Geschichte lebt in Spabrücken
Wie krank ist die Hindenburg-Eiche?
Viel Zeit nahmen sich (von links) Wolf Hoffmann, Lydia Burkhardt und Jörg Grüner, um sich ein Bild von der angeschlagenen Hindenburg-Eiche zu machen. Foto: Kurt Knaudt
Kurt Knaudt

Die mächtige Hindenburg-Eiche an der Gräfenbacher Hütte hat Monika Kirschner-Ludwig nicht zur Ruhe kommen lassen. Sie entdeckte an ihm einen tiefschwarzen Riss. Und fragte sich sorgenvoll, ob der inzwischen 94-jährige Patient Baum noch zu retten ist.

Ist die Hindenburg-Eiche an der Gräfenbacher Hütte todkrank? Diese Frage lässt Monika Kirschner-Ludwig nicht mehr los, seit sie 2022 am Stamm des mächtigen, geschichtsträchtigen Baumes einen tiefschwarzen Riss entdeckt hat. Es ist der Beginn einer ebenso wechselhaften und aufreibenden Geschichte, in deren Verlauf sie verschiedene Experten konsultiert, die ihn sich näher ansehen – und sie mit ihren unterschiedlichen Befunden immer mehr verunsichern. Das führt dazu, dass sie sich immer mehr Sorgen machte und schließlich sogar befürchtet, dass er nicht mehr zu retten ist. Bis eine ausgewiesene Koryphäe für Baumkrankheiten eigens aus Freiburg anreist, um den knapp 94-jährigen Patienten zu untersuchen. Dessen besondere Bedeutung hat natürlich mit seinem Namensgeber zu tun.

Dadurch ist es eben keine Eiche wie jede andere. Ein kleines Schild weist darauf hin, wann und warum sie gepflanzt wurde. Das geschah am 26. Juni 1931, als Reichspräsident Paul von Hindenburg die Gräfenbacher Hütte zum letzten Mal besuchte. Ihm zu Ehren wurde damals die Eiche gesetzt. Für den Mann, der mit daran beteiligt war, dass Adolf Hitler rund anderthalb Jahre später die Machtergreifung der Nationalsozialisten vollziehen konnte, war die Gräfenbacher Hütte während des Ersten Weltkriegs einige Zeit eine Art zweites Zuhause.

Hindenburgs Arbeitsplatz: im Parkhotel Kurhaus

Seinen Arbeitsplatz hatte Hindenburg damals im Kurhaus in Kreuznach, wo das „Große Hauptquartier“, die strategische Zentrale der deutschen Streitkräfte, einquartiert war. Seinerzeit führte er als Generalfeldmarschall das Kommando und übte von dort aus de facto Regierungsgewalt aus. Frauen waren nicht zugelassen. Sie mussten in gebührendem Abstand untergebracht werden. Das galt auch für die Frau von Hindenburg, Gertrud von Hindenburg, mit Enkelin und Dackel.

Dem Reichspräsidenten, einem leidenschaftlichen Jäger, gefiel die lange leer stehende Villa der Unternehmerfamilie Böcking in der kleinen Siedlung Gräfenbacher Hütte, die sich um eine alte Eisenschmelze gruppierte, die von 1712 bis 1873 Roherz verarbeitete. Seine Familie zog im Januar 1917 dort ein, und Paul von Hindenburg fuhr, so oft es seine Kriegsgeschäfte erlaubten, von Kreuznach in den Soonwald. Für seine noble Mercedes-Karosse wurde eigens eine Doppelgarage errichtet.

„Der Krieg bekommt mir wie eine Badekur.“
Reichspräsident Paul von Hindenburg

Von all dem ahnt Monika Kirschner-Ludwig nichts, als sie das Grundstück im Jahr 2013 kauft. Für sie ist es einfach nur ein willkommener Zufluchtsort, an dem sie Kraft tanken kann. Die ehemalige Garage und das Grundstück gestaltet die mit ihrem Mann in Stromberg lebende Autorin und Journalistin nach ihrem Gusto – und macht daraus eine Wohlfühloase.

Erst nach und nach rekonstruiert sie die Vorgeschichte. Hindenburg wird ihr dadurch nicht sympathischer. Allein die Sprache, vor allem aber seine alles durchdringende Kriegsbegeisterung, ist für sie kaum zu ertragen. „Der Krieg bekommt mir wie eine Badekur“: Das war nur eine der verstörenden Äußerungen des glühenden Militaristen, den offenbar kalt ließ, dass an der Front die Soldaten zu Tausenden starben.

Diese Messingtafel erinnert daran, dass die Stieleiche 1931 beim letzten Besuch des Reichspräsidenten Paul von Hindenburg in der Gräfenbacher Hütte gepflanzt wurde.
Kurt Knaudt

„Aber der Baum kann ja schließlich nichts dafür, dass er nach Hindenburg benannt ist“, beruhigt Monika Kirschner-Ludwig sich. Zur Natur im Allgemeinen und zum Soonwald hat sie eine besondere Beziehung. „Es war wahrlich immer viel Wald in meinem Leben“, bekundet die Mitbegründerin der Initiative Soonwald, die im vorigen Jahr zur Ehrenvorsitzenden des Vereins ernannt und 2020 für ihr Engagement mit der Ehrenmedaille des Landes ausgezeichnet wurde. Ihre nicht ganz abwegige Horrorvision ist, dass der Soonwald mit Windrädern vollgestellt wird und dadurch seine ökologische Funktion beeinträchtigt wird.

Auch die Eiche macht ihr zunehmend Sorgen. Erst recht nach dem ersten Befund eines Experten aus dem Schwarzwald: „Ihr Baum ist krank, sehr krank“, lautet seine Diagnose. Um dann noch hinzuzufügen: „Eine Behandlung ist schwierig bis unmöglich. Sein abschließendes Urteil: „Die Eiche ist dem Tode geweiht.“ Ab da vergeht kein Besuch an der Hütte ohne eine besorgte Inspektion.

Es folgt ein Wechselbad der Gefühle. Ein junger Förster, der den Baum ebenfalls eingehend untersucht, meint danach: „Alles halb so wild. Der Eiche geht’s gut. Andere Bäume haben mehr Probleme.“ Das klingt deutlich besser. Tatsächlich ist der Aktivistin längst aufgefallen, wie sehr der Wald um sie herum leidet. Deutliche Klimaschäden zeigen sich inzwischen auch an Laubbäumen.

Ein Hirschkäfer entdeckt die Eiche für sich

Als sie erfährt, dass Eichen lockere Böden bevorzugen, bittet sie einen freundlichen Helfer aus dem Nachbardorf, Pflastersteine aus dem Wurzelbereich zu entfernen und die Erde im weiten Umfeld zu lockern. Als sie dann noch liest, dass die Eiche eine sogenannte Lichtbaumart ist und keine Schatten bringende Konkurrenz in ihrer Nähe verträgt, lässt sie alle Fichten in deren Umfeld fällen.

Bei jedem Besuch inspiziert sie den Spalt, aus dem weiterhin klebriger Saft quillt. Im Juni 2023 macht sie eine besondere Entdeckung: „Direkt vor mir, in der Wunde, bewegte sich mit seinem riesenhaften Geweih, ganz eindeutig, ein Hirschkäfer.“ Er saugt und schleckt an den flüssigen Absonderungen in der schwarzen Spalte. Bei aller Freude über den extrem seltenen Besucher ist auch das beunruhigend: Denn Hirschkäfer bevorzugen verrottendes Eichenholz. Sie finden sich daher in alten Eichenwäldern mit viel Totholz.

Experte: Der Baum zeigt Anzeichen von Schwäche

Zudem wird sie bei weiteren Nachforschungen auf eine andere mögliche Krankheitsursache aufmerksam. Es könnte sich um den gefährlichen schwarzen Brandkrustenpilz handeln. Er sei so gefährlich, dass betroffene Bäume sofort gefällt werden müssen, erfährt sie von einem Fachmann. Ist dies das Todesurteil für die Hindenburg-Eiche? Monika Kirschner-Ludwig will endgültige Klarheit und landet bei ihren Nachfragen schließlich bei Wolf Hoffmann von Landesforsten, Abteilung Waldschäden und Waldschutz.

Sein Resümee nach einer ersten Inspektion: Der Baum mache einen vitalen Eindruck, zeige zugleich aber eindeutige Krankheitssymptome. Dann nimmt er Holzproben – und schickt diese an Jörg Grüner, einen Forstbeamten aus Freiburg, dessen Fachgebiet Baumschäden sind. Nach langer Wartezeit erhält die wie auf heißen Kohlen sitzende Naturliebhaberin dann im Februar dieses Jahres die erlösende Nachricht: Der Experte habe keine Pilzerkrankung feststellen können. Dennoch zeige der Baum eindeutige Zeichen von Schwäche, fasst Hoffmann das vorläufige Ergebnis der Untersuchung zusammen. Und kündigt einen Besuch des Forstpathologen an.

„Ich gehe davon aus, dass diese Eiche auch in 50 Jahren noch steht.“
Jörg Grüner, Forstbeamter aus Freiburg mit dem Fachgebiet Baumschäden

Im April inspiziert er gemeinsam mit Wolf Hoffmann und Lydia Burkhardt von der Zentralstelle Forstverwaltung in Emmelshausen die Hindenburg-Eiche. Das Trio nimmt sich viel Zeit für den Patienten. Die Flüssigkeit, die nach wie vor aus dem sich nach oben ausweitenden Riss tropft, identifiziert Jörg Grüner als Rindensäfte. „Das System der Eiche ist gestört. Sie hat Probleme, das Wasser bis ganz nach oben zu bringen“, meint er mit Blick auf die vielen kleinen verzwirbelten Äste in der Krone. Aber sie habe noch genug Kraft, um zu reagieren. Helfen könne man ihr dabei nicht: „Das muss sie selbst hinkriegen. Was Sie machen können, haben Sie gemacht“, meint er zu Monika Kirschner-Ludwig.

Schließlich entdeckt der Forstpathologe in einer bereits offenen Wurzel ein Pilzmycel – und zwar von einem Hallimasch, der sich bereits bis zum Stamm vorgearbeitet hat. Ist das die Ursache? Mit Bestimmtheit lasse sich das nicht sagen. Auch der Klimawandel setze den Bäumen nachweislich zu. „Wir stürzen von einem Extrem ins nächste.“ Die Folge: „Die Bäume sind verwirrt.“

Abschließend schlägt Grüner einen minimal-invasiven Eingriff vor, um so die Jahresringe unter die Lupe zu nehmen. Daran lasse sich erkennen, wie genau es um die Gesundheit des Baumes bestellt ist. Musik in den Ohren von Monika Kirschner-Ludwig ist der Satz, den Jörg Grüner zum Abschied zu ihr sagt: „Ich gehe davon aus, dass diese Eiche auch in 50 Jahren noch steht.“

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