Widerstand gegen die Bebauung des Ostfelds
Wiesbadener nehmen Mainz die Luft weg: Widerstand gegen die Bebauung des Ostfelds
Wiesbaden will wachsen, die Mainzer Nachbarn fürchten drastische Auswirkungen aufs Klima in der Domstadt. Foto: dpa
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Wiesbaden/Mainz. Gegen die Bebauung des Wiesbadener Ostfelds formiert sich immer mehr Widerstand: Am Donnerstag wurde ein „Bündnis klimagerechte Städte“ gegründet als Zusammenschluss mehrerer Initiativen rechts und links des Rheins. Gemeinsam will man sich für Städte einsetzen, die besser für den Klimawandel gerüstet sind. Einer der Gründe ist die Planung für den Stadtteil Wiesbadener Ostfeld/Kalkofe.

Die Stadt Wiesbaden will auf einem 490 Hektar großen Gelände zwischen Wiesbaden-Erbenheim, der Bundesstraße B 455 und der Deponie Dyckerhoffbruch rund um die bestehende kleine Siedlung Fort Biehler einen neuen Stadtteil errichten. 8000 bis 12.000 Menschen sollen hier frühestens ab 2027 eine neue Heimat finden, dafür zwischen 4000 und 6000 neue Wohnungen entstehen, vorwiegend in einem Mix aus Miet- und Eigentumswohnungen.

Auch zwei neue Gewerbegebiete sind geplant, auf dem nördlichen Gelände soll das Bundeskriminalamt einen Neubau erhalten, der alle bisherigen Standorte der Behörde zusammenführen soll. Eine entsprechende Absichtserklärung wurde Ende vergangener Woche unterzeichnet.

„Mit dem Ostfeld planen wir die Zukunft Wiesbadens“, betont Stadtplanungsdezernent Hans-Martin Kessler (CDU). Wiesbaden werde laut Stadtentwicklungsprognosen bis 2040 rund 32.500 zusätzliche Wohneinheiten benötigen, schon jetzt gebe es starken Zuzug in das Rhein-Main-Gebiet, argumentiert die Stadt. Durch eine Nachverdichtung allein könne das nicht annähernd gedeckt werden.

Der Kern des neuen Stadtteils soll dabei rund um das heutige Fort Biehler auf 67,5 Hektar Fläche entstehen. Man wolle einen „dichten und urbanen Wohnungsbau in einem nachhaltigen Stadtteil im Sinne der Stadt der kurzen Wege“, heißt es in einer Broschüre der Stadt. Zwischen den bebauten Flächen werde es „ein Netz von vielfältigen Naturräumen“ geben, 75 Prozent des Planungsgebietes blieben Natur und Landwirtschaft vorbehalten, lediglich 94 Hektar würden für die Bebauung beansprucht.

Das Ostfeld könne zudem ein Vorbildstadtteil in Sachen Umwelt mit umweltfreundlichen Materialien, hoher Dämmung, niedrigem CO2-Ausstoß und einer 100-prozentigen nachhaltigen Strom- und Wärmeversorgung aus erneuerbaren Energien werden – festgelegt ist das allerdings bisher alles nicht. „Wir sitzen hier im Maschinenraum, dies ist der Startschuss für eine Entwicklung“, betonte SEG-Geschäftsführer Roland Stöcklin bei einer Infoveranstaltung am Dienstagabend: „Es ist hier nichts in Stein gemeißelt, da ist noch nichts entschieden.“ Womöglich schon im September soll die Wiesbadener Stadtverordnetenversammlung einen ersten Grundsatzbeschluss fassen, ob die Pläne für das Ostfeld weiterverfolgt werden sollen.

Bei der SEG erwecke man aber gern den Eindruck, das sei praktisch nur noch Formsache, kritisiert die Bürgerinitiative „Hände weg von Os/Ka“: „Die Planung ist in allen Bereichen nicht sauber vorbereitet“, kritisiert BI-Sprecherin Sabine Maritzen, „aber sie soll in der Stadtverordnetenversammlung zur Abstimmung gestellt werden.“ Zu den unbeantworteten Fragen gehöre etwa die Frage der Dichte und Höhe der Bebauung, sagt ihr Mann, der Grünen-Stadtverordnete Ronny Maritzen: „Wenn ich dort 10.000 bis 12.000 Menschen auf der geplanten Fläche unterbringen will, dann muss dort sechsstöckig gebaut werden“, befürchtet er. Auch gebe „das natürliche Wachstum von Wiesbaden den Bedarf gar nicht her“, betont Maritzen: Die hessische Landeshauptstadt sei von 2016 bis 2020 gerade einmal um 0,11 Prozent ihrer Einwohner gewachsen. Laut Analysen der Stadt Wiesbaden gebe es derzeit aber noch Potenziale für rund 10.000 Wohneinheiten in Wiesbaden – ohne das Ostfeld.

Das größte Problem aber: Das Ostfeld ist eines der beiden großen Kaltluftentstehungsgebiete für Wiesbaden, von hier fließt nächtens ein breiter Kaltluftstrom in Richtung Rhein und versorgt die dort liegenden Stadtteile mit Frischluft. Mehr noch: Wie das Stadtklimaprojekt „Klimprax“ 2019 zeigte, fließt die kalte Kluft auch über den Rhein – und versorgt Teile der Mainzer Neustadt und Altstadt mit dringend benötigter Frischluft.

„Die Auswirkungen einer Ostfeld-Bebauung werden verheerend sein“, kritisiert deshalb Maritzen. Forscher prophezeiten Mainz eine Verdoppelung der Tropennächte und wahre Hitzewellen schon ab 2030. Das Ostfeld könne Mainz und den rechtsrheinischen Gebieten endgültig „die Luft abdrehen“, warnt Maritzen: „Entlang des Rheins wird es dann vier bis sechs Grad wärmer werden.“

Von Gisela Kirschstein

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