Forstamt Boppard setzt auf Saatgut aus eigenen Beständen und Erkenntnisse der Forschungsanstalt FAAW
Epigenetik gibt Hoffnung für den heimischen Wald: Förster setzen auf Saatgut aus dem Stadtforst Boppard
Ortstermin im Bopparder Stadtwald mit Forstamtsleiter Axel Henke (von links), Jule Nauen, Baumschule Lürssen, mit Pudeldame Emma, Revierförster Johannes Nass und Stefan Seegmüller von der Forschungsanstalt für Waldökologie und Forstwirtschaft Rheinland-Pfalz (FAAW) Foto: Philipp Lauer
Philipp Lauer

Boppard. Bäume können gewisse Eigenschaften schon an die nächste Generation weitergeben, berichtet Stefan Seegmüller von der Forschungsanstalt für Waldökologie und Forstwirtschaft Rheinland-Pfalz (FAAW) bei einem Besuch im Bopparder Wald. Das habe man in Untersuchungen von Saatgut aus verschiedenen Regionen in Klimakammern beobachtet. „Das gibt uns Hoffnung, dass die nächsten Generationen Bäume besser mit Trockenheit umgehen können“, sagt Seegmüller.

Lesezeit 4 Minuten

Anpassungen der Genetik dauern sehr lange, weil eine Eiche etwa 40 Jahre wächst, bis sie die ersten Eicheln bildet, sagt Axel Henke, Leiter des Forstamts Boppard. „Die Eichen sind seit der Eiszeit hier und haben sich seitdem in Naturverjüngung gehalten“, sagt Seegmüller. Bei der Weitergabe von Informationen an die nächste Generation spreche man von Epigenetik. „Ein alter Baum, der in Trockenstress gerät, kann nur die Informationen aus seinen Genen abrufen, um damit umzugehen“, sagt Seegmüller. Bildlich gesprochen, schlägt er immerzu im gleichen Nachschlagewerk nach. Vergleichbar mit einem Post-it in einem Lexikon, versehe der Baum bestimmte Genome mit Methylgruppen, sozusagen um die häufig gebrauchte Information schneller zu finden.

Man habe etliche physiologische Parameter an Bäumen aus verschiedenen Regionen untersucht und festgestellt, dass sie sich unterschiedlich verhalten. Die Untersuchungen haben ergeben, dass die Eicheln diese unterschiedlichen physiologischen Strategien mit in die Klimakammer nehmen, die Bäume diese also an die nächste Generation weitegegeben haben.

Eine der weitergegebenen Eigenschaften, die Wissenschaftler in den Klimakammern beobachteten, sind unterschiedliche Strategien im Umgang mit Trockenheit, erklärt Seegmüller. Wenn es für die Bäume zu trocken wird, schließen sie ihre Stomata, also die Spaltöffnungen in den Blättern, über die der Gasaustausch läuft. Der Austausch von Sauerstoff und CO2 findet dann nicht mehr statt. Im Blatt sammelt sich Sauerstoff an, und es entstehen giftige Stoffe wie Wasserstoffperoxid.

Physiologische Prozesse im Blick

Sammeln sich zu viele giftige Stoffe an, sterben zunächst einzelne Zellen, dann die Blätter, der Baum wirft sie frühzeitig ab. Bis zu einem gewissen Maß überlebt der Baum die Trockenheit. Folgen jedoch mehrere trockene Jahre aufeinander, verhungere der Baum mit der Zeit und werde anfälliger für Schädlinge.

Eine verbreitete Reaktion von Bäumen darauf ist die Bildung von Gerbstoffen, die Elektronen „schlucken“ und abtransportieren können. „Da investieren viele Bäume richtig Energie, teilweise machen Gerbstoffe bis zu 10 bis 15 Prozent der Trockensubstanz aus“, sagt Seegmüller. „An trockenen Standorten, an denen häufiger die Assimilation eingestellt werden muss, können Bäume nicht so große Mengen Gerbstoffe bilden. Hier setzen die Bäume stattdessen auf Vitamin C, um das Wasserstoffperoxid abzubauen“, erklärt Seegmüller.

Die physiologischen Prozesse zu betrachten, also wie sich die Bäume mit ihrer Umwelt auseinandersetzen, sei besonders wichtig, weil die Umwelt nicht mehr stabil ist, sagt Seegmüller. Die Forstwissenschaft müsse heute vorausschauen, welche Verhältnisse in 100 bis 200 Jahren vorherrschen werden, denn mit diesen müssen die Bäume dann klarkommen. Andererseits müssten die Bäume auch noch mit Spätfrösten zurechtkommen, sodass die Auswahl immer auch ein Spagat sei, gibt Henke zu bedenken. Bei der Anlage neuer Kulturen müsse man auf zwei Dinge strikt achten: Erstens sollten die Bäume zum Standort passen und zweitens aus der Region stammen. „Beides wurde hier in Boppard hervorragend beachtet“, sagt Seegmüller.

Um die nächste Generation Wald zu sichern, haben die Förster in Boppard auf Saatgut aus dem Stadtwald gesetzt. „Wenn die Naturverjüngung nicht ausreicht, um die Schäden infolge von Trockenheit und Stürmen auszugleichen, muss man Pflanzen zukaufen“, sagt Revierförster Johannes Nass. Im Stadtwald habe man rund 30 Hektar zugelassene Saatgutbestände, davon 17 Hektar mit Traubeneiche. Um daraus neue Pflanzen zu gewinnen, arbeite man mit einer ortsnahen Baumschule zusammen.

Wald nimmt Emissionen auf

Die Forstbaumschule Lürßen mit Sitz in Denzerheide bei Bad Ems hat im Herbst 2022 insgesamt 34 Tonnen Traubeneicheln gesammelt, davon stammen 1,7 Tonnen aus Boppard, berichtet Jule Nauen von der Baumschule. Daraus sind knapp drei Millionen Pflanzen gewachsen, entsprechend rund 150.000 bis 180.000 aus dem Bopparder Saatgut. Die ersten Pflanzen haben den Betrieb in diesem Jahr wieder verlassen, um andernorts gepflanzt zu werden. Maximal drei Jahre wachsen die Bäume in der Baumschule, danach werde es zunehmend schwerer, sie ohne Beschädigung zu verpflanzen, erklärt Nauen.

Die Herausforderungen des Klimawandels könne man nicht einfach mit dem Pflanzen wärmeresistenter Baumarten lösen, sagt Axel Henke. Man müsse das Risiko streuen und auf mindestens drei, besser noch fünf bis sieben verschiedene Arten setzen, um einen klimaresilienten Mischwald zu erhalten. „Die Vegetationsform Wald verabschiedet sich am Mittelrhein stellenweise schon. Auch wenn sie sich verändern wird, müssen wir versuchen, sie solange wie möglich zu erhalten. Der Wald kann zum einen Opfer des Klimawandels werden, aber auch die Lösung. In Rheinland-Pfalz nimmt der Wald 25 Prozent der CO2-Emissionen auf“, sagt Henke. Um bestmöglich aufgestellt zu sein, setze das Forstamt Boppard neben der eigenen Erfahrung auch auf die Unterstützung von Unternehmen und der Wissenschaft. Mit der Forschungsanstalt für Waldökologie und Forstwirtschaft Rheinland-Pfalz (FAAW) habe Landesforsten ein wissenschaftliches Netz, das Privatanbietern fehle. So habe man bei Versuchen in Boppard auch wichtige Erkenntnisse zu mit mediterranen Baumarten wie der Flaum- und der Zerreiche gewinnen können.

Von Philipp Lauer

Top-News aus der Region