Die erste Nachricht aus Berlin hatte im Mittelrheintal, bei Politikern, Bürgern und bei der Landesregierung für mächtig Wirbel gesorgt.
Im Grundsatz habe sich zwar nichts geändert: Damit es sich gesamtwirtschaftlich rechne, bedürfe es – bei gleichbleibenden Kosten – „einer Verzehnfachung des volkswirtschaftlichen und verkehrlichen Nutzens“, teilte das Ministerium in Berlin am Dienstag erneut mit. Aber: Das entspreche aber ausdrücklich nicht einer Verzehnfachung des Verkehrsaufkommens. Nach Erkenntnissen einer früheren Studie dürfte das Vorhaben bereits bei einer Verdopplung der vom Lkw auf die Schiene verlagerten, zusätzlichen Verkehrsmengen gesamtwirtschaftlich rentabel sein. In einem Schreiben von Bundesverkehrsstaatssekretär Enak Ferlemann (CDU) an den Vorsitzenden der CDU-Landesgruppe Rheinland-Pfalz im Bundestag, Patrick Schnieder, hatte das kürzlich anders geklungen. Dort hieß es: „Um den Bau einer Neubaustrecke für den Güterverkehr wirtschaftlich begründen zu können, müsste sich das Verkehrsaufkommen des Personen- und Güterverkehrs auf der Schiene im Mittelrheintal deutlich, etwa um den Faktor 10, über die bis 2030 prognostizierten Zugzahlen hinaus erhöhen.“ Dieses Schreiben liegt der dpa vor.
Missverständliche Aussagen
Das Mainzer Verkehrsministerium befürchtete daraufhin den „Todesstoß für die alternative Güterverkehrsstrecke“. Minister Volker Wissing (FDP) sagte, er habe den Eindruck, dass der Bund die alternative Strecke nicht wolle. Der rheinland-pfälzische CDU-Bundestagsabgeordnete Peter Bleser sprach indes von missverständlichen Aussagen seines Parteikollegen Ferlemann.
Am Mittelrhein, bei Kommunalpolitikern, Bahnlärmgegnern und Bürgern löste diese erste Nachricht aus dem Bundesverkehrsministerium ebenfalls einen Sturm der Entrüstung aus. Die SPD-Kreisvorsitzende Sandra Porz kommentierte: „Herr Ferlemann hat offensichtlich nicht die geringste Vorstellung von der Situation im Mittelrheintal“, und kündigte an, die Problematik in einem Schreiben an die SPD-Bundesvorsitzende Andrea Nahles zu thematisieren.
Nun rudert das Bundesministerium für Verkehr zurück, relativiert die Aussage des Staatssekretärs. Alles nur ein Missverständnis? Statt zehnfachem Verkehrsaufkommen reiche nun schon eine Verdoppelung des Güterverkehrs, um eine Alternativstrecke zu rechtfertigen? Und, auch das teilte das das Bundesverkehrsministerium am Dienstag weiter mit, es werde eine Machbarkeitsstudie erstellt, Vorarbeiten hätten begonnen.
„Auch eine Verdoppelung der Güterzüge ist natürlich viel zu viel und unzumutbar!“, sagt Willi Pusch, Vorsitzender der BI im Mittelrheintal gegen Umweltschäden durch die Bahn, in einer ersten Reaktion auf die neuerliche Nachricht aus Berlin. Denn das würde 1200 Züge pro Tag bedeutenden. Entscheidend ist aber für ihn der letzte Satz: Eine Machbarkeitsstudie wird erstellt. Die allerdings habe man den Anwohnern am Rhein bereits für das vergangene Jahr versprochen. „Man hat uns hingehalten“, kritisiert Pusch, der hofft, dass die Studie nun tatsächlich kommt. Im Hinblick auf die Bauzeit einer Alternativtrasse ist er sicher: „Wir brauchen jetzt dringend den Beginn der Planung, denn die Verwirklichung wird sich ohnehin über Jahrzehnte hinziehen.“ Bis dahin, so fordert der Bahnlärmgegner, „brauchen wir ein Nachtfahrverbot und eine Geschwindigkeitsbegrenzung für Güterzüge auf 50 km/h innerhalb der Ortschaften.“ Und natürlich setzt er auch auf die Zusage des Bundes, dass bis 2020 alle Züge mit den sogenannten Flüsterbremsen ausgestattet sein sollen.
„Unsere Forderung bleibt auf jeden Fall die gleiche“, sagte Frank Puchtler, Vorsteher des Zweckverbandes Welterbe Oberes Mittelrheintal, auf das Zurückrudern des Bundesministeriums: die Aufnahme der Alternativstrecke in die Liste des vordringlichen Bedarfs. Denn es gehe nicht nur um eine rein zahlenmäßige Wirtschaftlichkeit bei diesem Projekt.
Projekt für kommende Generationen
„Es geht um die Menschen im Mittelrheintal und um viele Bausteine, die in die Wirtschaftlichkeitsberechnung einbezogen werden müssen“, sagt Puchtler und nennt die Verkehrsentlastung der städtischen Zentren, das Welterbetal, den Tourismus, die Kultur in der Region und die Gesundheit ihrer Bewohner, weil all dies ineinander greife. „All diese volkswirtschaftlichen Aspekte müssen in die Berechnung einbezogen werden, denn es handelt sich um ein Projekt für die kommenden Generationen. Wir fordern eine Zukunft für das Mittelrheintal ein.“
Als „völlig inakzeptabel“ bezeichnet Roger Lewentz, rheinland-pfälzischer Innenminister und örtlicher Abgeordneter, „die konfuse Informationspolitik des Bundesverkehrsministeriums in der Diskussion um eine alternative Güterzug-Trasse. Sie erweckt den Eindruck, dass hier bewusst Verwirrung gestiftet werden soll bei den Betroffenen, um ein aus Berliner Sicht offenbar unbeliebtes Projekt auf den St. Nimmerleinstag zu verschieben oder gar zu torpedieren.“
Dabei gehe es bei der Entlastung der lärmgeplagten Anwohner im Mittelrheintal um nicht mehr und nicht weniger als einen möglichst raschen und spürbaren Schutz der Gesundheit, sagt Lewentz weiter. „Ich fordere ohne Wenn und Aber, dass auf Basis seriöser Zahlen umgehend eine Machbarkeitsstudie für eine alternative Güterzug-Trasse erstellt wird.“ Karin Kring