E-Mail aus USA nach Kreuznach
Zeitzeugen-Schicksale schwappen über den großen Teich 
Durch eine Trümmerlandschaft - zu sehen ist hier das Haus Schultheiss im Brückes 34 - musste Helmut Bechtoldt (99) am Ende des Krieges laufen, bis er zu Hause ankam. Für seine Geschichte interessiert sich ein junger Militärhistoriker aus den USA.
Sammlung Steffen Kaul

Unsere Berichte über Zeitzeugen aus dem Naheland und wie sie das Kriegsende erlebt haben, interessieren einen jungen Militärhistoriker aus den USA. Er möchte ein Buch veröffentlichen, in dem ehemals verfeindete Veteranen ihre Geschichte erzählen.

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In zahlreichen Berichten ließen wir in den vergangenen Wochen Zeitzeugen aus dem Kreis Bad Kreuznach zu Wort kommen, die uns erzählten, wie sie das Ende des Zweiten Weltkriegs erlebt haben. Die Schicksale dieser Menschen waren bewegend und eindrücklich – und sie schwappten sogar über den Atlantischen Ozean bis in die USA. Ein junger Militärhistoriker und Forscher namens Kyle Nappi (34) schrieb eine E-Mail an unsere Kollegin Hannah Klein, die einen Großteil der Erlebnisse unserer Zeitzeugen veröffentlichte. Er hat Interesse an den Geschichten der Überlebenden – und wir deswegen an ihm.

„Mein Hauptaugenmerk liegt darauf, die schwindenden Perspektiven der letzten überlebenden Zeitzeugen des Zweiten Weltkriegs festzuhalten“, schreibt uns der junge Mann. Ursprünglich stammt er aus einer Kleinstadt im ländlichen Ohio, lebt aber jetzt im Großraum Washington, D.C. Auf der Internetseite des renommierten U.S. Naval Institutes, einer gemeinnützigen Organisation, die sich auf Fragen der Seemacht und Verteidigungspolitik spezialisiert hat, wird er als „ein Spezialist für nationale Sicherheit mit Erfahrung in der Beratung des US-Verteidigungsministeriums und der US-Geheimdienste“ bezeichnet.

Kyle Nappi lebt in Washington D.C. und erforscht die Militärgeschichte des Zweiten Weltkrieges. In einer E-Mail an unsere Redakton interessierte er sich besonders für die Erlebnisse eines Zeitzeugen aus dem Kreis Bad Kreuznach.
Kyle Nappi

Nappi interessierte sich unter anderem für das Schicksal des gebürtigen Kreuznachers Helmut Bechtoldt (99), der als 17-jähriger Junge ein Jahr vor Kriegsende eingezogen wurde und am 8. Mai in der Danziger Bucht diente. Er wurde von Engländern gefangen genommen und konnte aus dem Zug entkommen, als er in Gau-Algesheim hielt. Was folgte, war ein Marsch durch Ruinendörfer, bis er im zerstörten Bad Kreuznach ankam.

Der Grund für Nappis Interesse an den Zeitzeugen-Geschichten dieser Zeitung ist schnell erklärt: „Aus eigener Initiative als unabhängiger Forscher hat er fast 5000 ehemalige Kriegsteilnehmer der Alliierten und der Achsenmächte aus dem Zweiten Weltkrieg interviewt – mit besonderem Schwerpunkt auf Veteranen des Kaiserreichs Japan, der Sowjetunion und des Dritten Reiches –, um das menschliche Erleben von Krieg und Konflikt besser zu verstehen und zu dokumentieren“, erklärt das U.S. Naval Institut. Nappi selbst sagt, ihn interessiert der Zweite Weltkrieg bereits seit seiner Jugend. „Ich erinnere mich, dass die Gedenkfeiern zum 60. Jahrestag des Angriffs auf Pearl Harbor 1941 mein Interesse an Militärgeschichte weckten. Bald wollte ich mehr über den Krieg erfahren und wie sich ehemalige Kriegsteilnehmer heute in ihren höheren Jahren erinnern“, schreibt er uns auf unsere Nachfrage.

Einer der Zeitzeugen, den diese Zeitung interviewt hat, ist Helmut Bechtoldt (99). Sein Schicksal in den letzten Kriegsmonaten des Jahres 1945 interessiert einen jungen Militärhistoriker in den USA.
Hans-Joachim Bechtoldt

Anfangs führte er Interviews mit Kriegsveteranen in seiner Heimatstadt in Ohio, weitete dann sein Forschungsinteresse aus. Oftmals wurden Kriegseinsätze von Veteranen in nationalen Zeitungsartikeln thematisiert – wie auch in dieser Zeitung. „So konnte ich mit Militärangehörigen aus den gesamten USA in Kontakt treten: Überlebende von Pearl Harbor, Träger der Medal of Honor, ausgezeichnete Kampfpiloten und so weiter.“

Sprachbarrieren waren dabei zunächst ein Hindernis, weswegen er bei japanischen Zeitzeugen öffentlich zugängliche Übersetzungsprogramme einsetzte. Zu deutschen Kriegsveteranen nahm er erstmals Ende 2006 Kontakt auf. „Ein berühmter Kampfpilot der Luftwaffe und Ritterkreuzträger war mein erster Briefpartner“, erinnert er sich. Er hörte Geschichten von Soldaten, die von der Schlacht um Britannien bis zur Brücke am Kwai reichten, und bekam Post von deutschen U-Boot-Kapitänen, Panzerkommandanten, Stalingrad-Veteranen und anderen. „Einige meiner Interviewpartner waren prominente Persönlichkeiten, andere waren einfache Soldaten“, schreibt Kyle Nappi.

Ehemalige Feinde erzählen ihre Geschichte

Nun möchte der junge Mann ein Buch veröffentlichen, in dem er in jedem Kapitel die Erfahrungen der einst verfeindeten Kämpfer gegenüberstellt. „Zum Beispiel die Schlacht um Berlin, wie sie von sowjetischen und deutschen Kämpfern erzählt wird“, führt Nappi aus. Oder die Schlacht um Okinawa, wie sie von amerikanischen Infanteristen auf der Insel und japanischen Kamikaze-Piloten auf dem Festland erzählt wird.

So werden die Erinnerungen von Überlebenden des Zweiten Weltkrieges aus dem Naheland vielleicht Gegenstand eines Buches von Kyle Nappi aus Washington D.C., der dazu beitragen möchte, politische Diskussionen in diesen Zeiten geopolitischer Umbrüche breiter aufzustellen.

Wurzeln in Rheinland-Pfalz

Der Militärhistoriker Kyle Nappi hat Wurzeln in Rheinland-Pfalz. Ein Teil seiner Vorfahren lebte hier, bevor sie Mitte des 19. Jahrhunderts in die USA auswanderten. „Mir wurde gesagt, dass einer ihrer Nachnamen (Winkel) auf die Existenz einer Stadt und eines von ihnen betriebenen Marktes hindeutet“, schreibt er und meint damit wohl den Dippemarkt in Oestrich-Winkel.

Deutschland besuchte der junge Amerikaner 2017 im Rahmen eines Seminars, das vom Bundesverteidigungsministerium und dem German Marshall Fund gefördert wurde. „Unser Programm beinhaltete eine Schifffahrt auf dem Rhein. Unterwegs sahen wir die Überreste der ehemaligen Ludendorff-Brücke (heute „Friedensmuseum Brücke von Remagen“), die im Frühjahr 1945 Schauplatz einer wichtigen Schlacht war. Ich erinnere mich, vor Jahren mehrere Veteranen der amerikanischen Armee interviewt zu haben, die an diesem Gefecht teilgenommen hatten. Es war sehr beeindruckend, diesen historischen Ort zu sehen.“

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