Seit einem Schlaganfall ist er auf den Rollstuhl angewiesen, die Tür zum Badezimmer und die Terrassentür erschwerten ihm den Weg. Doch zu seinem Glück kam ihm Yasmila Sylla zur Hilfe und rettete ihm letztlich mit zwei weiteren herbeigeeilten Helfern das Leben.
Die 25-Jährige aus dem Dieblicher Ortsteil Mariaroth ist am vergangenen Mittwochmorgen, 1. September, um 8 Uhr auf dem Weg zur Arbeit in dem nahe gelegenen Steuerbüro, als sie den Rauch aus dem brennenden Haus in der Raiffeisenstraße wahrnimmt.
Als ihr bewusst wird, dass sie die erste Helferin vor Ort ist, geht sie näher ans Haus und ruft: „Ist da noch jemand?“. Es kommt keine Antwort, sie geht noch ein bisschen näher ran und ruft erneut. Diesmal hört Jürgen Oswald ihre Stimme. „Ich bin hier, ich bin im Rollstuhl“, antwortet er.
„Ab da war ich in einem Tunnel und habe aus meinem Blickwinkel gar nicht gemerkt, dass das Haus schon lichterloh brannte“, sagt Yasmila Sylla. Ihre Kollegen im nahe gelegenen Büro haben einen anderen Blickwinkel und die Flammen gesehen. Ihre Warnungen, das Haus nicht zu betreten, erreichen die junge Frau nicht.
Über die Terrassentür, die Jürgen Oswald am Morgen glücklicherweise zum Lüften geöffnet hatte, betritt sie das brennende Gebäude. „Ich wusste also, dass noch jemand im Haus ist, aber nicht wo, der Rauch kam mir schon entgegen.“ Jürgen Oswald kann seine Retterin gerade noch so zu sich lotsen, bevor ihn die Kraft verlässt und seine Erinnerungen an die nächsten Augenblicke verschwimmen.
Allein schafft es Yasmila Sylla jedoch nicht, ihn mit dem Rollstuhl aus dem Haus zu schieben. Später stellt sich heraus, dass die Bremsen zu allem Überfluss noch angezogen waren. Ihr Kollege Martin Karbach und die Insassin eines vorbeifahrenden Kleinbusses eilen ihr zur Hilfe.
Gemeinsam bugsieren sie Jürgen Oswald aus dem brennenden Haus – gerade noch rechtzeitig, wie sich herausstellt: Sie hatten sich gerade auf dem Rasen des Nachbargrundstücks in Sicherheit gebracht, da bersten mit einem lauten Knall die Fensterscheiben und die Flammen schlagen nur so aus dem Haus.
Defekt in Mehrfachsteckdose löst den verheerenden Brand aus
Es sind dramatische Szenen, die sich binnen weniger Minuten abgespielt haben müssen und die das Leben der Beteiligten nachhaltig prägen dürften. Jürgen Oswald, seine Frau Eva Oswald und Yasmila Sylla sitzen gemeinsam am Küchentisch. Sie haben sich erst vor einer Woche kennengelernt und doch wirken sie wie alte Freunde und berichten von dem Ereignis, das sie zusammengeschweißt hat, wie man deutlich spürt. „Als ich um zehn vor acht das Haus verlassen habe und zur Arbeit bin, war von einem Brand noch keine Spur“, berichtet die Erzieherin Eva Oswald sichtlich berührt. Auch ihr Mann habe kurz darauf auf dem Weg ins Badezimmer nichts wahrgenommen. Die Brandermittler haben einen Defekt in einem Mehrfachstecker im Schlafzimmer als Brandursache ausfindig gemacht, von dem aus sich das Feuer über die Vorhänge und das Bett immer weiter ausgebreitet hat. Das muss alles sehr schnell gegangen sein, ist sich Jürgen Oswald sicher. Er habe in Sachen Elektronik immer auf eine hohe Qualität geachtet und selbst 35 Jahre lang als Elektroingenieur in Schweden gearbeitet. Den Geruch von verschmortem Kunststoff hätte er sofort bemerkt. Die Nachricht vom Brand erreicht Eva Oswald auf der Arbeit im Kindergarten, sie eilt nach Hause. „Diese Bilder der Flammen gehen mir nicht aus dem Kopf.“ Der erste Gedanke daran, dass ihr Mann noch im Haus sein könnte, war schrecklich, sagt Eva Oswald. Umso erleichtertet ist sie, als sie erfährt, dass ihr Mann in Sicherheit ist. „Dank Mila“, sagt sie, obwohl sie und ihr Mann gar nicht wissen, wie man jemandem danken soll, der ein Menschenleben gerettet hat. „Ich bin froh, dass es uns allen gut geht und ihr euer Lächeln behalten könnt, das ist für mich Dank genug“, sagt Yasmila Sylla.
Mut und Zivilcourage der jungen Frau beeindrucken
Ob in dieser Situation jeder so gehandelt hätte? Da sind sich die Oswalds nicht ganz so sicher wie die 25-Jährige. „Wir sind beeindruckt von ihrem Mut als junge Frau und ihrer Zivilcourage“, sagt Eva Oswald. Bei all dem, was das Feuer der Familie binnen einer halben Stunde genommen hat, habe man doch auch etwas geschenkt bekommen. „Da verlierst du so viel und gewinnst eine Tochter“, beschreibt es Jürgen Oswald gerührt.
Aber es ist nicht nur diese neue Verbindung, die die Buchholzer bewegt. Auch die Hilfsbereitschaft, die ihr und ihrem Mann in der vergangenen Woche entgegengebracht wurde und weiterhin wird, gebe ihnen viel Kraft, berichtet Eva Oswald. „Aus dem Kollegenkreis, von den Kindergartenkindern und ihren Eltern, aus der Nachbarschaft – man kann gar nicht jedem einzelnen danken“, sagt die 62-Jährige. Neben alltäglichen aber eben dringend benötigten Dingen wie Kleidung, brachten Nachbarn etwa auch Marmelade, denn schließlich ist auch die verbrannt. Genauso wie die vielen Kinderbücher, die Eva Oswald gesammelt hatte, um sie im Rentenalter einmal als Märchentante Kindern vorzulesen. Und die beiden Stoffbären, die die Familie überall mit hin begleiteten. Für den Ersatz der Bären startete Tochter Stella bereits einen Suchaufruf im Netz und auch ein erstes Buch für die Sammlung ist bei Familie Oswald eingetroffen. „Es ist schön zu sehen, wie die Menschen zusammenrücken und nach uns schauen“, sagt Eva Oswald. „Und ich bin sehr froh und dankbar, dass dank dem Einsatz der vielen Feuerwehrleute unseren Nachbarn nichts passiert ist.“
Aktuell ist die Familie bei Verwandten untergekommen, in direkter Nähe zu dem 1921 erbauten und nach dem Brand abbruchreifen Elternhaus von Eva Oswald. Im Bücherregal im Haus der verstorbenen Patentante und ihres Mannes steht ein Exemplar der Buchholzer Ortschronik. Zur Geschichte des Ortes gehört auch ein Brandereignis, bei dem Eva Oswalds Urgroßmutter und Großmutter vor rund 100 Jahren einmal das gleiche Schicksal erlitten haben, als ihr Haus im „Geise-Eck“ in Buchholz im Frühjahr 1919 niederbrannte. „An Kleidern hatten sie nur noch das, was sie auf dem Leibe trugen“, liest Eva Oswald vor und muss ein wenig schluchzen. „Es gibt etwas zwischen Himmel und Erde, das man nicht begreifen kann.“
Dort, wo die Familie heute untergekommen ist, bauten die Vorfahren 1920 ein neues Haus. Dazu sind auch Eva und Jürgen Oswald entschlossen. Es werde zwar noch ein langer Weg, an dessen Anfang noch viele organisatorische Dinge zu regeln und zu klären sind, aber für sie ist klar: Das Haus soll wieder aufgebaut werden. „Der materielle Verlust ist natürlich groß, aber zu verkraften. Was uns wichtig ist: Unser Haus soll wieder ein offenes und gemütliches Zuhause werden, in dem uns unsere Freunde gerne besuchen können.“ Dabei will auch Yasmila Sylla die Oswalds unterstützen, wo sie kann, verspricht sie.
Von unserem Redakteur Philipp Lauer
Die bislang unbekannte Helferin aus dem Kleinbus ist wohl im Anschluss weitergefahren. Familie Oswald bittet um Kontaktaufnahme über unsere Zeitung, per E-Mail an philipp.lauer@rhein-zeitung.net