Dekanat Simmern-Kastellaun erarbeitet umfassendes Schutzkonzept, um Kirche zu einem geschützten Raum werden zu lassen
Dekanat Simmern-Kastellaun erarbeitet Schutzkonzept: Sensibilisieren, aufklären und vorsorgen
Pfarrer Thomas Schneider (stehend, von links), Diakon Heribert Schmitz, Beate Dahmen von der Lebensberatung, Dekanatsreferent Günther Greb, Fachberaterin Prävention Dagmar Reichel (sitzend, von links), Tandemmitarbeiterin Birgit Bai und Dechant Lutz Schultz wollen aufklären. Foto: Sina Ternis
Sina Ternis

Sensibilisieren, Problemstellen aufspüren und diese entschärfen, aufklären und die Menschen mitnehmen – die Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche beschäftigen auch die haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeiter in den Pfarreien des Dekanats Simmern-Kastellaun auf vielfältige Weise.

Seit vor mehr als zwölf Jahren die ersten Missbrauchsfälle in den Fokus der Öffentlichkeit gelangt sind, ist viel passiert innerhalb des Bistums Trier, dem auch das hiesige Dekanat angeschlossen ist. Was zunächst auf Bistumsebene angestoßen wurde, wird nun auf Dekanatsebene und in den einzelnen Pfarreien umgesetzt.

„Die Kirche hat uns aufgerufen, ein Schutzkonzept zu erstellen“, sagt Pfarrer Lutz Schultz in seiner Funktion als Dechant des Dekanates Simmern-Kastellaun. Ziel sei es, die Kirche zu einem sicheren Ort zu machen – für Kinder und Jugendliche, aber auch für Erwachsene. „Die Beschäftigung mit der Thematik auf höherer Ebene bildet den Rahmen, aber bei uns am Ort erfolgt dann die konkrete Umsetzung der Maßnahmen“, so Schultz.

Er und viele andere, die sich in den vergangenen Wochen und Monaten intensiv mit den Missbrauchsskandalen, aber vor allem auch mit Präventionsmaßnahmen beschäftigt haben, haben die Erfahrung gemacht, dass es in einem ersten Schritt darum gehen muss, die Menschen für das Thema zu sensibilisieren. Denn für viele seien die Skandale „ganz weit weg“ und lägen außerhalb der eigenen Vorstellungskraft. Dabei sei es etwas, das alle betreffe und bei dem alle abgeholt werden müssten, damit die Kirche für alle zu dem geschützten Ort werde, der er sein sollte. Dabei gehe es nicht nur um sexuellen Missbrauch, sondern um jede Art der Grenzüberschreitung. Es sei wichtig, die Grenzen, die jeder Einzelne anders ziehe, zu respektieren.

Soziales Umfeld gefragt

Und hierfür bedürfe es einer besonderen Art von Achtsamkeit – und zwar auf Seiten aller Beteiligter. Derjenigen, die Gefahr laufen, Grenzen zu überschreiten oder dies ganz bewusst tun, derjenigen, deren Grenzen überschritten werden, aber auch oder gerade im sozialen Umfeld, wie Beate Dahmen, Leiterin der Lebensberatung des Bistums Trier in Simmern und zugleich Mitglied der Fachgruppe Prävention des Bistums, deutlich macht. Vielfach bekämen sie und ihre Mitstreiter zu hören: „Das betrifft mich doch gar nicht, ich bin weder Täter noch Opfer. Die da oben bauen Mist, und wir sollen es ausbaden.“

Dabei habe die Erfahrung auch anhand vieler Studien gezeigt, dass gerade das soziale Umfeld bei der Vermeidung von Grenzüberschreitungen eine enorm wichtige Rolle spiele. Während Täter nur schwer greifbar seien, Prävention nur in Ausnahmefällen möglich sei, bestehe bei Opfern natürlich die Möglichkeit, diese zu stärken, ihnen aufzuzeigen, wie sie Grenzen deutlich setzen könnten. Allerdings sieht die Expertin gerade bei Kindern die Gefahr, dass man sie überfordere und ihnen eine Verantwortung aufbürde, der sie nicht gewachsen seien.

Deswegen sei der Ansatzpunkt soziales Umfeld die einfachste Möglichkeit zur Präventionsarbeit. Nicht nur in der Kirche, sondern auch in allen anderen Situationen. „Denn überall, wo Menschen sind, kommt es auch zu Übergriffen. Wer das nicht wahrhaben will, der lügt sich in die eigene Tasche“, macht Lutz Schultz deutlich. Deswegen sei es enorm wichtig, hinzuschauen und aktiv zu werden, sobald man Auffälligkeiten wahrnehme. Und es sei genauso wichtig, dass es Menschen gebe, die man in solch einem Fall ansprechen könne, die sich der Sache annehmen und vor allem die Bedenken Ernst nehmen und wüssten, was zu tun ist.

Im Dekanat gibt es hierfür mit Heribert Schmitz eine sogenannte geschulte Person. Weitere sollen folgen. Schmitz ist zugleich Mitglied der Tandemgruppe zur Erstellung eines „Institutionellen Schutzkonzepts“ für alle Pfarreiengemeinschaften des Dekanats. Gemeinsam mit Birgit Bai, die sich ehrenamtlich in der Pfarreiengemeinschaft engagiert, hat er einen Entwurf dieses Konzeptes erstellt – auf der Grundlage von Befragungen der Kirchenmitglieder, von Erfahrungswerten und Gesprächen sowie von Rundgängen in den einzelnen kirchlichen Gebäuden.

Wir möchten nicht, dass unsere Präventionsarbeit 
eine Eintagsfliege bleibt.

Dekanatsreferent Günther Greb steht voll und ganz hinter der initiierten Kampagne.

Leider sei die Anzahl der Rückmeldungen nicht so groß gewesen, wie man es sich erhofft habe. Aber hier spiele es sicherlich auch wieder eine Rolle, dass die Menschen der Ansicht seien, dass es sie persönlich nicht betreffe, dass solche Missbrauchsfälle woanders, aber keinesfalls vor der eigenen Haustür passieren.

„Von dieser Denkweise müssen wir uns verabschieden. Es kann überall passieren, und davor dürfen wir nicht einfach die Augen verschließen, sondern müssen handeln. Im Idealfall präventiv“, sagt Schultz. Deswegen haben er und seine Kollegen das Thema auch in ihre Predigten aufgenommen, haben es im Gemeindebrief veröffentlicht und suchen aktiv das Gespräch.

Mittlerweile habe es schon viele Schulungen gegeben, nicht nur von hauptamtlichen, sondern auch von ehrenamtlichen Mitarbeitern. Sie sind auch auf Dekanatsebene seit einigen Jahren verpflichtend, für hauptamtliche Mitarbeiter bereits seit 2017. „Wir haben Partizipation in allen Bereichen von Beginn an großgeschrieben“, sagt Dekanatsreferent Günther Greb – sowohl im Hinblick auf die Schulungen, die in regelmäßigen Abständen angeboten würden, als auch bei der Erstellung des Schutzkonzepts für die einzelnen Pfarreien.

Das Dekanat habe hier Textbausteine erstellt, die an die individuellen Gegebenheiten angepasst werden könnten. „Uns ist es ein ganz großes Anliegen, dass die Präventionsarbeit keine Eintagsfliege ist, sondern dass wir nachhaltige Arbeit leisten und einen Prozess anstoßen, bei dem Inhalte und Vorgehensweisen immer wieder überprüft und gegebenenfalls den aktuellen Gegebenheiten angepasst werden“, so Greb.

Ängste und Bedenken abbauen

Dafür soll neben den geschulten Personen auch Dagmar Reichel sorgen. Sie ist Mitarbeiterin der Lebensberatung und Fachberaterin Prävention. Vor allem in der ersten Phase kommt ihr damit eine entscheidende Rolle zu. Denn sie weiß, wie erschlagend die Vielzahl an Informationen sein kann, wie sehr die Menschen auf diese Weise erst einmal erschreckt werden. Hinzu komme, dass die Bedenken oft groß seien. „Machen wir uns durch die intensive Beschäftigung mit diesem Thema nicht selbst zu Verdächtigen?“ Mit diesen und ähnlichen Fragestellungen sei sie immer wieder konfrontiert worden.

Sie sieht ihre Rolle vor allem darin, diese und andere Ängste abzubauen und zu einer Auseinandersetzung mit dem Thema anzuregen. „Transparenz ist beispielsweise unglaublich wichtig. Wir müssen offen damit umgehen, müssen die Menschen mitnehmen“, so Reichel. Und zum Mitnehmen gehöre auch eine Risiko- und Gefahrenanalyse: Wo sind Orte innerhalb von kirchlichen Einrichtungen, die als nicht sicher eingestuft werden? Wo sehen die Menschen Verbesserungspotenzial? An welchen Orten fühlen sie sich aus welchen Gründen unwohl?

Jeder Einzelne muss die Augen und Ohren offen halten und ein Gefühl dafür entwickeln: Wie weit kann ich gehen? Ist eine Umarmung gewollt oder nicht?

Heribert Schmitz macht deutlich, wie wichtig es ist, Grenzen zu zeigen und diese auch einzuhalten.

In vielen Gebäuden gab es mittlerweile Rundgänge mit mehreren Teilnehmern. Dabei wurden solche Räume ausgemacht, die nicht gut einsichtig sind oder die problemlos von Externen aufgesucht werden könnten. Ein Beispiel hierfür seien die Toiletten in der katholischen Familienbildungsstätte. Weil die Außentür bei Veranstaltungen immer geöffnet sei, könnten sich Fremde problemlos Zutritt verschaffen und die Toiletten aufsuchen. Hier könnte eine schnelle und pragmatische Lösung so aussehen, dass die Eingangstür künftig so verriegelt wird, dass der Zugang nach draußen möglich, der Zugang nach drinnen aber ohne vorheriges Klingeln nicht möglich ist. Und genau darum gehe es: schnelle und pragmatische Lösungen zu finden, wo diese angebracht seien.

Dunkle Ecken auszuleuchten, Sichtschlitze in Türen einbauen, wenn die Räume in den oberen Etagen liegen und von außen nicht einsichtig sind, Notfallknöpfe zu installieren und dafür Sorge tragen, dass nicht ein Erwachsener und ein Kind beziehungsweise Jugendlicher allein in einem Raum sind. Allerdings ist das nur ein Punkt, an dem die Verantwortlichen ansetzen. Mindestens genauso wichtig sind die Gespräche mit allen Beteiligten. Wege aufzuzeigen, um Situationen zu vermeiden, die Fragen aufwerfen könnten, in denen sich beispielsweise Kinder unwohl fühlen könnten, weil deren Grenzen überschritten worden seien.

Zu Anwälten der Kinder machen

„Jeder Einzelne muss die Augen und Ohren offen halten und ein Gefühl dafür entwickeln: Wie weit kann ich gehen? Ist eine Umarmung gewollt oder nicht?“, berichtet Heribert Schmitz. Und weil Kinder oft nicht in der Lage seien, deutlich nein zu sagen, trügen auf jeden Fall die Erwachsenen die Verantwortung für jede Grenzüberschreitung und jeden Missbrauch, und es sei die Aufgabe aller Erwachsener, sich zu Anwälten der Kinder zu machen, ihnen deutlich zu machen, dass es okay ist, nein zu sagen, dass ihre Gefühle und Wünsche respektiert würden.

Das gelte aber eben in gleichem Maß umgekehrt. Auch die Erwachsenen dürften Nein sagen, beispielsweise wenn sich ein Kind auf den Schoß setzen möchte. Mit dem Bild des Faszienballes vergleicht er den Prozess der Präventionsarbeit: Es sei zwischendurch sicherlich auch schmerzhaft, aber am Ende sei es vor allem gesund. Und wer nachhaltige Effekte erreichen möchte, der müsse immer wieder durch diese Phasen, die wehtäten.

Wichtig sei, dass der Ball immer am Rollen bleibe, denn nur so könne etwas erreicht werden – mit Blick auf die Gesundheit, aber eben auch mit Blick auf die Präventionsarbeit. Und das zu erreichen, sei Aufgabe aller am Prozess Beteiligten. „Unsere Aufgabe ist es auch, die Einhaltung zu überprüfen. Die Inhalte des Schutzkonzepts dürfen nicht nur niedergeschrieben sein, sie müssen zu einem allgemeingültigen Verhaltenskodex werden“, so Schultz.

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