80 Jahre Kriegsende
Als die Amerikaner den Hunsrück eroberten
Über einen großen Bestand an Dokumenten und Bildern aus dem Zweiten Weltkrieg verfügt das Rhein-Hunsrück-Archiv unter dem Dach des Kreishauses in Simmern. Die Fragebögen des Arbeitskreises für Hunsrücker Heimatforschung und Geschichte von 1958 sind für Archivleiter Fritz Schellack eine wertvolle Informationsquelle.
Dupuis Werner. Werner Dupuis

Von der Mosel kommend eroberten vor 80 Jahren amerikanische Soldaten auch die Hunsrückhöhen. Damit war das Ende des Zweiten Weltkriegs besiegelt – zur Freude der kriegsmüden Bevölkerung. 

Vor genau 80 Jahren, am 15. und 16. März 1945, stießen amerikanische Soldaten unterstützt durch Kampfflugzeuge aus der Luft von der Mosel kommend in den Hunsrück vor und bereiteten dem blutigen Zweiten Weltkrieg ein von der kriegsmüden und ausgelaugten Bevölkerung lang ersehntes Ende.

Bereits im frühen März 1945 näherten sich amerikanische Einheiten von Westen her dem Hunsrück. Für Trier war am 1. März der Krieg zu Ende. Am 7. März wurde die strategisch wichtige Rheinbrücke von Remagen erobert, am 9. und 10. März folgten die Einnahme von Andernach und Koblenz. Am 14. März überquerten zwei US-Infanterie-Divisionen die Mosel bei Löf und Hatzenport sowie einige Kilometer flussaufwärts zwischen Müden und Karden. Die darauffolgenden Tage brachten während des Vormarsches der Amerikaner nochmals Zerstörung, Schrecken, Elend und Leid über das Land. Allein in den Altkreisen St. Goar und Simmern forderten die letzten Tage des Zweiten Weltkrieges mehr als 250 Ziviltote, mehr als 240 deutsche Soldaten verloren ihr Leben. Etliche wurden verwundet. Auch bei den amerikanischen Einheiten forderten die Kämpfe in jenen Märztagen viele Opfer. Auf breiter Front stießen die amerikanischen Einheiten von der Mosel und aus dem Rheintal in den Hunsrück vor.

Von der Mosel aus führte der Vormarsch auf die Hunsrückhöhen am 15. März auch in Richtung Simmern. Vor Morshausen stießen die Amerikaner auf deutsche Soldaten einer SS-Gebirgsjäger-Division. 20 Soldaten kamen bei den erbitterten Kämpfen ums Leben. Das kleine Dorf, das bereits Tage zuvor unter Artilleriebeschuss lag, wurde stark beschädigt, zwei Zivilisten fanden hier den Tod. Bis zu 70 Prozent wurde auch das benachbarte Beulich durch Jagdbomber und Beschuss der Artillerie zerstört.

Vor 80 Jahren, am 16. März 1945, endete auch in Bell der Zweite Weltkrieg. Amerikanische Soldaten erreichten mit ihren Panzern um die Mittagszeit das Dorf.
Dupuis Werner. Werner Dupuis

Über Macken, Beltheim, Ebschied und Laubach ging es in die Kreisstadt, die gegen 18.30 Uhr erreicht wurde. Der Einmarsch forderte ebenfalls einen hohen Blutzoll. Allein 21 Zivilpersonen kamen dabei ums Leben. In allen Ortschaften, die von den amerikanischen Panzerspitzen beim Vormarsch tangiert wurden, standen in Kellern, Schieferstollen oder Verstecken im Wald geflüchtete Männer, Frauen und Kinder Todesängste aus. Etliche ihrer damals gemachten persönlichen Aufzeichnungen sind in Orts- und Familienchroniken bewahrt, sind Dokumente des Leids und Elends der Menschen in diesen Schreckenstagen.

Die Ereignisse der letzten Kriegstage in Bell bei Kastellaun schildern die Erinnerungen von Dora Reinhart, die als Küsterin in der evangelischen Gemeinde tätig war. Am Nachmittag des 15. März stießen die Amerikaner von Kastellaun kommend vor. Die deutschen Einheiten zogen sich fluchtartig zurück. „Mit müden, abgehetzten Gesichtern, teilweise fußkrank, passieren unzählbare Soldaten mit Pferdefuhrwerken und Geschützen, einzelnen Geländewagen und schweren Lkw das Dorf. Jegliche Ordnung scheint aufgelöst, einige Soldaten erleichtern ihr Gepäck, legen Wolldecken am Straßenrand ab, auch Panzerfäuste bleiben zurück. Andere schleppen mit, was ihnen nicht gehört. So führt ein Soldat eine seidene Steppdecke mit, einer hatte einen Fuchspelz umgelegt, einem Dritten hing ein Henkelkorb aus Großmutters Zeiten am Arm“, beschreibt die Autorin das Chaos. Gegen Abend kehrte dann in Bell wieder Ruhe ein. Zurück blieben ungefähr 15 Soldaten, die Wache an einer Panzersperre hielten.

„Mit müden, abgehetzten Gesichtern, teilweise fußkrank, passieren unzählbare Soldaten mit Pferdefuhrwerken und Geschützen, einzelnen Geländewagen und schweren Lkw das Dorf.“
Dora Reinhart

Am frühen Morgen des 16. März sollte die Sperre geschlossen werden. Doch beherzte ältere Beller Männer wollten dies verhindern, um drohende Gefahr von ihrem Dorf abzuwenden. Es gab einen heftigen Disput mit den Wehrmachtssoldaten. Mit einem Pferd rückten die Männer schließlich die schweren Baumstämme zur Seite. Am Vormittag kreisten amerikanische Flugzeuge über das Dorf. „War jetzt endlich der Zeitpunkt, um die weiße Fahne zu hissen?“, fragten sich etliche Einwohner. Frauen und Kinder suchten die Luftschutzräume auf. Mehrere Männer begutachteten vom Friedhof aus die Situation, als vier amerikanische Panzer, die von Buch kamen, in einer Reihe ihre Rohre drohend in Richtung Bell ausrichteten. Unterdessen hatte Pfarrer Rolffs vom Kirchturm die weiße Fahne gehisst. Daraufhin rückten die Panzer langsam auf das Dorf zu. Die noch im Dorf verblieben Einwohner suchten in Kellern Schutz. Parallel dazu verließen die deutschen Soldaten schleunigst ihre Posten. Auch einige von ihnen suchten in den Kellern Unterschlupf. Doch die dort Verharrenden – unter anderem Flüchtlinge von Mosel – duldeten sie nicht im Schutzraum.

Amerikaner stürmten in den Hof und zückten Handgranaten

Lehrer Schmidt, der perfekt Englisch sprach, entschloss sich, den Amerikanern entgegenzugehen. Am Ortsrand erwartete er gemeinsam mit einigen mit weißen Tüchern ausgestatteten Einwohnern die Amerikaner und informierte sie, dass kein Widerstand zu erwarten sei. Um 12 Uhr mittags rückten die Amerikaner ein – Panzer hinter Panzer: „wie im Gänsemarsch“, wird es geschildert. Die Infanteristen hinter den Panzern hatten sichernd das Gewehr im Anschlag, immer schussbereit. Vor einigen Dorfbewohnern, die mittlerweile aus ihrem Versteck gekommen waren, hielt der erste Panzer. In Deutsch kam die Frage: „Sind Soldaten da?“ „Ja, drei Soldaten dort im Keller!“

Die Amerikaner stürmten in den Hof und zückten dabei ihre Handgranaten. Dora Reinharts Mutter, die eigentlich sehr ängstlich war, rief entsetzt: „Nein, nein, hier sind Zivilisten drin, Frauen und Kinder!“ Zögernd kamen die deutschen Soldaten die Kellertreppe hinauf und wurden sofort gefangen genommen. Ähnliches geschah an weiteren Verstecken. Nicht zimperlich ging es laut Dora Reinharts Schilderung bei der Gefangennahme zu. Die deutschen Soldaten seien geschlagen und getreten und anschließend durchsucht worden. Dann wurden sie entlang der Kirchhofsmauer aufgestellt, wo sie sehr lange bis zu ihrem Abtransport verharren mussten. Alle Waffen und Munition wurden im Hof gesammelt und auf einen Haufen geworfen.

„Wie mag es mit uns weiterhin ergehen? Was wird aus Deutschland?“
Dora Reinhart schildert, was Beobachter bei Kriegsende umgetrieben hat.

Mit bangen Fragen im Herzen, fragt sich die dabei anwesenden Beobachter: „Wie mag es mit uns weiterhin ergehen? Was wird aus Deutschland?“ Obwohl alle diesen Tag als Stunde der Befreiung von einem harten Regime herbeigesehnt hatten, empfand sie nun die Ohnmacht eines besiegten Volkes, so Dora Reinhart in ihren Aufzeichnungen. Plötzlich fielen Schüsse, knatterten Maschinengewehre. Vom Beller Marktplatz aus schossen verbliebene deutschen Soldaten ins Dorf. Der Vormarsch stockte. Die Amerikaner erwiderten das Feuer etwa zehn Minuten lang. Als der Widerstand verstummt war, verließen die Panzer das Dorf. Von fast allen Häusern wehte zwischenzeitlich die weiße Fahne, meist ein Tisch- oder Betttuch, aus dem offenen Fenster hinaus.

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