Superintendent Markus Risch zu einem veränderten Höhepunkt des Jahreslaufs - Das Leben bleibt verletzlich und unsicher
Botschaft des Superintendenten Markus Risch zu Heiligabend: Weihnachten geht wesentlich tiefer
Große Gottesdienstfeiern wird es – wie in der Simmerner Stephanskirche – an diesem Weihnachten Jahr nicht geben. Auch durch virtuellen Kontakt lässt sich nicht jene Nähe weitergeben, nach denen sich die Menschen sehnen. Markus Risch erinnert daher an die tiefere Bedeutung des Festes. Foto: Werner Dupuis
Werner Dupuis

Rhein-Hunsrück. Fröhlich bei Kerzenschein mit den Liebsten beieinandersitzen, essen, schwelgen und schließlich vielleicht noch in die Christmette gehen und „holder Knabe im lockigen Haar“ singen: So stellen wir uns Weihnachten vor. Doch nicht in diesem Jahr!

Große Gottesdienstfeiern wird es – wie in der Simmerner Stephanskirche – an diesem Weihnachten Jahr nicht geben. Auch durch virtuellen Kontakt lässt sich nicht jene Nähe weitergeben, nach denen sich die Menschen sehnen. Markus Risch erinnert daher an die tiefere Bedeutung des Festes. Foto: Werner Dupuis
Werner Dupuis

Die Pandemie durchbricht unsere alljährlichen, lieb gewonnenen Gewohnheiten. Das Herzen und Sichfreuen wird sich für viele auf das Senden von Grußbotschaften per Brief oder Videokonferenz beschränken. Verwandtenbesuche sind eng begrenzt, der weihnachtliche Plausch mit Nachbarn und Freunden vor der Kirche oder am Gartenzaun ist nur über Distanz möglich. Rituale geben Stabilität und sind wichtig. Doch die leuchtenden Kinderaugen beim Krippenspiel wird es heute wohl eher nicht geben.

Kein anderes Fest ist so auf Feierlichkeit und Nähe ausgelegt

Stille Nacht – ja! Aber auch zauberhafte Nacht …? Kein Fest im Jahreskreis ist für uns so auf Feierlichkeit und Nähe ausgelegt wie Weihnachten. Dafür gibt es Gründe, und die hängen durchaus mit der biblischen Weihnachtsgeschichte zusammen: Ein Kind ist geboren! Das Leben wird gefeiert. An Weihnachten geschieht etwas durch und durch Positives.

Dass das „Geheimnis“ dieser besonderen Nacht und die Weihnachtsgeschichte einen „doppelten Boden“ haben, fällt da normalerweise gar nicht mehr wirklich auf oder wird romantisiert. Ein Kind wird im Stall geboren, auf Heu und auf Stroh gebetet, Eltern und Hirten himmeln es an. Kunst und Musik zeichnen dieses Ereignis in herrlichen Farben. Dabei hatten Maria und Josef „keinen Raum in der Herberge“! Die Hirten waren Ausgestoßene, die mit ihren Stöcken die wilden Tiere von den Herden fernhielten und abgesondert für sich lebten. Darüber hinaus muss dem Kind in der Futterkrippe ganz schön kalt geworden sein!

Die Weihnachtsgeschichte hat tatsächlich mehrere Dimensionen: Natürlich gehört auch der wunderbare Charakter zu ihr, der sich vor allem in der Erscheinung der Engel und dem hellen Licht in der Geschichte zeigt. Allerdings darf man dabei nicht vergessen, dass das Licht die Dunkelheit erhellt – eine Dunkelheit, die jedes Leben treffen kann. Das frierende Kind in der Krippe kann hierfür sinnbildlich stehen. Es zeigt seine ganze Verletzlichkeit.

„Das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns“, heißt es im Johannesevangelium (Kapitel 1,14). Es ist der Leitvers für die Weihnachtstage. Das leibhafte, „fleischerne“ und menschliche Leben ist zutiefst verletzlich und niemals wirklich in Sicherheit. Genau diese Verletzlichkeit und Unsicherheit des Lebens macht Gott sich an Weihnachten zu eigen, wenn er als Kind unter schwierigen Bedingungen das Licht der Welt erblickt.

Wären die Zeiten andere und gäbe es keine Pandemie, hätte ich diesen Text wohl nicht so schreiben können. Jetzt macht er uns die Weihnachtsstimmung kaputt, hätte es vermutlich geheißen. Aber in diesem besonderen Jahr 2020 brauchen wir das Bild von Gott, der sich an Weihnachten verletzlich macht. Denn wir alle spüren gerade, wie unsicher das Leben in all seinen Facetten ist.

Dass wir Freunde und Verwandte nicht treffen können, ist dabei das eine. Dass Menschen auf Intensivstationen kämpfen oder um die Zukunft ihrer Existenz fürchten, ist das andere. Doch genau dahin kommt Gott!

Die Krippe mit dem verletzlichen Jesuskind, das in die Unsicherheiten unserer Welt eingeht – sie steht jetzt gerade in den Krankenhäusern, in den verschlossenen Geschäften, in den Alten- und Pflegeheimen. Die Krippe steht bei unseren Kindern, die ihre Freunde nicht treffen können, sie steht aber vor allem auch bei den Kindern in den ärmeren Regionen unserer Erde, wo wahlweise die Pandemie oder die aus ihr resultierende wirtschaftliche Not lebensbedrohlich sind.

Die Bedeutung der Krippe reicht weit über den rein festlichen Charakter von Weihnachten hinaus, gerade im Jahr 2020. Archivfoto: Torkler
Thomas Torkler

Das Kind in der Krippe will aber auch bei den Entscheidungsträgern sein, die sich hoffentlich bewusst darüber sind: Einen vollkommenen, perfekten Weg aus dieser Krise gibt es nicht! Und das ist uns allen hoffentlich auch in unseren privaten Debatten klar, die wir zu Hause oder in den sozialen Netzwerken führen. Das Leben ist kompliziert, und der Kampf gegen ein unsichtbares Virus noch viel komplizierter. Das Leben bleibt verletzlich und ist alles andere als vollkommen.

Auch für uns als Kirchen ist die Situation nicht einfach: Feiern wir am Ort Gottesdienste, um gerade denjenigen beizustehen, die besondere psychische und soziale Not leiden, und vertrauen dabei auf unsere Hygienekonzepte? Oder lassen wir es bleiben, wechseln ganz in den virtuellen Raum oder per Hausandachten in die Kernfamilien und stoppen so zwar garantiert das Virus, lassen manchen aber in sozialer Isolation zurück? Nein, diese Entscheidung ist eben nicht einfach und klar. Sie ist, wie vieles andere, offen und unsicher.

Das „Wort ward Fleisch“ – Gott wurde ganz Mensch … und fror! Aber dennoch lächelt dieses Kind der Welt ins Gesicht! Darin kann Trost liegen in einer Zeit, die Festlichkeit nur beschränkt zulässt. Uns ist ein Kind geboren, das uns trotz aller Schwierigkeiten in der Welt und der Verletzlichkeit des Lebens erfreut. Es ist ein besonderes Kind, weil es die Unsicherheiten nicht weglächelt, sondern sich ihnen beherzt stellt und mit jedem Lachen sagt: Gott ist bei euch, egal, was auch passiert.

Die Freude an Weihnachten soll tiefer gehen

In Zeiten wie diesen bin ich ungeheuer dankbar, dass die Weihnachtsgeschichte einen „doppelten Boden“ hat! Er kann der Grund für eine wahrhaft frohe Weihnacht sein, die sich nicht nur oberflächlich an unseren – guten und richtigen – Weihnachtsbräuchen freut, sondern die tiefer geht, weil sie menschliche Verletzlichkeit und Unsicherheit integrieren und so zu echter Gelassenheit und Herzensfreude führen kann. Eine solche „echte“ und frohe Weihnacht, die wünsche ich Ihnen von Herzen!

Frohe Weihnachten! Ihr Markus Risch, Superintendent des Evangelischen Kirchenkreises Simmern-Trarbach

Von Markus Risch

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