Die neue Vorsitzende der CDU-Fraktion im Stadtrat, Alexa Bach, fragt im sozialen Netzwerk: „Wie kann es sein, dass diese Praxis jahrzehntelang weder vom Altbürgermeister, der sich an vielen Stellen mit seinem Grundstudium in Jura rühmte, noch von der Kommunalaufsicht beanstandet wurde?“ Weiter schreibt Bach, dass es spannend sei, „dass die inzwischen in der Kreisverwaltung für die Kommunalaufsicht zuständige Dame über Jahre für die SPD im Stadtrat saß und diese rechtswidrige Praxis munter durch entsprechendes Abstimmungsverhalten unterstützte. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt“.
Die von Seiten der Kommunalaufsicht an unsere Zeitung auf Anfrage versendete Mitteilung klärt allerdings darüber auf, dass der Angelegenheit nichts Schelmisches zugrunde liegt. Vielmehr liege der inhaltliche Schwerpunkt der aufsichtsbehördlichen Prüfung von Kommunalhaushalten hauptsächlich auf der Beachtung des Gebots des Haushaltsausgleichs, des Verbots der Überschuldung sowie dem Vorliegen der Voraussetzungen für die (genehmigungsbedürftige) Aufnahme von Investitionskrediten und die Veranschlagung von Verpflichtungsermächtigungen.
Wörtlich teilt die Kommunalaufsicht mit: „Die Frage der Einstellung von Dispositionsmitteln, wie sie im Haushaltsplan der Stadt Boppard vorgenommen wurde, gehört grundsätzlich nicht zum Prüfungsgegenstand bei der Prüfung der Haushalte. Aus der Tatsache, dass es bisher nicht beanstandet wurde, kann nicht der Schluss gezogen werden, dass die Kommunalaufsicht diese Vorgehensweise nicht für bedenklich gehalten hätte.“ Es gehöre eben nur nicht zum allgemein anzuwendenden Prüfungsmaßstab. Es sei denn, eine konkrete Überprüfung werde, wie im vorliegenden Fall mit der Anfrage von Bürgermeister Jörg Haseneier, ausdrücklich gefordert.
Landrat drängte auf Klärung
Dass Haseneier mit dem Anliegen an ihn herangetreten sei, begrüßt Landrat Volker Boch. „Ich bedanke mich dem Bopparder Bürgermeister für den Vorstoß ausdrücklich“, sagt Boch. Es sei wesentlich, dass die Haushaltsplanung der Stadt Boppard rechtlich korrekt vollzogen werde. Die Weichen dafür seien nun gestellt. Der Landrat berichtet, er habe bei der in der Kreisverwaltung angesiedelten Kommunalaufsicht umgehend darauf gedrängt, die Angelegenheit schnell und rechtssicher zu klären. Die Kommunalaufsicht habe dann in Zusammenarbeit mit dem Innenministerium eine klare Entscheidung getroffen.
Diese kommt allerdings bei den Ortsvorstehern nicht gut an. Wolfgang Spitz, der langjährige Ortsvorsteher von Bad Salzig, hat die Einführung der damals noch „Verfügungsmittel“ genannten Gelder vor mehr als 20 Jahren selbst aktiv miterlebt. Er berichtet auf Anfrage unserer Zeitung, dass die Mittel seinerzeit auf Antrag der FWG-Fraktion und mit Unterstützung der CDU-Fraktion dann im Stadtrat beschlossen worden seien.
Wie kann es sein, dass diese Praxis jahrzehntelang weder vom Altbürgermeister, der sich an vielen Stellen mit seinem Grundstudium in Jura rühmte, noch von der Kommunalaufsicht beanstandet wurde?
Alexa Bach, Fraktionsvorsitzende der CDU im Stadtrat Boppard, stellt in Facebook Fragen.
Wann immer diese fortan „Dispositionsmittel“ genannten Gelder in der Vergangenheit benötigt worden seien, habe es zuvor in den Sitzungen der Ortsbeiräte einen entsprechenden Beschluss gegeben. Ein Ortsvorsteher konnte nicht frei über diese Gelder verfügen, sondern brauchte immer den Beschluss des jeweiligen Ortsbeirats. Geflossen seien diese Mittel dann auf die Weise, dass ein Ortsbezirk die Ausgaben per Rechnung der Stadtverwaltung Boppard eingereicht habe. Die Stadt habe dann diese Rechnung beglichen.
Es war also nicht so, dass Ortsbezirke Dispositionsmittel auf einem Konto hatten. Die nun „eingefrorenen“ angesparten Dispositionsmittel würden jetzt bei der Stadt verbleiben und dem Haushalt zugutekommen. „Der kann's ja auch brauchen“, so Spitz.
Die Projekte, die bislang über diese Gelder finanziert worden seien, müssten dann über den Hauptausschuss realisiert werden. Das teilt auch die Kommunalaufsicht mit: „Mit der jetzigen kommunalrechtlichen Bewertung erfolgt keine Einschränkung für die Ortsbezirke. Es bleibt den Ortsbeiräten unbenommen, zweckgebundene Haushaltsmittel für geplante Maßnahmen in den Haushaltsplan einzubringen. Der muss dann beschließen.“ Dass die Sitzungen des zuständigen Hauptausschusses somit länger werden, damit rechnet Spitz.
Die Kommunalaufsicht des Rhein-Hunsrück-Kreises hat mit Schreiben vom 11. November der Stadt Boppard erklärt, dass eine Veranschlagung von Haushaltsmitteln für die Ortsbeiräte ohne eine Zweckbindung gegen das geltende Haushaltsrecht verstößt.Kommunalaufsicht stoppt rechtswidrige Praxis in Boppard: Verfügungsmittel für Ortsbezirke gestrichen
Ganz so gelassen wie er sehen es andere Ortsvorsteher nicht. Kleine Handlungsspielräume dürften damit ab sofort der Vergangenheit angehören, monieren einzelne Ortsvorsteher. So habe der Ortsbeirat Boppard jährlich anteilig 21.500 Euro aus dem 50-000-Euro-Topf erhalten und in den vergangenen Jahren angespart, um größere Projekte umsetzen zu können. Derzeit seien rund 80.000 Euro verfügbar, die mit sofortiger Wirkung eingefroren seien. Mit dem Geld sollte beispielsweise eine günstige Bestattungsvariante auf dem Buchenauer Friedhof mit Wiesenurnengräbern geschaffen werden. Hierfür wollte der Ortsbeirat Boppard im kommenden Jahr 33.000 Euro verwenden.
Ein zweites Großprojekt beschäftige den Ortsbeirat Boppard, wie Ortsvorsteher Niko Neuser berichtet. 40.000 Euro sollen in das Projekt „Erlebbarmachung des historischen Brunnens“ der Rheingässer Nachbarschaft fließen.
Nur noch Empfehlungen geben
Und der Bopparder Abendumzug am Karnevalssonntag sollte mit 3000 Euro bezuschusst werden sowie das erstmalige Adventssingen an Heiligabend auf dem Bopparder Marktplatz. Daneben gebe es jährliche Beiträge, wie die Herausgabe der VVV-Journale, die Erhaltung der Defibrillatoren im Stadtgebiet und andere Kleinigkeiten, darunter Vereinsförderungen, neue Fahnen der Nachbarschaften, die bislang über die Dispositionsmittel finanziert wurden.
„Auf den Hauptausschuss dürfte mehr Arbeit zukommen“, sagt auch Neuser, denn der „kleine Dienstweg“ über die Dispositionsmittel dürfte künftig wegfallen. Gleichzeitig könne der Ortsbeirat, so Neuser, keine Beschlüsse mehr fassen und nur noch Empfehlungen an die städtischen Gremien geben.
Der Ortsbeirat Bad Salzig hat bislang jährlich 7500 Euro erhalten, die ebenfalls angespart werden konnten. Wie Ortsvorsteher Andreas Nick auf Anfrage bestätigt, sei in den vergangenen Jahren viel in Bad Salzig über den Ortsbeirat und die Dispositionsmittel finanziert worden. 15.000 Euro seien noch vorhanden, sowie die Brunnenkasse in Höhe von 55.000 Euro, eine zweckgebundene Spende der Bad Salziger Vereine. Dazu habe der Hauptausschuss auch sein Einverständnis erklärt, so Nick.
„Mit den Dispositionsmitteln konnten Dinge, die keine Berücksichtigung im Haushalt fanden, aber für den Ortsbezirk wichtig waren, realisiert werden“, bringt es Nick auf den Punkt. In diesem Jahr feierte Bad Salzig 1100-jähriges Bestehen. „Was nicht über die Sponsoren lief, konnte über diese Mittel finanziert werden“, berichtet Nick. Und unterhalb der evangelischen Kirche wurde vor ein paar Jahren ein Weinberg angelegt. Es sei geplant gewesen, die Weinherstellung über die Dispositionsgelder des Ortsbeirates zu finanzieren. Für nächstes Jahr stünden zudem Zuschüsse für Vereine, die eine größere Anschaffung tätigen möchten, sowie die Inneneinrichtung des Jugendraumes an.
Als Vertreter für Ortsvorsteher Rudolf Bersch (Buchholz) teilt Stellvertreter Reiner Philipps mit, dass die jährliche Höhe der Dispositionsmittel des Ortsbeirates Buchholz bei 8000 Euro gelegen habe. In der nächsten Ortsbeiratssitzung am 14. Dezember werde das Thema Dispositionsmittel die Ortsbeiräte beschäftigen.
Der Verkehrs- und Verschönerungsverein Boppard (VVV) befürchtet, dass vor allem die turnusmäßigen Zahlungen an den Verein künftig ausbleiben, sagt der Vorsitzende Heinz Kähne. Der VVV ist überparteilich und verfolgt laut Satzung im Ortsbezirk Boppard ausschließlich und unmittelbar gemeinnützige Zwecke. Der Verein unterstützt die Stadt in folgenden Aufgabenbereichen: Verschönerung und Pflege des Stadtbildes, Bau und Unterhaltung von Wandereinrichtungen, Arbeit im Umwelt- und Naturschutz, Pflege der Heimatgeschichte und mit Aktivitäten im kulturellen Bereich.
Regelmäßig finanziell unterstützt
„Zur Wahrnehmung dieser Aufgabenfelder sind notwendigerweise stets auch Gelder zu deren Umsetzung aus dem Haushalt des Ortsbeirats Boppard eingeflossen. Jüngste Beispiele sind die Errichtung einer Weinbergsschaukel im Bopparder Hamm, die Erneuerung von zwei Brücken im Mühltal, das Aufstellen einer Sitzgarnitur im Mühltal, die Drucklegung eines umfangreichen Buches über die Bopparder Volksschulen der Jahre 1933–1953 und die Veröffentlichung eines Journals über Bopparder Reklameträger in der Nachkriegszeit. Die regelmäßige finanzielle Unterstützung der Drucklegung der Journale könnte fraglich werden. Damit stünde die Existenz der gesamten Publikationsreihe auf dem Spiel, so Kähne.
Für das VVV-Großprojekt „Karmeliterfenster“ (wir berichteten) hatte Neuser bereits eine finanzielle Beteiligung des Ortsbeirates in Aussicht gestellt. „Es bleibt zu hoffen, dass sich die zahlreichen konstruktiven Ideen und Projekte zur Hebung der Lebensqualität von Einheimischen und Gästen der Stadt Boppard zukünftig durch die aktuelle Sparmaßnahme keine Minderung erfahren werden“, sagt VVV-Vorsitzender Kähne.