Vor 75 Jahren trafen sich hochrangige Politiker in Sankt Goar - Empfehlungen an den Parlamentarischen Rat zum Grundgesetz
Burg Rheinfels ist Ort der Demokratiegeschichte – Sankt Goar-Kreis gab 1948 Empfehlung zum Grundgesetz
Katrin Gloggengießer, Leiterin der Tourist-Information St. Goar (von links) präsentiert Klaus Hinner, Ingrid Leonhard, Falko Hönisch und Dieter Langenbach die neuen Infotafeln. Fotos: Philipp Lauer
Philipp Lauer

St. Goar. Die Burg Rheinfels ist jetzt offiziell ein Ort der Demokratiegeschichte. Vom 24. bis 26. September 1948 tagte hier der sogenannte Sankt Goar-Kreis, 29 hochrangige Politiker von CDU/CSU, SPD und FDP sowie parteipolitisch nicht gebundene Persönlichkeiten. Sie erarbeiteten grundlegende parteiübergreifende Empfehlungen für die Arbeit des Parlamentarischen Rates in Bonn zum Grundgesetz.

Katrin Gloggengießer, Leiterin der Tourist-Information St. Goar (von links) präsentiert Klaus Hinner, Ingrid Leonhard, Falko Hönisch und Dieter Langenbach die neuen Infotafeln. Fotos: Philipp Lauer
Philipp Lauer

Der Sankt Goar-Kreis wollte eine „Aktivierung der Demokratie“ erreichen und Schwächen der Verfassung der Weimarer Republik korrigieren. An der Tagung nahmen damals unter anderem der spätere Bundespräsident Theodor Heuss, Thomas Dehler (später Justizminister) und Walter Strauss (später Staatssekretär) teil.

Zwei Gedenktafeln erinnern auf Burg Rheinfels an diese Zusammenkunft, die wohl maßgeblichen Einfluss auf die Entstehung des Grundgesetzes nahm. Der Sankt Goar-Kreis habe etwa Unterstützung für das Instrument des konstruktiven Misstrauensvotums signalisiert, wonach eine Regierung nur dann vom Parlament gestürzt werden kann, wenn eine Mehrheit für eine neue Regierung vorhanden ist.

Bekenntnis zu starker Regierung und Opposition

„Die Opposition im Parlament ist als eine in der Demokratie notwendige Funktion anzuerkennen“, heißt es in einem von dem Treffen überlieferten Papier, das eine doppelte Bekenntnis zu einer starken Regierung als auch einer starken Opposition enthält. Bürgermeister Falko Hönisch und Amtsgerichtsdirektor Matthias Teriet haben die Tafeln in deutscher und englischer Sprache anlässlich des 75. Jahrestags am Montag feierlich enthüllt.

Bürgermeister Falko Hönisch (links) und Amtsgerichtsdirektor Matthias Teriet enthüllten die Infotafeln auf Burg Rheinfels.
Philipp Lauer

Hönisch berichtete auch von den widrigen Umständen, unter denen die „Tagung in Trümmern“ zustande kam. Weil eine einfache Fahrt etwa von Stuttgart nach St. Goar mit 19,40 D-Mark sehr teuer war, sei für die Teilnehmer aus Süddeutschland ein Lkw organisiert worden. Für die einfache Fahrt auf der Ladepritsche wurden 6 Mark fällig, für Hin- und Rückfahrt 9 Mark. Auch die Unterbringung war eine Herausforderung, 90 Prozent der Beherbergungsbetriebe sei von der französischen Militärbehörde besetzt worden.

Tagung in Trümmern trotzt Widrigkeiten

Man könne davon ausgehen, dass die Tagung in der Burgschänke stattgefunden habe, damals von Familie Mering betrieben, berichtet Ingrid Leonhard, Leiterin des Museums auf Burg Rheinfels. Aus einem vorliegenden Einladungsschreiben geht hervor, dass die Teilnehmer für die Verpflegung Lebensmittelmarken mitbringen mussten. „Diese Bereitschaft, sich trotz aller Widrigkeiten zu versammeln und an einer besseren Zukunft zu arbeiten, zeugt von großem Engagement und Entschlossenheit“, sagt Hönisch. Ein Schild mit einem QR-Code weist die Burgschänke im Eingangsbereich der Rheinfels als einen Ort der Demokratiegeschichte aus, eine Bezeichnung, die von der Arbeitsgemeinschaft Orte der Demokratiegeschichte – Gesellschaft zur Erforschung der Demokratiegeschichte, vergeben wird.

„In der heutigen Zeit, in der die Werte unserer Demokratie erneut herausgefordert werden, oftmals schon die schiere Akzeptanz der Ergebnisse demokratischer Entscheidungsfindung in Frage gestellt werden, erinnert uns die Konferenz des Sankt Goar-Kreises daran, wie wertvoll und zugleich fragil unsere Demokratie ist“, sagte Hönisch in seiner Ansprache an die Menschen, die sich zur Enthüllung der Tafel eingefunden hatten. „Sie erfordert unser ständiges Engagement, unsere Wachsamkeit und unseren Einsatz für die Prinzipien der Freiheit und Gerechtigkeit.“

Dieses Schild zeichnet die Burgschänke als einen Ort der Demokratiegeschichte aus. Foto: Katrin Gloggengießer/ Tourist-Information St. Goar
Katrin Gloggengiesser

Es sei immer wieder die ausschließlich mündlich überlieferte Information über „geheime Treffen“ an ihn herangetragen worden, die im Juni 1948 auf der Burg stattgefunden haben sollen, also im Vorfeld der Rittersturz-Konferenz in Koblenz. Diese konnten jedoch trotz intensiver Recherchen nicht bestätigt werden. Beim Zusammentragen und professionellen Einordnen der Informationen zu der Tagung im September waren der Historiker Michael Feldkamp, Projektleiter der Orte der Demokratiegeschichte – GEDG, Markus Lang und Claudia Waibel von der Stiftung Bundeskanzler-Adenauer-Haus und Mitarbeiter des Bundesarchivs sowie des Hauses der Geschichte in Bonn beteiligt, berichtet Hönisch.

Teriet blickte auf das Ereignis vor 75 Jahren zurück, das zu dem Grundgesetz als ein Geschenk für die nachfolgenden Generationen beigetragen habe. Besonders in einer Zeit, in der die gefühlte Wahrheit von Algorithmen ausgewählt und über Videoplattformen ausgespielt würden, sei dies teils nur schwer zu begreifen. „Deswegen bin ich froh, dass hier die Geschichte tatsächlich auf einer Tafel beschrieben wird. Denn wer die Gegenwart verstehen will, der muss aus der Geschichte lernen“, sagte Teriet. Einen Ausblick, wie das Wissen zusätzlich digital vermittelt werden könne, gab er dann schonmal. Denn auf den Tafeln ist noch etwas Platz, um einen QR-Code zu ergänzen, zum Scannen mit dem Smartphone.

Tour der Demokratiegeschichte mit Halt in St. Goar

Über den Winter soll die Recherche zur Tagung des Sankt Goar-Kreises vertieft und das Informationsangebot ausgebaut werden, berichtet Katrin Gloggengießer, Leiterin der städtischen Tourist-Information. Über den QR-Code sollen interessierte Nutzer dann zu weiteren digitalen Medien gelangen. Für das kommende Jahr plant die AG Orte der Demokratiegeschichte anlässlich der Feier zu 75 Jahren Grundgesetz eine Tour der Demokratiegeschichte, ein Halt in St. Goar auf Burg Rheinfels ist vorgesehen.

Von Philipp Lauer

Nähere Informationen zum Treffen des Sankt Goar-Kreises auf Burg Rheinfels und weiteren Orten der Demokratiegeschichte gibt es auf der Internetseite der AG unter www.demokratie-geschichte.de

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