Forscher schlagen Alarm
Droht Wohnungsnot für Senioren im Rhein-Hunsrück-Kreis?
Wenn Rollator auf Treppe trifft: Der Rhein-Hunsrück-Kreis braucht mehr Seniorenwohnungen. Das hat eine Untersuchung des Pestel-Instituts ergeben.
Nils F. Hillebrand

Stehen Tausende Senioren im Jahr 2045 auf der Straße, weil es im Rhein-Hunsrück-Kreis für sie keine adäquaten Wohnungen gibt? Laut einer aktuellen Studie könnte das passieren, wenn die Politik nicht gegensteuert. Dazu äußern sich hiesige Abgeordnete.

Der Rhein-Hunsrück-Kreis kommt in die Jahre – und ist auf das Wohnen der älteren Menschen nicht vorbereitet. Das erklärt das Pestel-Institut unter Verweis auf eine eigene Untersuchung. Demnach werden bis zum Jahr 2035 im Kreis rund 5500 Menschen mehr im Ruhestand sein als heute – insgesamt 30.300. Matthias Günther, Leiter des Pestel-Instituts, warnt: „Der Wohnungsmarkt im Rhein-Hunsrück-Kreis ist mit der neuen Rentnergeneration der geburtenstarken Jahrgänge komplett überfordert. Es fehlen Seniorenwohnungen.“

Schon jetzt gebe es einen massiven Mangel an altersgerechten Wohnungen, heißt es in einer Pressemitteilung des Pestel-Instituts. Und in den kommenden Jahren werde sich die Situation noch enorm verschlimmern. „Der Rhein-Hunsrück-Kreis rast mit 100 Sachen auf die graue Wohnungsnot zu“, sagt Günther.

Statt mit einem effektiven Programm fürs Senioren-Wohnen das Problem anzupacken, hat vor allem der Bund den Kopf in den Sand gesteckt und die graue Wohnungsnot seit Jahren ignoriert.
Matthias Günther, Leiter des Pestel-Instituts

Der Institutsleiter nennt konkrete Zahlen: So gebe es aktuell rund 49.300 Haushalte im Rhein-Hunsrück-Kreis. In 38 Prozent davon leben Senioren. „Bereits heute braucht der Rhein-Hunsrück-Kreis rund 4300 Wohnungen für die älteren Menschen, die nicht mehr gut zu Fuß sind.“

Der Rhein-Hunsrück-Kreis braucht mehr Seniorenwohnungen. Das hat eine Untersuchung des Pestel-Instituts ergeben. Unterm Strich braucht es also mehr solcher Einrichtungen wie die Seniorenanlage in Rheinböllen.
Dupuis Werner. Werner Dupuis

Doch diese Seniorenwohnungen gebe der Wohnungsmarkt im Rhein-Hunsrück-Kreis bei Weitem nicht her, sagt Günther. Für das Jahr 2045 ermittelt die Untersuchung bei den benötigten Seniorenwohnungen einen deutlichen Anstieg. So werde der Rhein-Hunsrück-Kreis in 20 Jahren für rund 6200 Seniorenhaushalte Wohnungen brauchen, die zum Leben im Alter passen.

Neubau und Sanierungsoffensive

In Auftrag gegeben wurde die Studie des Pestel-Instituts vom Bundesverband Deutscher Baustoff-Fachhandel (BDB). Dessen Präsidentin Katharina Metzger richtet einen eindringlichen Appell an die Politik: „Der Wohnungsbau braucht einen gewaltigen Schub.“ Es sei wichtig, dass „dieses ‚SOS-Notsignal fürs Wohnen‘ deutlich nach Berlin“ gefunkt werde.

Auch Matthias Günther findet deutliche Worte: Neben dem Neubau sei vor allem eine Sanierungsoffensive notwendig, um für mehr seniorengerechte Wohnungen im Rhein-Hunsrück-Kreis zu sorgen. „Doch die ist bislang nicht in Sicht: Das Fatale ist, dass wir dazu politisch nur eine Vogel-Strauß-Taktik erleben“, sagt Günther. „Statt mit einem effektiven Programm fürs Senioren-Wohnen das Problem anzupacken, hat vor allem der Bund den Kopf in den Sand gesteckt und die graue Wohnungsnot seit Jahren ignoriert“, sagt Günther.

BDB-Präsidentin Katharina Metzger dringt darauf, den Wohnungsbau als Motor für die Binnenkonjunktur zu nutzen.
Tobias Seifert

Der Bund habe den Neubau von Wohnungen zu wenig und außerdem auch noch falsch gefördert, sagt Katharina Metzger: „Statt wenige Gebäude mit übertriebener Klimaschutztechnik zu fördern, muss der Bund künftig deutlich mehr Geld für mehr Wohnungen in die Hand nehmen, die dann auch barrierearm sein müssen. Was er bislang in das Senioren-Wohnen investiert hat, ist nicht mehr als der Tropfen auf dem heißen Stein.“

Julian Joswig (Bündnis 90/Die Grünen) gehörte dem scheidenden Bundestag zwar nicht an, sondern hat erst im neuen Bundestag ein Mandat. Seine Partei trug in den vergangenen Jahren aber Mitverantwortung in der Regierungskoalition. Der Einschätzung des Pestel-Instituts kann Joswig zustimmen. „Statt nachhaltiger Konzepte setzte man oft auf kurzfristige Lösungen“, sagt er. In der Vergangenheit sei zu wenig in barrierefreien, seniorengerechten Wohnraum investiert worden, und auch der soziale Wohnungsbau sei zu kurz gekommen. Nun erfordere der demografische Wandel schnelles Handeln.

Gezielte Investitionen und nachhaltige Baupolitik können die Krise im Seniorenwohnen abwenden und Arbeitsplätze sichern.
Julian Joswig (Bündnis 90/Die Grünen)

„Wir als Bündnis 90/Die Grünen setzen auf einen umfassenden Ansatz gegen Wohnungsnot“, erklärt Joswig. „Neubauten und Sanierungen sollen demografisch gerecht, klimafreundlich und nachhaltig sein. Wir fordern den massiven Ausbau des sozialen Wohnungsbaus, mehr Fördermittel und soziale Bindungen für Neubauten.“ Auch Sanierungen sollen gefördert werden, zudem bringt Joswig Zuschüsse und Steuererleichterungen für private Investitionen bei der Schaffung von bezahlbaren, barrierefreien Wohnungen ins Gespräch.

BDB-Präsidentin Katharina Metzger dringt darauf, den Wohnungsbau als Motor für die Binnenkonjunktur zu entdecken und zu nutzen: „Es geht um mehr Seniorenwohnungen, die durch Neubau und Sanierung entstehen müssen.“ Sie warnt gemeinsam mit den Wissenschaftlern vom Pestel-Institut davor, beim Wohnungsbau die politische „Weiter-so-Taste“ zu drücken. Matthias Günther erklärt: „Wenn sich die Wohnungsbau-Krise weiter zuspitzt, wird das auch im Rhein-Hunsrück-Kreis einen erheblichen Verlust von Arbeitsplätzen auf dem Bau bedeuten.“

Marlon Bröhr (CDU) antwortet nicht

Julian Joswig hält eine Erhöhung der Investitionen in den Sozialwohnungsbau und die energetische Sanierung für notwendig, um der Gefahr von Arbeitsplatzverlusten im Baugewerbe entgegenzuwirken „Gezielte Investitionen und nachhaltige Baupolitik können die Krise im Seniorenwohnen abwenden und Arbeitsplätze sichern“, sagt er.

In der neuen Bundesregierung wird die CDU eine tragende Rolle spielen. Unsere Zeitung hat daher auch den CDU-Abgeordneten Marlon Bröhr um eine Stellungnahme zum Thema gebeten. Leider blieb die Anfrage unbeantwortet.

Top-News aus der Region