass das Mädchen zu ihm kommen könne, um Sex zu haben. Als das Mädchen sagt, dies nicht zu wollen, bricht der Kontakt ab. Nachrichten und Anrufe des Teenagers werden ignoriert. Anfangs sei sie darüber traurig gewesen, gibt die junge Frau zu. Nahezu gleichzeitig entdeckt die Pflegemutter die Nachrichten auf dem Mobiltelefon des Mädchens, stellt sie zur Rede. „Meine Mutter hat mir die Augen geöffnet“, sagt die 18-Jährige.
Drei weitere Zeuginnen sollen am dritten Prozesstag, Freitag, 11. April, angehört werden. Am Dienstag, 15. April, werden vier Polizeibeamte und die Bewährungshelferin des Beschuldigten aussagen.