Als auf der Facebookseite zum Weinfest am 9. Juli ein kurzer Eintrag des Stadtmarketings erfolgte, sah alles nach einer ganz nüchternen Angelegenheit aus. Auf dieser digitalen Werbeplattform fürs 80. Weinfest wurde um 13.26 Uhr eingestellt: „Frau Julia Klöckner, Bundesministerin für Ernährung und Landwirtschaft wird Ehrenwinzerin in Boppard. Im Rahmen der Eröffnung des diesjährigen Weinfestes wird Frau Julia Klöckner zur Bopparder Ehrenwinzerin ernannt. Die Ernennung findet am Freitag, 27. September um 19 Uhr auf der Bühne auf dem Marktplatz statt.“ So trocken und knapp die Aussage, so spritzig und heftig die folgenden Kommentare.
Selbst die hartnäckigsten Wein-Afficionados sind mittags um halb zwei noch nicht am Glas beziehungsweise am Computer. Aber es dauerte nicht lang, bis die ersten Kommentare einschlugen. Vielleicht lag es gleich am Einstieg in die Diskussion, der von einem Bopparder Nutzer provokant formuliert wurde, sodass sich eine Debatte entwickelte, die auch mehr als eine Woche danach noch anhält. Dieser Bopparder schrieb: „Na ja, es ist halt eine Frage des Parteibuchs. Die meisten Bopparder Winzer sind halt rabenschwarz. Da kommt Julia Klöckner wie gerufen.“ Prompt hagelte es förmlich in einer Art und Weise Meinungen, die an das lokale Unwetter drei Tage später im Mittelrheintal erinnerten.
CDU-Vertreter listeten genüsslich auf, dass unter anderem die SPD-Politiker Roger Lewentz und Kurt Beck sowie der frühere Koblenzer Oberbürgermeister Joachim Hofmann-Göttig auf der Liste der Ehrenwinzer geführt werden – geflissentlich verbunden mit einem Blick auf „SPD-Vergehen“ wie Nürburgring, FCK, Hotelsanierung Bad Bergzabern und Ruhegehalt.
Das ehrwürdige Tennis-Turnier von Wimbledon mag zwar seit letztem Sonntag vorbei sein, aber so wie sich die Kommentatoren in den folgenden Tagen die Bälle hin- und herspielten, hatte es durchaus Züge des Treibens im traditionsreichen All England Lawn Tennis and Croquet Club, was auf der Weinfest-Facebookseite geschah. Zunächst stand zur Diskussion: Sollen Politiker überhaupt Ehrenwinzer sein und nicht besser Persönlichkeiten, die den Bopparder Hamm würdig nach außen tragen? Dann: Nicht das Parteibuch zählt, sondern die „Würde des Amtes“ – wie bei Klöckner. Weiter hieß es, dass die 46 Jahre alte CDU-Politikerin die „falsche Persönlichkeit ... in jeder Hinsicht“ sei.
Letzteres ließ den immer redegewandten und sprechbereiten Bopparder Bürgermeister Walter Bersch auf der Internetplattform persönlich aktiv werden. Er forderte: „Integration statt Ausgrenzung. Mit Sorge betrachte ich eine ungute Entwicklung der Debattenkultur, die sich nun auch bei Fragen der Gestaltung des Bopparder Weinfestes, der Vermarktung des Bopparder Weines und damit auch der Bopparder Tourismuswerbung niederschlägt.“
Weiter führte Bersch aus, dass Klöckner pauschal abgelehnt werde. „Die Eignung von Frau Klöckner wird von einigen in Zweifel gezogen, weil sie in den Augen derselben in bestimmten Fragen nicht mit deren Auffassungen über das, was richtig ist und was nicht, übereinstimmt“, schrieb Bersch und erklärte weiter: „Eine solche Haltung ist verwerflich, sie grenzt aus und sie kopiert eine ungute Herangehensweise von rechts. Ich muss an dieser Stelle nicht besonders betonen, dass ich eine andere politische Auffassung als Frau Klöckner habe. Genau so klar ist für mich aber auch, dass sie eine sehr gute Botschafterin der Bopparder Weine sein wird. Ich fordere Toleranz.“
Der Aufruf des Bürgermeisters verhallte nahezu im Nirwana des Internets. Denn, als hätte es Bersch geahnt, entfaltete sich in der Folge ein Austausch wenig sachlicher Art. Klöckners gesammelte „Vergehen“ der jüngeren Vergangenheit wurden mal süffisant, mal zynisch, mal mit offener Abneigung aufgelistet, die Themen reichen von Glyphosat bis Ferkelkastration und Kükenschreddern, vom Vorwurf des Lobbyismus bei Nestlé bis zu Monsanto. Ein Lokalpolitiker schlussfolgert im Zuge der Diskussion: „Einfach keinen Wein in Boppard mehr kaufen, wenn die sich das unter einem Ehrenwinzer vorstellen.“
Die Frage, wer über die Ehrenwinzerschaft entschieden hat, beantwortet Bürgermeister Bersch: „Die Bopparder Winzer im Einvernehmen mit Bürgermeister.“ Daraufhin erhält auch er selbst Kritik, es heißt: „Bei Ihnen wundert mich ja eigentlich gar nix mehr, aber von unseren Winzern bin ich dezent enttäuscht ...“ Bersch fragt daraufhin zurück: „Aus welchen Gründen hätte ich den Wunsch aus der Winzerschaft nicht umsetzen sollen, etwa, weil die eigene politische Auffassung die bessere oder die korrektere ist?“
Die Diskussion erhellt sich nicht wesentlich, allerdings werden im Eifer des Gefechts stellenweise auch die Bopparder Winzer unter eine Art Generalverdacht gestellt, Gift zu spritzen. Daraufhin wehrt sich einer der renommierten örtlichen Winzer, der in die Entscheidung der Ehrenwinzerschaft nicht eingebunden war und sich auch vom Ton der Debatte insgesamt distanziert: „Ich handele nach den Auflagen von RLP für umweltschonenden Steillagenweinbau.“
Aller Diskussion zum Trotz wird das 80. Weinfest vom 27. bis 30. September und vom 4. bis 6. Oktober wieder Tausende Besucher anziehen. Julia Klöckner wird am Freitag, 27. September, um 19 Uhr auf dem Marktplatz offiziell zur Ehrenwinzerin ernannt. Wer die Ministerin kennt, darf davon ausgehen, dass sie zu dem Netz-Scharmützel einen Satz zu sagen hat.