Seit April sind Sprechstunden wieder möglich, erläuterte Gewehr, der ausführte, dass für Menschen mit einem Handicap nach wie vor Parkausweise ein Thema sind, „zunehmend aber auch das Teilhabegesetz. Auch in unserem Kreis gibt es unterschiedliche Lebensverhältnisse“, sagte Gewehr, der auch die Behörden in den Blick nahm, behutsamer mit den Rat oder gar Hilfe suchenden Menschen umzugehen: „Der Ton von einzelnen Mitarbeitern ist zum Teil sehr ruppig“, sagte Gewehr. Wer mit den Schwächsten der Gesellschaft beziehungsweise denjenigen, die sie vertreten, zu tun habe, müsse am Telefon nicht unfreundlich sein oder die hohe Verwaltung raushängen lassen. Grundsätzlich, sagte er, stehe die Kreisverwaltung tatkräftig zur Seite. „Oft ist es mühsam“, sagte Gewehr. Gerade bei der Frage von Leistungserbringung gebe es verschiedene Hürden.
Barrierefreiheit ist ein Muss für Menschen mit Handicap
Derzeit ist es vor allem die Pandemie, die Hindernisse ergibt. So möchte Gewehr derzeit nicht zugängliche Behinderteneinrichtungen nach der Pandemie wieder besuchen. „Ich lechze förmlich danach“, sagte er. Die Authentizität behinderter Menschen sei faszinierend und schön. Die besonderen Bedürfnisse von Menschen mit Einschränkungen sollten auch bei Bauvorhaben stärker berücksichtigt werden, erläuterte er weiter. Hier gebe es immer wieder Gesprächsbedarf, zuletzt beim Hotelbau in Simmern. Außerdem: Es könne nicht sein, dass Rollstuhlfahrer ins Wahlbüro getragen werden müssten. Auch der ÖPNV solle mehr Barrierefreiheit bieten. Und der Umgang von Arbeitgebern mit eingeschränkten Menschen, die viele Jahre im Unternehmen sind, lasse mitunter zu wünschen übrig.
Da Gewehr im Vorfeld der Sitzung mitgeteilt worden war, seinen Vortrag „auf zehn bis 15 Minuten anzusetzen“, konnte er nicht sonderlich in die Tiefe gehen, formulierte aber zum Abschluss allgemein, quasi als politischen Wunsch: „Behinderte Menschen gehören nicht an den Rand, sondern in die Mitte der Gesellschaft.“ Claudia Gutenberger (SPD) dankte dem Beauftragten für sein Engagement. Sie betonte zudem die Bedeutung, dass eine solche Stelle eingerichtet wurde. Denn gerade in Corona-Zeiten sei der Bedarf an Unterstützung und einem zuhörenden „Ohr“ enorm hoch.
Wesentlich umfangreicher als die Ausführungen von Gewehr war der Bericht der 2019 erstmals gewählten Kreisbeauftragten für Integration. Ohne zeitliche Vorgabe in ihren ersten Bericht geschickt, schilderte Bollhorst viele Details der Arbeit mit Geflüchteten, und es kam ein gewisser Unmut in den Reihen des Rats auf. Einige Abgeordnete schalteten, wie deutlich zu erkennen war, frühzeitig ab.
Inhaltlich befasste sich der Vortrag mit verschiedenen Herausforderungen, unter anderem im Berufsleben oder bezüglich des Kontakts von Geflüchteten mit Behörden. „Die Kreisverwaltung ist ein Ort, den man nicht so gern betritt“, sagte Bollhorst und erklärte gar: „Es ist ein angstbesetzter Ort.“ Daher biete sie ihre Sprechstunde nicht wie Gewehr im Kreishaus an, sondern in Form verschiedener Termine vor Ort – dort, wo die Menschen aufgrund teils eingeschränkter Mobilität besser erreichbar seien. Bollhorst sprach verschiedene Probleme, aber auch Positives an. So sei es toll zu sehen, wie Auszubildende beispielsweise bei einem großen Handwerksunternehmen in Simmern oder auch in kleinen Firmen ihren Weg machen. „Ich plädiere sehr dafür, die Bildungskoordination ein bisschen zu verändern“, sagte Bollhorst – positive Beispiele gelte es, zu stärken. Dagegen gebe es auch belastete Dienstverhältnisse, befristete Verträge, Kurzarbeit oder insgesamt schwierige Arbeitsverhältnisse.
Zuhörern ist der Vortrag deutlich zu umfangreich
Im Rahmen der insgesamt überladen wirkenden, fast vierstündigen Sitzung war der ausführliche Vortrag Bollhorsts den Zuhörern wohl deutlich zu umfangreich. Mit zunehmender Dauer nahm die Aufmerksamkeit ab. Nach gut 45 Minuten Vortrag, in denen es keine Eingriffe durch Landrat Marlon Bröhr gab, wandte sich Tobias Eiserloh von den Freien Wählern an die Beauftragte: „Es fällt mir sehr schwer, das noch alles aufzunehmen.“ Er sprach letztlich für viele und warb dafür, den Vortrag den Kreistagsmitgliedern schriftlich zur Verfügung zu stellen. Diese, im Sinne der Sitzungsführung formulierte Bitte, kürzte den Tagesordnungspunkt indes nicht ab, sondern leitete vielmehr über in eine teils persönliche Diskussion.
Es gab verschiedene Kontroversen. CDU-Fraktionschef Wolfgang Wagner fragte so an, wie häufig die Beauftragte seit ihrer Funktionsübernahme in der Verwaltung gewesen sei, um sich mit dem Hauptamt auszutauschen. Der stets gut informierte Abgeordnete fragte konkret weiter: „Gibt es regelmäßig Besprechungen?“ Daraufhin erwiderte Bollhorst, dass sie sich noch nicht im Hause vorgestellt habe. „Mir war nicht bewusst, dass es Usus ist, sich dort vorzustellen“, sagte sie. Es gäbe aber langjährige, enge Kontakte zu Mitarbeitern. „Ich bin sicher, dass ich jederzeit die Auskünfte bekomme, die ich brauche.“ Sie sei derweil nach ihrer Wahl überflutet worden mit Anfragen, und es gäbe eine hohe Dringlichkeit der Menschen. Wagner forderte sie daraufhin auf, die Fachabteilung zu besuchen.
Im Anschluss trat AfD-Fraktionschef Ralf Schönborn ans Rednerpult. „Ich möchte jetzt nicht auf die Punkte eingehen“, sagte Schönborn zu ihrem Vortrag. 2019 sei Bollhorst vom Kreistag gewählt worden, ihren Arbeitsauftrag habe das Gremium recht schwammig formuliert. Mit einem Leserbrief (in unserer Zeitung zur „Seebrücke“) habe sie sich auf inakzeptable Weise geäußert. „Nach Ihrer Darstellung sitzen hier also mehrheitlich Unmenschen“, sagte Schönborn – und über die Beauftragte: „Sie ist untragbar geworden, wir halten ihre Absetzung dadurch für geboten.“ Bollhorst konterte: „Die Ziele Ihrer Partei und meiner Beauftragung stimmen nicht überein.“
Verwaltung steht bei Fragen zur Integration zur Seite
Landrat Marlon Bröhr, der mit Bollhorst ein Vorgespräch zur Sitzung geführt hatte, erklärte zu ihrem Vortrag, dass es zwar Stichworte vorab gegeben hätte, aber keine Redelänge. Überdies sei Frau Bollhorst zur Beauftragten vom Kreistag gewählt worden, er sei von der Wahl ausgenommen gewesen. Wenn die Kreisverwaltung kritisiert werde, dann bitte er darum, dass seine Mitarbeiter „nicht vom Hörensagen“ diskreditiert würden. Weiter erklärte er: „Die Zusammenarbeit ist noch nicht tief gehender Natur, wenn es in anderthalb Jahren noch kein Arbeitsgespräch gegeben hat.“ Die Verwaltung stehe zur Seite, um die Beauftragte zu unterstützen. Zudem fragte Bröhr nach, in welchem Zusammenhang von problematischen Erfahrungen in der Kreisverwaltung die Rede gewesen sei. Bollhorst berichtete daraufhin von einer wohl im Kreishaus eingeleiteten Abschiebung „mit zahlreichen Polizisten“. Der Landrat verwies diesbezüglich auf den gesetzlichen Auftrag der Verwaltung.
Carina Konrad (FDP) regte eine Zusammenarbeit zwischen der Beauftragten, der Kreisverwaltung und dem Kreistag an. Die Beauftragte sei das Bindeglied zu Geflüchteten. Sabine Bollhorst regte schließlich einen Besuch der Fraktionen an. Bedarf für Dialog scheint es zu geben.