Ehrung für Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen heute - EU-Berichterstatter Norbert Neuser betont die Bedeutung des WFP
Auch in Boppard wird gefeiert: Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen erhält Friedensnobelpreis
Im vergangenen Jahr konnte Norbert Neuser verschiedene humanitäre Projekte besuchen, bei denen die Hilfe für Menschen in größter Not im Fokus stehen. In diesem äthiopischen Flüchtlingslager erhielt der Bopparder EU-Abgeordnete einen Einblick in den Aufbau einer provisorischen Schule. Fotos: Norbert Neuser
Norbert Neuser

Oslo/Boppard. Dieses Foto spricht Bände. Es ist ein Bild des Welternährungsprogramms (WFP) der Vereinten Nationen. Nein, die Aufnahme zeigt keine Menschen, die unter Hunger leiden, es zeigt vielmehr geballte Fäuste, die Richtung Himmel gehen. Die abgebildeten Menschen tragen alle eine Mund- und Nasenschutzmaske, sie wirken kämpferisch, mutig, entschlossen. Es ist ein Symbol der Freude, des Erfolgs, der Hoffnung. Das Bild, das die Besucher auf der Internetseite des WFP empfängt, wurde anlässlich eines historischen Moments eingestellt: der Verleihung des Friedensnobelpreises an das Welternährungsprogramm. Es ist ein Motiv, das auch dem Bopparder SPD-Politiker Norbert Neuser gut gefällt.

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Im vergangenen Jahr konnte Norbert Neuser verschiedene humanitäre Projekte besuchen, bei denen die Hilfe für Menschen in größter Not im Fokus stehen. In diesem äthiopischen Flüchtlingslager erhielt der Bopparder EU-Abgeordnete einen Einblick in den Aufbau einer provisorischen Schule. Fotos: Norbert Neuser
Norbert Neuser

Am Donnerstag wird in Oslo der Friedensnobelpreis an das in Rom ansässige Welternährungsprogramm verliehen. Diese Ehrung erfüllt den Europa-Abgeordneten Neuser mit großer Freude. „Wir erleben deutlich, wie stark sich die Krisen weltweit ausgeweitet haben“, sagt der SPD-Politiker, der ständiger Berichterstatter für humanitäre Hilfe und Vizevorsitzender im Entwicklungsausschuss des Europäischen Parlaments ist. Neuser ist froh darüber, dass an diesem Donnerstag weltweit der Blick auf das WFP als neuem Friedensnobelpreisträger gerichtet wird – und er hofft, dass von dem Festakt in Norwegens Hauptstadt eine nachhaltige Wirkung ausgeht.

„Es ist ein besonderer Moment, und es ist eine gute Entscheidung, dass der Friedensnobelpreis an das Welternährungsprogramm verliehen wird“, sagt Neuser. Er denkt zurück auf die Verleihung des Vorjahres, in dem der äthiopische Ministerpräsident Abiy Ahmed den Preis erhalten hat. Der äthiopische Politiker war für die Aussöhnung mit dem Nachbarland Eritrea ausgezeichnet. Ein Jahr später ist Äthiopien selbst Schauplatz erbitterter Kämpfe. In der Region Tigray lieferten sich Regierungstruppen und die Volksbefreiungsfront von Tigray (TPLF) gut einen Monat lang heftige Kämpfe, die zu Wochenbeginn von staatlicher Seite als beendet, die Aufstände in der Region als kontrolliert bezeichnet wurden.

Die Auseinandersetzung hat dazu geführt, dass fast 50.000 Menschen aus dem Norden Äthiopiens flüchteten und im Sudan in blanker Not leben. Die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, Michelle Bachelet, hatte mit Blick auf die bedrohliche Situation bereits vor Tagen dringend eine Deeskalation eingefordert, das Welternährungsprogramm beschrieb eine dramatische Entwicklung, die mehr als 20 Millionen Euro an Soforthilfen erforderlich machen würden. Auch wenn die militärische Situation beruhigt wirkt, ist die humanitäre Lage fordernd. Vor allem, weil viele Kinder und schwangere Frauen betroffen sind.

Jemen steht vor einer Hungersnot

Das Schicksal der geflüchteten Menschen aus Äthiopien beschreibt Neuser mit Blick auf die heutige Preisverleihung ebenso wie die grundsätzlich als verheerend geltende Lage in Sudan oder auch im Jemen. Dort müssen nach Angaben des WFP gut 80 Prozent aller Lebensmittel importiert werden, im kommenden Jahr droht im Jemen eine Hungerkatastrophe, die schätzungsweise 50.000 Menschen betreffen wird. „Jemen steht am Rande einer Hungersnot, und wir dürfen den Millionen von Familien, die jetzt in auswegloser Not stecken, nicht unseren Rücken zudrehen“, erklärte der leitende Direktor des Welternährungsprogramms, David Beasley, vergangene Woche internationalen Medien. Dazu kommen extreme Zustände in verschiedensten Flüchtlingslagern auf dem Globus.

Diese Jungs warten in einer Reihe auf die Essensausgabe bei der Schulspeisung in Banjul in Gambia.
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Die Ausgabe von Lebensmitteln erfolgt in diesem Flüchtlingslager in Äthiopien an der Grenze zu Somalia durch das Welternährungsprogramm.
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Nahrungsmittel werden in Flüchtlingslagern wie in diesem in Äthiopien erst nach einer Registrierung durch die Helfer ausgegeben.
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Norbert Neuser besuchte diese Ausgabe von Lebensmitteln im kenianischen Eldoret und ließ sich über die Situation am Ort informieren.
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Im vergangenen Jahr konnte Norbert Neuser verschiedene humanitäre Projekte besuchen, bei denen die Hilfe für Menschen in größter Not im Fokus stehen. In diesem äthiopischen Flüchtlingslager erhielt der Bopparder EU-Abgeordnete einen Einblick in den Aufbau einer provisorischen Schule. Fotos: Norbert Neuser
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Das Welternährungsprogramm sorgt, wie hier in Banjul, der Hauptstadt von Gambia, für Schulspeisungen und einen Zugang zu Nahrung und Bildung.
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Für Neuser sind solche Nachrichten der Beleg, wie bedeutend der Einsatz des Welternährungsprogramms für die Verbesserung der humanitären Lage in Krisengebieten ist. „Es geht um das Überleben“, sagt der Bopparder, der erläutert, wie viel mehr hinter dem Begriff „Welternährungsprogramm“ steckt. „Es geht um medizinische Versorgung und medizinische Fürsorge, um die Aufrechterhaltung des schulischen Angebots für die Kinder bis hin zur Schulspeisung, um Flüchtlingslager und viele Aufgaben mehr. Schwerpunkt der Arbeit ist es, direkt zu helfen, aber die Auswirkungen sind viel weitreichender.“

Der Bopparder Politiker gibt ein Beispiel dafür, wie massiv sich die Corona-Pandemie auf das Unterstützungssystem auswirkt: „Wir haben in den vergangenen Monaten intensiv erlebt, wie durch die verschiedenen Lockdowns der Schulbetrieb ausgefallen ist, und damit ist auch die Versorgung der Kinder mit Nahrung durch die angebotene Schulspeisung weggefallen.“ Mit Blick auf die Berichte, die er als EU-Berichterstatter erhält, ergänzt er: „Gerade die aktuelle Lage im Sudan ist verheerend.“ Dazu kommen Krisensituationen in Ländern, die neben dem Jemen oder Sudan seit vielen Jahren in bedrohlichen Zuständen sind, beispielsweise der Nordosten Nigerias oder auch Burkina Faso.

„Mit dem Welternährungsprogramm hätte wohl kein würdigerer Preisträger gefunden werden und auch der Zeitpunkt hätte nicht besser gewählt sein können“, sagt Neuser. „Es ist gut, dass dieses Mal kein Politiker, keine Einzelperson, sondern das WFP ausgewählt wurde.“

Wie Neuser erläutert, mussten im vergangenen Jahr 97 Millionen Menschen vom Welternährungsprogramm in einer akuten Hungerkrise unterstützt werden. „In diesem Jahr werden es 138 Millionen sein. Das ist ein trauriger Rekord, denn noch nie in seiner 60-jährigen Geschichte musste das Welternährungsprogramm so vielen Menschen in Not helfen.“ Doch die Ressourcen des Programmes, das von den USA mit rund 2,8 Milliarden Euro in diesem Jahr vor Deutschland (rund 1 Milliarde) und der EU (knapp 450 Millionen Euro) weltweit am stärksten finanziell unterstützt wird, sind begrenzt. „Angesichts dramatischer Krisen ist es besonders wichtig, dass der Haushalt für humanitäre Hilfe weiter umfangreich von den Mitgliedsstaaten ausgestattet wird.“ Neuser verweist so darauf, dass durch Nachverhandlungen in dem neuen, für sieben Jahre aufgelegten EU-Haushalt insgesamt 10,8 Milliarden Euro für humanitäre Hilfen enthalten sind. Geld, das angesichts der vielen Krisen weltweit dringend gebraucht wird.

„Gerade jetzt benötigt das Welternährungsprogramm die Aufmerksamkeit der EU-Mitgliedsstaaten für die Hungersnöte der Menschen und die Unterstützung der Arbeit dieser Organisation der Vereinten Nationen“, sagt Neuser. Der Friedensnobelpreis hilft, die Aufmerksamkeit auf die Not der Menschen zu lenken und auch auf die Bedeutung des Welternährungsprogrammes selbst. „Es gibt auch Länder, die sich der Hilfe aus Stolz verschließen“, erinnert sich Neuser zurück an das extreme Erdbeben in Nepal im Frühjahr 2015, als das Land sich erst nach anfänglichem Zögern helfen ließ. Auch hier trägt der Friedensnobelpreis dazu bei, das Engagement auf eine noch breitere Plattform zu heben.

Mehr Krisen durch Klimasituation

Wie wichtig und positiv die humanitäre Hilfe am Ort ist, hat Neuser auf seinen Reisen im Auftrag der EU selbst immer wieder erlebt. „Ich habe im vergangenen Jahr auch mehrere Flüchtlingslager besucht“, blickt er zurück. Corona-bedingt waren solche Aufenthalte im laufenden Jahr sehr schwierig. In Äthiopien und in Gambia hat der Bopparder im Vorjahr unter anderem erfahren, wie wichtig die Schulspeisung ist, die Kindern auf der einen Seite regelmäßige Nahrung ermöglicht, ihnen auf der anderen Seite aber auch einen festen Zugang zu Bildung ermöglicht. Solche Programme gewinnen aus seiner Sicht angesichts der allgemeinen Entwicklung zunehmend an Bedeutung. „Allein durch die Klimasituation nehmen die Krisen zu“, sagt Neuser und verweist auf Dürrekatastrophen, Überschwemmungen oder auch auf die über Monate über Ostafrika hinwegziehende Heuschreckenplage. Solche Entwicklungen sorgen binnen kürzester Zeit für existenzielle Bedrohungen. Die Corona-Pandemie verstärkt die schwierige Situation obendrein. Bundesentwicklungsminister Gerd Müller hatte zuletzt erklärt, dass er die internationalen Corona-Hilfen ausbauen möchte. Denn die Pandemie treffe die ärmsten Menschen am härtesten. Die Nobelpreisverleihung richtet den Scheinwerfer auf solche Herausforderungen – wenn es nach Norbert Neuser geht, sehr gern weit über den Tag der Preisverleihung hinaus.

Von unserem Chefreporter Volker Boch

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