Das Thema Pflanzenschutz erhitzt die Gemüter bereits seit Sommer vergangenen Jahres. Im Juni hatte die EU-Kommission einen Entwurf für eine neue Verordnung zur nachhaltigen Verwendung von Pflanzenschutzmitteln veröffentlicht. Im Rhein-Hunsrück-Kreis wird nicht nur unter den direkt betroffenen Landwirten, Winzern und im Agrarbereich Tätigen diskutiert, sondern auch im Kreisausschuss, bei den politischen Parteien auf Kreisebene und beim Bauern- und Winzerverband Rheinland-Nassau.
Der Kreisbauernverband sieht in dem Entwurf der EU-Pflanzenschutzverordnung „Sustainable Use Regulation“ (SUR) eine Gefahr für die Landwirte und Winzer im Rhein-Hunsrück-Kreis. Das berichten Bastian Faust, der Kreisvorsitzende des Bauern- und Winzerverbands Rheinland-Nassau, sein Stellvertreter Oswald Wölbert sowie Winzer Winfried Persch im Gespräch mit unserer Zeitung.
Die EU-Kommission plant, den Einsatz von chemischen Mitteln bis 2030 deutlich zu reduzieren (siehe Infokasten). Doch was als Naturschutzmaßnahme unter anderem zum Schutz von Insekten geplant ist, kann auf der anderen Seite möglicherweise auch wirtschafts- und existenzbedrohende Folgen haben – für Landwirte, Winzer und Mitarbeiter in den meist mittelständischen Familienbetrieben. Auch Öko-Winzer sind betroffen, denn auch sie benötigen Mittel, um Reben beispielsweise vor Pilzkrankheiten wie dem falschen Mehltau zu schützen.
Regionale Winzer halten den EU-Entwurf zum Pflanzenschutz für quasi nicht umsetzbar. Damit, so die Sorge, besteht eine Gefahr für den Weinbau im Weltkulturerbe.EU-Entwurf zum Thema Pflanzenschutz: Spitzenlagen am Mittelrhein droht das Aus
Der Entwurf sieht unter anderem vor, die Menge der eingesetzten Pflanzenschutzmittel (etwa Herbizide, Fungizide und Insektizide) zu halbieren. Auf sensiblen Flächen sollen dementsprechend gar keine Mittel mehr ausgebracht werden. Unter diese Flächen fallen diverse Naturschutz- und Wasserschutzgebiete. Und darin sieht Faust auch schon eines der großen Probleme. „Wir haben in Deutschland sehr viel mehr Schutzgebiete ausgewiesen, als es etwa in Frankreich der Fall ist. In Rheinland-Pfalz fallen 28 Prozent der Flächen unter diese sensiblen Flächen“, sagt Faust, der seinen Betrieb in Niederweiler hat. Auf diesen Flächen ist dann nur noch eine mechanische Bearbeitung der Böden erlaubt.
„Eine mechanische Bearbeitung ist zwar möglich, aber mit immensen Kosten verbunden“, sagt Wölbert, der seinen Hof in Beulich hat. „Gegen die Quecke zum Beispiel haben wir alle fünf bis sechs Jahre einmal gezielt Glyphosat eingesetzt. Die Kosten für eine Bekämpfung durch Pflügen wären fünf- bis sechsmal so hoch.“ Bei der Ausweisung der Naturschutzgebiete habe es noch die Absprache gegeben, dass dort eine Bewirtschaftung weiter möglich sein soll, berichtet Faust. „Diese Vereinbarung fällt uns Bauern jetzt auf die Füße.“
Durch die Hintertür trockengelegt
Der SUR-Entwurf schränke die Produktion ein, ist er sicher. „Im besten Fall gehen die Erträge nur zurück. Beim Anbau von Futtergetreide kommen viele noch mit mechanischer Bodenbearbeitung klar.“ Den Raps hingegen könne man ohne Insektizide nicht vor Schädlingen schützen. „Wenn wir die Qualitätsgetreide nicht mehr mit Pflanzenschutzmitteln gesund halten können, fallen diese Getreide weg.“ Landwirte befürchten, dass die Reduzierung der Mittel um die Hälfte Resistenzen fördern. Dadurch fallen Wirkstoffe weg. „Wir werden durch die Hintertür trockengelegt“, beschreibt es Faust.
Der Mitteleinsatz sei in den vergangenen Jahren schon reduziert worden, sagen die Vertreter des Kreisbauernverbands, das sei unter anderem ein Verdienst des Konzepts des Integrierten Pflanzenschutzes, das man seit den 1990er-Jahren verfolge. „Wir arbeiten mit ordentlichen Fruchtfolgen und müssen somit weniger Pflanzenschutzmittel einsetzen. Uns noch weiter einzuschränken, das ist fernab jeder Realität“, sagt Wölbert. Es gebe hohe Auflagen zu erfüllen und viele Nachweise zu erbringen, die Spritzen würden vom TÜV geprüft und die Anwender geschult, erklärt Faust.
„Hinzu kommt, dass die meisten Betriebe heute mittelständische Unternehmen sind und auch so wirtschaften müssen. Mit Pflanzenschutz sind hohe Kosten verbunden – niemand spritzt mehr als er muss“, sagt Faust. Er sieht vor allem auch ein Problem in der pauschalen Mengenbegrenzung um die Hälfte. „Jedes Jahr ist anders und jede Gemarkung ist unterschiedlich. Ich wirtschafte auf zwölf Gemarkungen, die kann man nicht pauschal behandeln. Überall setze ich so viel wie nötig, aber so wenig wie möglich ein.“ Diese Flexibilität sei durch den SUR-Entwurf gefährdet. „Unserem Berufsstand wird die Fachkompetenz aberkannt“, kritisiert Wölbert.
Während eine mechanische Bodenbearbeitung auf Äckern noch möglich sei, falle diese Option als Alternative in vielen Weinbergen aus. So hat Persch, der sein Weingut in Oberwesel hat, in einer Terrassenlage bereits einen halben Hektar Weinberg gerodet. „Glyphosat ist für die Herbizidbekämpfung weggefallen und mit Maschinen komme ich dort nicht rein“, sagt Persch. Je nach Witterung ist für die Winzer Pilzbefall ein großes Problem. Um gegen Pilzkrankheiten wie den Mehltau vorzugehen, sei man auf Pflanzenschutzmittel angewiesen. „Man muss doch auch mal Vertrauen in unseren Berufsstand haben, dass wir wissen, was wir tun“, sagt Persch (mehr über die Auswirkungen der SUR auf den Weinbau auf Seite 21).
Zunahme von Importen befürchtet
Der Oberweseler Winzer sieht die zunehmenden Einschränkungen als einen Hinderungsgrund für Betriebsübernahmen an die nächste Generation. Hinzu kommen auch Auswirkungen auf die Landbesitzer, ergänzt Wölbert. Wenn eine Fläche für den Weinbau oder die Landwirtschaft nicht mehr attraktiv ist, wird es für die Eigentümer schwer, sie zu verpachten.
„Wir können uns in Deutschland noch selbst ernähren. Wenn hier nur noch weniger Lebensmittel angebaut werden können, müssen wir mehr importieren. Das fehlt dann an anderen Stellen und wir forcieren damit auch den Hunger in der Welt und kommen unserer Verantwortung für die Welternährung nicht nach“, sagt Faust. Hinzu kommt seiner Meinung nach, dass die Landwirte in Deutschland qualitativ hochwertige Lebensmittel produzieren und hohe Standards einhalten. Ob sich die Erzeuger in anderen Ländern auch nach diesen Standards richten, werde bei importierten Lebensmitteln häufig nicht entsprechend hinterfragt.
Bei einer Sitzung des Kreisausschusses Ende des vergangenen Jahres gab es Diskussionen, als eine Resolution gegen weitere Verbote von Pflanzenschutzmitteln zur Abstimmung stand. Letztlich hat der Kreisausschuss eine von der FDP-Fraktion eingebrachte Resolution mit dem Namen „Kein Verbot für Pflanzenschutz in Schutzgebieten. Winzern und Landwirten im Rhein-Hunsrück-Kreis Zukunftsperspektiven geben!“ mit zehn Ja-Stimmen angenommen.
Die FDP erwartet demnach, dass nach dem EU-Entwurf Pflanzenschutzmaßnahmen in Vogelschutzgebieten und weiteren unter Schutz stehenden Gebieten, aber auch agrarwirtschaftlich genutzten Flächen künftig stark eingeschränkt oder ganz verboten werden. Für Landwirte und Winzer würde das Ende des integrierten Pflanzenschutzes einen massiven Ertragsrückgang bedeuten. Demnach stehen diese Berufsgruppen ohnehin bereits unter großem Druck, weil der Klimawandel und die damit einhergehende Trockenheit sie schon vor große Herausforderungen stelle.
Man muss doch auch mal Vertrauen in unseren Berufsstand haben, dass wir wissen, was wir tun.
Winzer Winfried Persch über die neue Pflanzenschutzverordnung
Falls Pflanzenschutzmaßnahmen weiter ausgeweitet würden, würde dies Existenzen von Landwirten und Winzern bedrohen. „Der Großteil der Rebflächen an der Mosel könnte nicht mehr bewirtschaftet werden. Für den Weinbau und den Tourismus wäre das fatal. Die Resolution soll ein Zeichen setzen, dass wir diese Gefahr abwenden wollen“, sagte die Vorsitzende der FDP-Kreistagsfraktion, Carina Konrad, als sie die Mitglieder des Kreisausschusses um Zustimmung zur Resolution bat.
Dabei wäre es nicht darum gegangen, Umwelt- und Naturschutzgebiete einzuengen oder Ängste zu schüren. „Pauschale Verbote aber nehmen den Betrieben jede Handlungsmöglichkeit, auf Schädlinge oder Pilze zu reagieren“, so Konrad. Andernfalls erwartete man von den Landwirten und Winzern eine Quadratur des Kreises: mitten im Klimawandel die Produktivität erhöhen, um Ernteausfälle infolge des Ukrainekriegs abzumildern, ohne gleichzeitig die Pflanzen vor Schädlingen schützen zu dürfen.
Durch den EU-Verordnungsentwurf wäre durch den Schutz „ökologisch empfindlicher Gebiete“ in ganz Rheinland-Pfalz auf rund einem Drittel der landwirtschaftlich genutzten Flächen eine Bewirtschaftung unmöglich. Aus der SPD-Fraktion im Kreisausschuss kam indes Kritik an dem FDP-Antrag: Er wirke so, als würde er aus der Zeit der letzten Bundesregierung stammen. Er stehe für ein „Weiter so“ beim Einsatz von Pestiziden und dies sei nicht unterstützenswert, sagte die Sprecherin der Kreis-SPD, Katharina Monteith. Auch aus der Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen kam Kritik. „Wir stimmen nicht zu“, so die Fraktionsvorsitzenden Daniela Lukas-von Nievenheim.
In der vom Kreisausschuss beschlossenen Resolution steht letztendlich, dass die EU statt auf Pauschalverbote auf eine Artenvielfalt setzen sollte, die auf operative, freiwillige und innovative Maßnahmen setzt. Dafür sei sowohl beim ökologischen als auch beim sogenannten integrierten Anbau ein Mindestmaß an Pflanzenschutzmitteleinsatz nötig.
Damit sollte ein Zeichen an Landwirtschaft und Weinbau im Landkreis gesendet werden, dass die Kreisverwaltung sich für eine Infrastruktur einsetzt, „die unterstützt statt zu behindern“. Damit das Thema, wie aus Reihen der CDU-Fraktion betont wurde, an den entscheidenden Stellen außerhalb des Hunsrücks Gehör finden würde, beauftragte der Kreisausschuss die Verwaltung, die Resolution an die Landes- und Bundesministerien, Abgeordnete sowie die Landwirtschaftskammer weiterzuleiten.
EU-Entwurf einer neuen Verordnung zur nachhaltigen Verwendung von Pflanzenschutzmitteln
Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft erklärt: Die im Oktober 2020 beschlossene „Farm-to-Fork“-Strategie der EU-Kommission betont die Notwendigkeit eines fairen, gesunden und umweltfreundlichen Ernährungssystems. Sie gibt dafür etwa das Ziel vor, den Einsatz und das Risiko von Pestiziden bis 2030 zu halbieren. Aus Sicht der EU-Kommission weisen die bisherigen Regeln zum Einsatz von Pestiziden in der EU jedoch deutliche Schwächen im Vollzug auf. Die EU-Kommission wird darin u.a. durch einen Bericht des Europäischen Rechnungshofs bestätigt. Sie hat daher am 22. Juni 2022 den Entwurf einer Verordnung zur nachhaltigen Anwendung von Pflanzenschutzmitteln veröffentlicht – die „Sustainable Use Regulation“ (SUR).
Diese neue Pestizid-Verordnung soll die Ziele der „Farm-to-Fork“-Strategie und der Biodiversitäts-Strategie rechtlich verankern. Mit dieser Verordnung will die Kommission in der EU eine landwirtschaftliche Praxis sicherstellen, die gleichermaßen für eine langfristige Ernährungssicherheit sorgt, die öffentliche Gesundheit und die Umwelt schützt sowie die Artenvielfalt erhält. Die neue Verordnung wird in allen Mitgliedsstaaten direkt verbindlich sein, ohne dass sie durch nationale Gesetze umgesetzt werden muss. Damit soll auch ein „Level Playing Field“ in der EU garantiert werden, also gleiche Wettbewerbsbedingungen für alle EU-Mitgliedstaaten. bf/red