Dass das Günderodehaus ein Schatz ist, dürfte längst kein Geheimnis mehr sein. Zumindest Freunde der „Heimat“-Filme von Edgar Reitz kennen den bezaubernden Platz hoch über Oberwesel. Aber jetzt ist die Einzigartigkeit dieses Kleinods auch offiziell belegt, denn die Europäische Filmakademie (EFA) hat das Gebäude und seine unmittelbare Umgebung als „Treasure of European Film Culture“ ausgezeichnet, also als Schatz europäischer Filmkultur.
Wer sich damit schwertut, diese Auszeichnung hinsichtlich ihrer Bedeutung einzuordnen, muss nur nachschauen, welche Orte in Deutschland außerdem als Schätze eingestuft wurden. Bis Samstag war es nur einer: das 1912 gegründete Filmstudio Babelsberg in Potsdam. Es ist das älteste Großatelier-Filmstudio der Welt. Filme wie Fritz Langs „Metropolis“ (1927) oder „Inglourious Bastards“ (2009) von Quentin Tarantino sind dort entstanden.
Schauplatz für große Teile von „Heimat 3“
Und blickt man über Deutschland hinaus, finden sich auf der Schatzliste der EFA solch illustre Filmschauplätze wie der berühmte Trevi-Brunnen in Rom, in dem in Federico Fellinis „La dolce vita“ Anita Ekberg und Marcello Mastroianni nachts ein Bad nehmen. Oder der Buchladen an der Portobello Road im Londoner Stadtteil Notting Hill, in dem in der gleichnamigen romantischen Filmkomödie von Roger Michell Julia Roberts und Hugh Grant, alias Anna Scott und William Thacker, sich zum ersten Mal verliebt in die Augen schauen. Nennen kann man an dieser Stelle auch das Riesenrad im Wiener Prater aus „Der dritte Mann“ mit Josef Cotton und Orson Welles oder einen der bekanntesten Drehorte der Filmgeschichte: die Potemkinsche Treppe in Odessa/Ukraine aus Sergej Eisensteins Stummfilm „Panzerkreuzer Potemkin“.
Das Günderodehaus befindet sich also in bester Gesellschaft. Mit Recht, denn wer einmal dort oben einen Kaffee getrunken und die Aussicht auf den Rhein bei Oberwesel genossen hat, zweifelt die Schönheit dieses Platzes sicher nicht an. Und schließlich ist auch ein bedeutender Film entstanden. Edgar Reitz inszenierte dort große Teile von „Heimat 3“. Die Kulisse für seinen Film entstand aus einer 200 Jahre alten Ruine und einem Neubau.
Haus sollte eigentlich wieder abgerissen werden
Von einer Firma, die sich auf die Restaurierung und Versetzung alter Bausubstanz spezialisiert hatte, kaufte Reitz das in Seibersbach eingelagerte, baufällige Haus. Oberhalb von Oberwesel wurde es wieder aufgebaut. Dort wohnen im Film Hermann Simon, gespielt von Henry Arnold, und Clarissa Lichtblau, verkörpert von Salome Kammer, die Ehefrau von Reitz. Eigentlich sollte das Haus nach Ende der Dreharbeiten wieder abgerissen werden, es war nur als sogenannter fliegender Bau genehmigt worden. Oberwesels Stadtbürgermeister Jan Zimmer erinnerte daran im Rahmen der Feierstunde zur Aufnahme des Günderodehauses in die European Film Treasures durch die EFA.
Deren Direktor Matthijs Wouter Knoll bekannte, er sei im Sommer 2022 „fast versehentlich“ über diesen einzigartigen Ort gestolpert. Die Akademie wähle jedes Jahr Orte in Europa aus, die als Filmschätze infrage kommen. „Es sind rund 60 Orte, die diesen Status haben“, berichtet der EFA-Direktor. „Es sind Monumente der Filmgeschichte.“
Johann Lafer machte einen Rückzieher
Die Europäische Filmakademie wurde 1988 gegründet, um die Interessen der europäischen Filmindustrie zu vertreten. Sitz des Vereins ist Berlin. Die EFA vereint aktuell rund 5500 Filmschaffende aus mehr als 50 Ländern. Seit 1988 verleiht sie jedes Jahr den Europäischen Filmpreis. „Europa ist der Kontinent, wo der Film geboren wurde“, betonte Matthijs Wouter Knoll und berichtete, er habe sich bei seinem ersten Besuch am Günderodehaus „sofort in diesen Platz verliebt“.
Mit dafür verantwortlich sind nicht nur die exponierte Lage und das wunderbare Ambiente, sondern auch das Engagement der Familie Bolland, die das Haus 2002/2003 unter ihre Fittiche nahm, nachdem die Stadt Oberwesel mit dem ersten Pächter kein Glück hatte. Zuvor war sogar Fernsehkoch Johann Lafer ein heißer Kandidat, das Anwesen zu übernehmen, doch der machte kurz vor Unterzeichnung des Vertrags einen Rückzieher.
Ich bin Edgar Reitz sehr dankbar, dass er das Haus geschaffen hat.
Elke Bolland
Heute kann Elke Bolland, deren Tocher Janine jetzt das Haus führt, mit Recht von einem „bewegenden Moment“ sprechen, denn viel persönliches Engagement, Idealismus, eine Investitionssumme von rund 650.000 Euro und jede Menge Arbeit haben sich gelohnt und lohnen sich noch immer. „Nach zwei Jahrzehnten bin ich immer noch überrascht, wie hoch die Bedeutung der Heimat-Filme nach wie vor ist. Ich bin Edgar Reitz sehr dankbar, dass er das Haus geschaffen hat“, sagt Elke Bolland. „Der Film läuft drinnen bei uns immer, und die Gäste schauen sich gern die Bilder von den Dreharbeiten an, die im Haus aufgehängt sind“, ergänzt Janine Bolland. „Die Leute kommen, weil es das Filmhaus ist“, sagt Franziskus Weinert, Mitglied im Stadtrat Oberwesel.
Offizielles Schild überreicht
Jan Zimmer blickte zurück auf die Bürgerinitiative, die seinerzeit den Abriss des Filmhauses verhindert hatte. Vor allem seinem damaligen Amtsvorgänger Manfred Zeuner und dem seinerzeit amtierenden Bürgermeister der Verbandsgemeinde St. Goar-Oberwesel, Thomas Bungert, sei es zu verdanken gewesen, dass das Günderodehaus stehen bleiben durfte. Zimmer sprach seinen Dank an die aktuellen Betreiber dann auch im Namen der Stadt Oberwesel aus: „Wir sind froh, dass Familie Bolland das Haus mit Leib und Seele und viel Idealismus führt.“ Wolfgang Spitz, als Erster Kreisbeigeordneter in Vertretung von Landrat Volker Boch anwesend, nannte das Günderodehaus „ein Aushängeschild des Rhein-Hunsrück-Kreises. Es tut uns gut.“ Im Beisein von Mittelrhein-Weinkönig Felix überreichte zum Abschluss der EFA-Direktor das offizielle Schild, das am Eingang des Günderodehauses einen Ehrenplatz bekommen wird.