An der Ahr sind nur noch wenige Helfer geblieben
Auf Reise mit Helfern aus dem Hunsrück an der Ahr: Die Angst vor dem nächsten Winter ist groß
Sina Ternis

Rhein-Hunsrück. Im nördlichen Rheinland-Pfalz sind nur noch wenige Helfer geblieben. Doch Engagierte aus dem Rhein-Hunsrück-Kreis unterstützen die Flutopfer weiterhin. Unsere Reporterin Sina Ternis hat einen von ihnen, Timo Moosmann, auf seiner Tour begleitet. 

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Sina Ternis

Es sind Bilder von Hoffnung und von Trostlosigkeit, von Aufbruchstimmung und von Aufgabe. Es sind Bilder, die etwas mit einem machen, die zum Nachdenken animieren, die traurig stimmen, die aber auch Optimismus hervorrufen. Wer derzeit ins Ahrtal fährt, der wird mit einer Vielzahl an Emotionen konfrontiert. Der sieht Menschen, die voller Sorge dem bevorstehenden Winter entgegenblicken, die eine Perspektive suchen, aber nicht finden. Der sieht aber auch Menschen, die anpacken, die die Katastrophe, die mittlerweile fast eineinhalb Jahre zurückliegt, als Chance für die gesamte Region begreifen, die den Blick nicht mehr nach hinten richten, sondern alles dafür tun, das Beste aus der Situation zu machen.

Diese Erfahrung hat auch der Mörschbacher Timo Moosmann gemacht. Er gehört zu den Helfern der ersten Stunde – und er ist auch heute noch in Dernau, in Bad Neuenahr und in den umliegenden Orten aktiv. Regelmäßig besucht er das Ahrtal, ist dort mittlerweile gut vernetzt und für seine anpackende, unbürokratische Art geschätzt.

Bollerwagen, Turnbänke und Matten gespendet

Seine erste Station an diesem Tag führt ihn direkt zur Dokumentationsstätte Regierungsbunker oberhalb von Dernau, idyllisch in den Weinbergen gelegen. Hier haben Kindergarten und Schule eine neue, temporäre Bleibe gefunden: in einem kleinen Containerdorf, großer Hof und Spielgeräte inklusive. Unmittelbar daneben befindet sich der imposante Eingang zum ehemaligen Regierungsbunker. Moosmann hat hier und in vier anderen Einrichtungen gemeinsam mit dem Lions Club Hunsrück Bollerwagen, Turnbänke und -matten gespendet.

Margot Hess, die Leiterin des Kindergartens, begrüßt ihn herzlich, bittet ihn in ihr kleines Büro. Im Innern ist nichts davon zu spüren, dass es sich um ein Containergebäude handelt. Alles ist hell und freundlich eingerichtet, aus den Räumen erklingt Kinderlachen. „Wir sind hier angekommen und fühlen uns wohl“, berichtet Hess. Nachdem die Kita, die ein paar Hundert Meter Luftlinie von der Ahr lag, komplett überschwemmt worden war, waren sie, ihre Kolleginnen und die mehr als 60 Kinder erst einmal in einem Provisorium untergekommen, ehe im Laufe des Jahres die neuen Containerräumlichkeiten bezogen werden konnten. In zwei bis drei Jahren soll in Dernau eine neue Kindertagesstätte entstehen. Die alte wurde abgerissen. Bis dahin machen es sich die Kinder, die aus Dernau und Umgebung kommen, in ihrer Containerkita gemütlich.

„Es ist wichtig, dass wir eine Bleibe haben, dass die Kinder wieder einen geregelten Alltag haben.“ Für die Errichtung der Container sei die Gemeinde verantwortlich gewesen, habe schnell und unbürokratisch gehandelt. Die komplette Innenausstattung unterdessen wurde über Spenden finanziert. Genau wie die Bollerwagen der Lions, „die schon sehr rege genutzt werden“, wie Hess erzählt. Mittlerweile habe die Spendenbereitschaft generell aber deutlich abgenommen.

Für den Kindergarten stellt das kein Problem dar, denn dieser ist mit allem ausgestattet, was die Kinder benötigen, um eine unbeschwerte, schöne und zugleich lehrreiche Zeit zu verbringen. Die Leiterin weiß aber, dass es noch viele Stellen gibt, an denen Hilfe benötigt wird. Sie selbst war und ist auch privat von der Flut betroffen, ihr Haus, in dem das Wasser noch im ersten Obergeschoss kniehoch stand, ist nicht bewohnbar. Wenn sie von der Flutnacht und von der Rettungsaktion, initiiert durch ihren Sohn, der bei der Freiwilligen Feuerwehr ist und der seine Mutter sowie die Großeltern über ein Rettungsseil über die Rückseite des Hauses ins Freie gebracht hat, berichtet, dann tut sie das mit fester Stimme. Sie ist eine von denen, die nach vorn blickt. Aber auch sie hatte Probleme, den Antrag auf Wiederaufbauhilfe bei der ISB, der Investitions- und Strukturbank Rheinland-Pfalz, zu stellen.

Gutachten müssen beantragt und eingereicht, Formulare eingescannt, Daten eingegeben werden. „Das ist definitiv eine Herausforderung“, sagt Hess, die beim Ausfüllen Hilfe von ihrer Tochter bekommen hat. Dass Viele bislang noch keinen Antrag gestellt haben, diese Erfahrung hat Guido Henseler gemacht.

Kinder die Sorgen des Alltags vergessen lassen

Er ist einer der Initiatoren des Vereins „Spenden-Shuttle – Der FördAHRverein“. Dort geht es für Moosmann als nächstes hin. Die Begrüßung fällt herzlich aus. Beide stehen in ständigem Austausch miteinander, unterstützen sich gegenseitig. So haben die Lions den Verein beispielsweise mit einer Hüpfburg unterstützt. Diese ist Teil eines Kinderspielparadieses, das in einem großen Zelt unmittelbar an der Ahr in Bad Neuenahr entstanden ist.

Auch Henseler fällt in die Kategorie der Macher. Er wohnt in Sinzig, also nicht unmittelbar im betroffenen Gebiet. Als er die Bilder der verheerenden Nacht im Fernsehen sieht, steht für ihn direkt fest: „Ich möchte helfen.“ Er nimmt einen Kredit von 50.000 Euro auf, um genau das zu tun: helfen. „Ich hatte die Hoffnung, dass ich das über Spenden wieder reinbekomme“, sagt er. Tatsächlich vervielfachten sich die eingehenden Spenden binnen kürzester Zeit, bewegten sich im siebenstelligen Bereich. Um das Geld optimal verwalten und vor allem da einsetzen zu können, wo es gebraucht wurde, gründet er mit fünf anderen das Spenden-Shuttle und hat seither unglaublich viel bewegt. Das Spielparadies ist sicherlich eins der größten Projekte, hinzu kommen Spielplätze, Ausflugsfahrten für Senioren, Sach- und Geldspenden. „Schnell und unbürokratisch“, betont der Initiator.

Wie schnell und unbürokratisch, das zeigt ein Beispiel sehr deutlich: Ganz bewusst sei Henseler abends in eine Einrichtung für Flutopfer gegangen, weil ihm klar war, dass diejenigen, die so spät noch dort sitzen, wirklich einsam sind. Schnell kommt er damals mit den Menschen ins Gespräch, lässt sich ihre Geschichten erzählen – und überweist ihnen einen Geldbetrag, damit sie sich „einen schönen Tag machen und ihre Sorgen wenigstens für kurze Zeit vergessen können“.

Sina Ternis

Während des Erzählens stößt Nadine Wenigmann zu den beiden Männern. Henseler und sie kennen sich, Moosmann hatte bislang nur telefonisch Kontakt zu der Mitarbeiterin der Stadtverwaltung Bad Neuenahr-Ahrweiler. Und das vor allem in ihrer Funktion als ehrenamtlich Engagierte. Die zweifache Mutter wohnt in Bad Ahrweiler. Weil ihr Haus etwas höher steht, war sie allerdings nicht direkt von der Flut betroffen. Indirekt schon. Denn die komplette Infrastruktur war binnen weniger Stunden komplett zusammengebrochen.

Auch die Spielplätze, die die junge Familie vor der Flut regelmäßig aufgesucht hat, sind weggespült worden. Das sei der Punkt gewesen, an dem Wenigmann ihr Engagement angesetzt hat. Sie wollte nicht nur ihren, sondern vor allem auch den von der Flut unmittelbar betroffenen Kindern wieder Anlaufstellen bieten, an denen sie Kind sein und ihre Sorgen vergessen können, sagt sie. „Ich habe Kontakt mit der Stadt aufgenommen und habe sofort freie Hand bekommen. Da wusste ich, wie schwierig die Lage wirklich war und sicherlich auch noch ist“, so Wenigmann.

Sie nimmt die Zusage als Aufforderung – und macht sich auf die Suche nach Sponsoren. Schnell ist ausreichend Geld für neue Spielgeräte vorhanden, und der erste Spielplatz kann nur kurze Zeit später eingeweiht werden. Es folgen einige weitere Projekte, die sie teilweise auch mit Unterstützung des Spenden-Mobils realisiert.

Mittlerweile verfügt Bad Neuenahr dank des Engagements der jungen Mutter und anderer Ehrenamtlicher wieder über zahlreiche Anlaufstellen für Kinder. Und dieses Engagement führte auch zu ihrer Anstellung in der Stadtverwaltung, wo sie ebenfalls täglich mit den Folgen der Katastrophe konfrontiert wird – und wo sich immer wieder Schnittmengen mit Helfern wie Moosmann und Henseler auftun. So auch bei der Einrichtung einer Sportstätte für die lokalen Vereine, Kindergärten und Schulen. Diese ist binnen kürzester Zeit entstanden – aus einem Zelt, das ursprünglich als Veranstaltungsstätte genutzt worden war. Statt es abzubauen, hatte sich die Stadt entschieden, es umzufunktionieren.

Vereine, Ehrenamtliche und Stadt arbeiten Hand in Hand

Und hier kommen Moosmann und der Lions Club Hunsrück wieder ins Spiel: Sie spendeten den Hallenboden, der aus vielen zusammensetzbaren Gummimatten besteht und auf diese Weise das Verletzungsrisiko deutlich minimiert. Ein Anruf Wenigmanns bei Moosmann genügte, und er leitete alles Weitere in die Wege. „Und das ist das Großartige hier. Ehrenamtliche, Hilfsorganisationen, Vereine und Stadt arbeiten Hand in Hand, suchen schnelle und unkomplizierte Wege, befruchten sich gegenseitig. Es sei kein gegeneinander, sondern immer geht es darum, die bestmögliche Lösung zu finden“, sagt Wenigmann. Und Moosmann ergänzt: „Dadurch, dass wir uns hier ein großes Netzwerk aufgebaut haben, kann ich auch immer vermitteln.“ So hat er beispielsweise auch Vereine und Sportbund zusammengebracht, der ebenfalls über Spendengelder verfügt.

Allerdings hat auch er festgestellt, dass die Spendenbereitschaft in den vergangenen Monaten deutlich abgenommen hat, dass sich die meisten Helfer zurückgezogen haben und nur noch Hartgesottene regelmäßig da sind. Und das sei vor allem mit Blick auf den Winter schwierig. „Wir alle dachten, der erste Winter würde der Schlimmste werden. Aber ich bin mir sicher, dass das, was uns jetzt bevorsteht, noch viel schlimmer wird“, sagt Wenigmann. Im ersten Winter hätten die Menschen noch der Tatendrang getragen. Das sei jetzt anders. Jeder Einzelne sei erschöpft, am Rande seiner Kräfte, und die Perspektiven seien vielfach einfach nicht da. Viele fühlten sich im Stich gelassen, von den bürokratischen Hürden erschlagen.

Da kann Udo Willerscheid nur zustimmen. Zu ihm geht es für Timo Moosmann als nächstes. Er ist ehrenamtlich beim Radsportverein Sturmvögel engagiert, hat oberhalb von Ahrweiler einen Bikepark für Kinder und Jugendliche errichtet. Der Lions Club hat hier ein Gartenhaus gespendet. Weil die Streckenführung noch erweitert wird und weil es derzeit schwierig ist, Firmen zu finden, die das Fundament errichten, steht das Häuschen noch nicht. Dennoch haben Willerscheid und andere Helfer in den vergangenen Monaten viel bewegt, haben einen Trail errichtet, auf dem sich jeden Tag Dutzende Kinder und Jugendliche tummeln. Weil die Anlaufstellen in der Stadt vielfach weggebrochen sind, wollte auch er schnell eine neue schaffen.

Es sind die Macher, die Moosmann an diesem Tag trifft. Die, die die Probleme sehen und Lösungen suchen. Er weiß aber auch, dass es viele andere gibt. Menschen, denen es nicht gut geht, die mit ihren Sorgen allein gelassen werden. „Die Leute liegen am Boden und sollen aufstehen, um einen Marathon zu laufen“, beschreibt er die Situation.

Spendenkonto: Vereinigung Freunde LC-Hunsrück e.V., IBAN: DE25 5605 1790 0110 0895 96, Verwendungszweck: Ahr.

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