Aus der Enge der Provinz ausbrechend, packt ein junger, sensibler, hochbegabter, sich nach der weiten Welt und der Liebe dürstender junger Mann aus dem Hunsrück, Anfang der 1960er-Jahre seine Koffer und gelangt nach München. Diese Person namens Hermann Simon war in seinem Vorleben das Hermännche, die Hauptfigur aus dem Film „Heimat“ von Edgar Reitz.
Der Protagonist will kein Massenmensch sein. Er lernt Hochdeutsch, geht zur Uni, wird zum Künstler und Komponisten – in der ungewohnten Klangwelt der Neuen Musik. Es gelingt ihm, in eine Wohngemeinschaft mit Gleichgesinnten einzusteigen. Allgegenwärtig ist der Muff der Nachkriegszeit und der Adenauer-Ära. Hermann verliebt sich in zwei Frauen, Schnüsschen und Clarissa.
Aus dieser Geschichte, die immer auch ein Teil seiner eigenen Vita ist, machte Edgar Reitz eine Fortsetzung der elfteiligen Serie „Heimat – Eine deutsche Chronik“, die im bundesdeutschen Fernsehen ausgestrahlt und ein großer Publikumserfolg wurde. Konsequenterweise folgte „Die zweite Heimat – Chronik einer Jugend“. Damit schrieb Reitz zwar keine Fernseh-, aber Filmgeschichte.
Zu langatmig fürs Pantoffelkino
Für das große Publikum und den kleinen Fernsehschirm in heimischen Wohnzimmern war das Spiegelbild seiner Zeit allerdings viel zu langatmig. 25 Stunden, 15 Minuten und 9 Sekunden, aufgeteilt in 13 Folgen zwischen 108 und 133 Minuten, waren dem normalen TV-Konsumenten nicht zumutbar. Die Filmrollen verschwanden im Archiv.
Vier Jahre lang dauerte nun die digitale Restaurierung des Mammutwerkes anlässlich des 90. Geburtstages von Edgar Reitz am 1. November 2022. Jetzt kehrt „Die zweite Heimat“ auch in das Kino im Hunsrück zurück. Am Freitag, 18. November und Samstag, 19 September, jeweils von 9.30 bis 22 Uhr, gehen im Pro-Winzkino in Simmern zehn Folgen über die Leinwand. In Pausen werden Mittagessen, Abendessen, Kaffee, Tee und Kuchen gereicht.
Am Sonntagmorgen, 20. November, um 9.30 Uhr geht es weiter. Und von 12 bis 14 Uhr wird zu einem Empfang zu Ehren von Edgar Reitz ins Schloss geladen. Von 14 bis 19 Uhr folgen dann die restlichen Teile 12 und 13 von „Die Zweite Heimat“.
Zum Abschluss treffen sich die Heimatfreunde im Edgar Reitz Filmhaus. Regisseur Edgar Reitz, seine Ehefrau und Hauptdarstellerin Salome Kammer, sowie Henry Arnold, der in der „Zweiten Heimat“ die Rolle des Herrmann Simon verkörperte, werden am kommenden Wochenende zeitweise in Simmern anwesend sein.
Kriegerdenkmal und Lenin
Das Edgar Reitz Filmhaus wird am Sonntag um 16 Uhr offiziell eröffnet. Kristina Müller-Bongard, Leiterin des Hunsrück-Museums, gibt schon einmal einen Vorgeschmack auf die Exponate. Am spektakulärsten dürften das Kriegerdenkmal aus „Heimat 1“ und das mehr als 4 Meter hohe Lenindenkmal aus „Heimat 3“ sein. Das Kriegerdenkmal hat bereits sein neues Domizil im ehemaligen Haus des Raumausstatters Ziegelmayer bezogen. Es befand sich bislang in Privatbesitz und wurde für das Hunsrück-Museum erworben.
Die Lenin-Statue stand 2004 vor dem Simmerner Schloss und warb für die Heimat-Abteilung im Museum. Dann gewährte Eckhard Braun dem Standbild auf dem Gelände seines Steinmetzbetriebes in Alterkülz Asyl. Lenin musste sich allerdings irgendwann hinlegen, nachdem die Dorfbevölkerung den hoch aufragenden kommunistischen Revolutionär als eher nicht geeignet für das Entrée am Ortseingang der Gemeinde erachtete.
Nachdem das Standbild für das Filmhaus ausgewählt war, holten die Mitarbeiter des städtischen Bauhofs Wladimir Iljitsch Lenin nach Simmern. Sie lagerten den Kommunistenführer dann im Marthahof, wo unter der Regie von Klaus-Dieter Schneider das Standbild wieder auf Vordermann gebracht wurde. Es bekam unter anderem einen neuen Anstrich. Von seinem letzten Standort im Heizwerk der Gemeinde Fronhofen, tritt Lenin dann seine Reise nach Simmern an.
Rechtzeitig zur Eröffnung des Edgar Reitz Filmhauses kommt der Revolutionsführer aus Plastik wieder zu Ehren. Aber dafür muss die sperrige Figur erst einmal durch die Tür des Filmhauses. Kristina Müller-Bongard ist zuversichtlich: „Das wird schon klappen.“
Die Schärpe des FC Schabbach
Begutachtet werden können die Statue und das Kriegerdenkmal zum ersten Mal am Samstag, 26. November, und danach an den drei Adventssonntagen im Dezember. Zu den Ausstellungsstücken zählen außerdem spannende Fotos von den Filmsets der ersten drei „Heimat“-Filmreihen, Originalkostüme, Drehbücher, kleinere Requisiten, Hermanns Dirigentenstab, die Schärpe des Ehrenvorsitzenden des FC Schabbach und nicht zuletzt der „Edgar“, die Trophäe für den besten Film der jährlichen Heimat Europa Filmfestspiele im Pro-Winzkino. Kristina Müller-Bongard verspricht fürs nächste Jahr: „Auch „Die andere Heimat – Chronik einer Sehnsucht“ kriegt ab 2024 ihren Raum im Filmhaus.
Für Kurzentschlossene: Karten für das Kino-Mammut-Erlebnis „Die Zweite Heimat“ (inklusive Verpflegung) gibt es für 145 Euro im Pro-Winzkino. www.pro-winzkino.de