Waldweide fördert Diversität
Fröhliches Gemecker lockt nach Tiefenbach
Die 42 Thüringer Waldziegen - darunter 22 Jungtiere - genießen sichtlich ihr neues Zuhause am Rande des Soonwalds. Dort sollen sie einen wichtigen Beitrag zur Erhöhung der Biodiversität leisten.
Charlotte Krämer-Schick

Die Wiederbelebung der alten Tradition, Waldflächen mit Ziegen zu beweiden, soll die Artenvielfalt erhöhen. Außerdem soll die Waldweide bei Tiefenbach der Umweltbildung und dem Tourismus dienen – inklusive des lustigen Gemeckers der Vierbeiner.

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Fröhliches Gemecker ist im Hintergrund zu hören, als sich zahlreiche Tiefenbacher und andere Gäste in der Gemarkung „Auf der Holzbacher Heide“ zusammenfinden. Sie sind gekommen, um die Tiefenbacher Waldweide feierlich zu eröffnen. Das besondere Kooperationsprojekt der Ortsgemeinde mit dem Forstamt Simmern und dem Naturpark Soonwald-Nahe soll eine alte Bewirtschaftungsform wiederbeleben – und gleichzeitig die Artenvielfalt erhöhen.

Bürgermeisterin Julie Kaiser-Girard (rechts) stellt das Projekt im Beisein von Landrat Volker Boch (von links), Ziegenhirte Michael Pütz und Michael Boos, Bürgermeister der Verbandsgemeinde Simmern-Rheinböllen, vor.
Charlotte Krämer-Schick

Hauptakteure dabei sind natürlich die mittlerweile 42 Thüringer Waldziegen von Michael Pütz. 2017 hatte er mit drei Exemplaren der bedrohten Ziegenrasse angefangen, seither hat ihn die Leidenschaft für die hübschen Tiere nicht mehr losgelassen. 22 Jungtiere springen zwischen den großen Ziegen umher und nutzen einen Totholzhaufen zum Toben. Sie fühlen sich sichtlich wohl auf ihrer gut einem Hektar großen neuen Weide. Allein der Applaus der Gäste verschreckt sie ein wenig, nachdem Bürgermeisterin Julie Kaiser-Girard das Projekt vorgestellt hat.

Entstanden ist die Idee innerhalb der Projektgruppe Hochwasserschutz und Umweltschutzmaßnahmen (PGHU) der Ortsgemeinde, berichtet Kaiser-Girard. Initiator sei Hartmut Frohnweiler, Revierleiter im Staatswald Schlierschied, gewesen, der seine fachliche Expertise einbringen konnte. Ihm zur Seite stand etwa Christa Michel, zudem zeigten Michael Pütz, dessen Onkel und viele weitere Aktive vollen Einsatz, um das Dorfprojekt umzusetzen. „Mehr als 300 Holzpfosten wurden in den Boden geschlagen, um die Weide einzuzäunen“, zeichnet die Bürgermeisterin nach. Der Kettensägenkünstler Andy Assmann steuerte passende Sitzgelegenheiten bei. So können Wanderer und andere Neugierige das Gemecker der Vierbeiner fortan ganz in Ruhe genießen.

„Wo Ziegen sind, gibt es Gemecker.“
Landrat Volker Boch

„Besonders stolz sind wir, dass das Projekt aus der Dorfprojektgruppe heraus entstanden ist“, sagt Kaiser-Girard. Es werte die Gemarkung auf und gebe ein schönes Bild. All das gehe nur mit großem ehrenamtlichem Engagement. „Zumal es keine einfache Geburt war“, sagt sie. „Wo Ziegen sind, gibt es Gemecker“, entgegnet Landrat Volker Boch indes mit einem Augenzwinkern. Am Ende werde das Projekt vom Dorf getragen. „Und das wiederum trägt die Projekte im Naturpark: dass sie von der Bevölkerung getragen und angenommen werden“, ist Boch sicher. Er wünsche sich daher, dass das Gemecker bald aufhöre – zumindest jenes außerhalb der Waldweide. Es stecke viel Arbeit in der Realisierung, Entwicklungsarbeit und gestalterische Arbeit, und es sei dem Naturpark ein Herzensanliegen, die Region voranzubringen. „Ich bin dankbar für jedes Projekt diesseits des Soonwaldkamms“, macht Boch deutlich und ist froh darüber, dass der Naturpark mit ins Boot geholt wurde. „Wir profitieren alle davon und ich bin gespannt auf die Erkenntnisse, die das Projekt bringen wird“, sagt Boch. „Und wenn es Gemecker gibt, lassen sie es auf der Weide“, rät er.

Christa Michel und Hartmut Frohnweiler, Mitglieder der Projektgruppe Hochwasserschutz und Umweltschutzmaßnahmen (PGHU) der Ortsgemeinde Tiefenbach, berichteten, wie es zu der Idee kam, eine Waldweide zu realisieren.
Charlotte Krämer-Schick

Tatsächlich könnte die Waldweide zu einem wichtigen Forschungsobjekt werden. Eine Studie habe gezeigt, dass man sich in einer Zeit eines hohen Insektensterbens befinde, sagt Frohnweiler. „Wir brauchen aber viel Biodiversität, viele Insekten und eine möglichst hohe Artenvielfalt“, sagt er. In der Tiefenbacher Gemarkung aber befinden sich einige Flächen, die sich durch Verbuschung und Sukzession zu einem Wald mit eher geringer Biodiversität entwickelt haben. Dort hatten sich etwa einzelne solitäre Eichen, einige Kiefern und Wildobstbäume etabliert, vor allem aber Weichhölzer wie Aspe oder Erle, berichtet Christa Michel von der Projektgruppe. Die Artenvielfalt auf diesen Flächen wieder zu erhöhen, ist ein Ziel des Projekts. Und da der Flurname „Auf der Holzbacher Heide“ darauf schließen lässt, dass an dieser Stelle früher Beweidung stattfand, lag es nahe, diese ursprüngliche Nutzung wiederherzustellen. „Durch die Beweidung nimmt die Artenvielfalt zu“, weiß Michel.

„Die ein oder andere Allerweltsart wird verschwinden, seltenere Arten werden dazukommen.“
Jane Dietrich vom Naturpark Soonwald-Nahe

Zunächst galt es, die Weichhölzer von der Fläche zu entfernen. In einem zweiten Schritt wurden Mäander und Kolke angelegt – kleine wassergefüllte Vertiefungen also. Beides soll die Abflussgeschwindigkeit des Wassers verringern und so die Hochwassergefahr reduzieren. Zudem wird das wertvolle Nass im Wald gehalten, das Wasser in den Kolken steht den Tieren zur Verfügung. Die 42 Thüringer Waldziegen haben nun die Aufgabe, die so entstandene Fläche vor einer erneuten Verbuschung zu bewahren. Da die Vierbeiner neben Gehölzen auch gern Gräser und Kräuter fressen, sollen dort nach einer gewissen Zeit nährstoffarme Böden entstehen, die sich durch eine große Artenvielfalt auszeichnen. Beispiele dafür sind etwa die Naturschutzgebiete „Im Eschen“ und die „Glashütter Wiesen“ im Soonwald. „Wir schaffen hier einen Lebensraum für lichtbedürftige Pflanzen und Tiere“, erklärt Martin Scherschlicht, Leiter des Forstamts Simmern. Der selektive Verbiss der Ziegen schaffe einen Rahmen für konkurrenzstarke Arten. So hätten weniger dominantere Arten eine bessere Chance, sagt er.

Diese Entwicklung der Fläche wird wissenschaftlich begleitet, wie Jane Dietrich vom Naturpark berichtet. „Es hat eine Erhebung bei der Freistellung der Fläche gegeben“, sagt sie. Dabei wurden auch im Rahmen von Magisterarbeiten die Vegetation, Fluginsekten und Käfer aufgenommen. „Solche Bestandsaufnahmen sind nun circa alle drei Jahre geplant“, sagt sie und ist sicher: „Die ein oder andere Allerweltsart wird verschwinden, seltenere Arten werden dazukommen.“

Michael Pütz haben es die Thüringer Waldziegen angetan. 2017 startete er mit drei Tieren, heute hat er 42. Mit den Vierbeinern bietet er auch Wanderungen durch den Soonwald an.
Charlotte Krämer-Schick

Doch nicht nur diesen ökologischen Nutzen haben die Tiefenbacher bei ihrer Waldweide im Blick. Denn neben dem Erhalt der vom Aussterben bedrohten Nutztierrasse Thüringer Waldziegen und der regionalen Fleischerzeugung soll sie auch der Umweltbildung und dem Tourismus dienen. Für Letzteres sorgt Ziegenhirte Pütz ohnehin schon seit einigen Jahren. Er bietet in regelmäßigen Abständen Ziegenwanderungen durch den Soonwald an. Von einer besonderen Erfahrung berichtet Pütz auch bei der Eröffnung der Waldweide. Er habe einmal eine Wanderung mit der Lebenshilfe gemacht. „Zuerst hatten die Teilnehmer richtig Angst vor den Tieren“, erzählt er. Einer der Teilnehmer habe Pütz dann aber genau beobachtet und ihm später alles nachgemacht. „Die Ziegen sind ihm dann gefolgt“, sagt er. Und am Ende habe er ihn auch noch dazu gebracht, etwas zu essen – zur Verwunderung der Betreuer. „Es ist unglaublich, wie sich durch die Ziegen alle verändert haben“, sagt er erstaunt.

Wer das erleben mag, kann das am 1. Juni tun, denn dann steht die nächste Wanderung mit den Thüringer Waldziegen auf dem Programm des Naturparks Soonwald-Nahe. Wem das aber zu viel Bewegung ist, der kann sich das Gemecker auch einfach in Tiefenbach anhören. Die Waldweide befindet sich am Ende der Hauptstraße, dort, wo der Hahnenbach aus dem Soonwald in Richtung Brühlbach fließt, und damit unweit des Schinderhannes-Soonwald-Radwegs. Wer aus Richtung Riesweiler geradelt kommt, biegt direkt am Ortseingang links ab und fährt auf die Waldweide zu – immer dem Gemecker nach.

Wanderung mit Thüringer Waldziegen

Die nächste Wanderung mit Michael Pütz und seinen Thüringer Waldziegen findet am Sonntag, 1. Juni, um 9 Uhr statt. Die circa drei- bis vierstündige Tour führt durch Wälder, über einen alten Bahndamm, vorbei an Wiesen und Feldern und richtet sich an Familien mit Kindern ebenso wie an Erwachsene. Da die Ziegen oft stehen bleiben, um zu fressen, müssen sich die Teilnehmer auf ihr Verhalten und ihr Tempo einstellen. Es wird also viele Pausen zum Beobachten der Tiere geben. Der genaue Treffpunkt in Tiefenbach wird bei Anmeldung bekannt gegeben. Die Strecke ist nicht für Kinderwagen geeignet, Hunde sind nicht erlaubt. Die Teilnahme kostet drei Euro, die Anmeldung erfolgt bei Michael Pütz per E-Mail an mpuetz-tiefenbach@t-online.de

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