Software hakt, Akten bleiben
Wie digital ist die Bad Kreuznacher Kreisverwaltung?
Wie digital ist die Bad Kreuznacher Kreisverwaltung? Wie Landrätin Bettina Dickes demonstriert, gibt es immer noch zahlreiche Papierakten. Aber warum?
Markus Kilian

Eigentlich fordert ein Gesetz die Kommunen auf: Verwaltungsleistungen müssen online gehen. An Nahe und Glan sieht es da derzeit eher mau aus. Auch intern läuft noch nicht alles virtuell, stattdessen Berge von Akten. Warum ist das heute noch so?

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Es ist eine unscheinbare Tür im Erdgeschoss der Bad Kreuznacher Kreisverwaltung; sie ist klein, weiß, an einem Durchgang gelegen. Den passenden Schlüssel dazu haben nur wenige. Und so erhaschen nicht viele den Blick ins Innere des engen Raums: Hier hängt Akte an Akte, jede reiht sich in einem schalen Braunton hinter-, über und neben das nächste Papierbündel voller Anträge, Bescheide, Dokumente. „Da kriegt man kaum Luft“, fasst Landrätin Bettina Dickes den Eindruck zusammen, den das Aktenzimmer der Ausländerbehörde ausstrahlt. Fast schon grotesk: Im Gespräch mit unserer Zeitung geht es um die Frage, wie digital die Kreisverwaltung aufgestellt ist.

Es ist kompliziert

Offensichtlich ist da noch eine Menge Luft nach oben. Doch warum? Mit dem Begriffsungetüm der Digitalisierung schlagen Kommunalpolitik und Behörden schon seit Jahren um sich; das bereits 2017 verabschiedete Onlinezugangsgesetz (OZG) verpflichtet Bund, Länder und Kommunen, ihre Verwaltungsleistungen für die Bürger auch elektronisch über das Internet anzubieten. Eigentlich schon bis spätestens 2022. Und: Auch die internen Abläufe sollen papierlos vonstattengehen. Umso spannender die Frage: Wie digital ist die Kreisverwaltung?

„Digitalisierung ist kein Selbstzweck, sie muss die Arbeit erleichtern.“
Landrätin Bettina Dickes

Es ist kompliziert. Sehr kompliziert. Das klingt in fast jeder Silbe an, wenn die Behördenleiterin über das Mammutprojekt spricht. Denn es gibt mehrerer solcher enger Räume, in denen zahllose analoge Akten hängen. Sie alle zu digitalisieren? Ein echter Akt. „Das würde mehrere Millionen kosten“, schätzt Dickes. Geld, das der defizitäre Kreis nicht hat. Allein, die Schriftstücke der Ausländerbehörde in Nullen und Einsen zu übersetzen, soll mit rund 300.000 Euro zu Buche schlagen. Letzteres will man aber angehen, verspricht Dickes, denn dafür gibt es Fördermittel.

Prozess digital, Ergebnis analog

Das alles soll jedoch nicht heißen, dass die Verwaltung analog arbeiten würde. Im Gegenteil: Viele Prozesse laufen ausschließlich auf digitalem Wege, wie die Kreischefin betont. Etwa die Hälfte der Ämter arbeiten mit einem sogenannten Dokumentenmanagementsystem (DMS), 200 Mitarbeiter sind bis jetzt angebunden – Tendenz steigend. Das Amt für Landwirtschaft und Veterinärwesen arbeitet Dickes zufolge voll digital. „Da gibt es kein Papier mehr.“ In den anderen Bereichen „ist es am Werden“. Mindestens dort ist das Endergebnis der Arbeit jedoch nicht selten ein Ausdruck in einem Ordner.

„Das klappt hinten und vorne nicht.“
Landrätin Bettina Dickes über die Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes

Das hat teils pragmatische Gründe, muss man doch den Verlauf des jeweiligen Verfahrens dokumentieren. Und: personenbezogene Daten müssen teilweise viele Jahre gespeichert werden, und das gerichtsfest, dass sie also auch nach Jahrzehnten im Zweifel noch Bestand vor Gericht hätten. Geht das nicht auch digital? Doch, ist aber komplizierter. Dafür braucht es Software und Speicher, die den Anforderungen einer Behörde mit sensiblen Daten genügen. Virtuelle, gerichtsfeste Daten müssen unveränderbar sein, zudem dürfen selbstverständlich Unbefugte keinen Zugang dazu erhalten, um sie zu verändern oder zu löschen. Stichwort: Datenschutz.

Keine 100-prozentige Sicherheit

Die Daten müssen also entsprechend verschlüsselt werden. Da ist der physische Schlüssel, der die weiße Tür zum Aktenzimmer öffnet, eben doch erst mal greifbarer. Klar: Auch analoge Akten können etwa einem Hochwasser oder einem Brand zum Opfer fallen. „Eine 100-prozentige Sicherheit gibt es nicht“, sagt Dickes. Egal ob im Analogen oder Digitalen.

Bei der Vernetzung der unterschiedlichen Abteilungen hapert es derweil an der passenden Software. Denn die Verwaltung zählt mehr als 70 verschiedene Fachverfahren, sprich fachliche Anwendungen in unterschiedlichen Bereichen – ob von der Kfz-Zulassungsstelle über das Bauamt bis zum Veterinärwesen.

Ein System für 70 Abteilungen?

Jede Abteilung hat ihre eigene Software, perfekt zugeschnitten auf den jeweiligen Anwendungsbereich – das ist der Vorteil. Der Nachteil: Sie alle sind untereinander kaum kompatibel. Das binäre Multitalent, das alle Programme mit entsprechenden Schnittstellen miteinander verbinden kann, gibt es laut Dickes (noch) nicht. „Es gibt kein Datenmanagementsystem für mehr als 70 Fachverfahren“, sagt die Landrätin. Daher sei es perspektivisch schwierig, alles rein digital umzusetzen.

„Das würde mehrere Millionen kosten.“
Landrätin Bettina Dickes über eine Digitalisierung aller analogen Akten

„Digitalisierung ist kein Selbstzweck, sie muss die Arbeit erleichtern“, diktiert die Landrätin unserer Zeitung in den Block. Klar: Es soll einfacher und schneller damit gehen. Ob das aber automatisch auf jeden Bereich zutrifft, stellt die Kreischefin infrage und spricht von notwendiger „Manpower“ und „Überzeugungsarbeit“. Denn (mindestens) kurzfristig dürfte die weitere Umstellung aufs Digitale mehr Ressourcen benötigen.

Und was ist mit den Kreisbewohnern, die ihre Anträge online an die Verwaltung stellen wollen? „Wir versuchen, den Papierordner in einen digitalen Ordner umzutauschen – für die Bürger“, sagt Bettina Dickes, betont aber zugleich: „Digital ist nicht barrierefrei.“ Man dürfe Senioren und Menschen mit Beeinträchtigung nicht ausschließen, indem man die Dienste ausschließlich online anbiete. „Wir schauen, wo es hilft, und dort machen wir es.“

Auf der Internetseite der Bad Kreuznacher Kreisverwaltung finden sich Zugänge zu Anträgen, die online abgeschlossen werden können. Dabei handelt es sich allerdings nur um einen kleinen Teil aller Verwaltungsleistungen.
Markus Kilian

Das dürfte aber noch dauern. Und das Onlinezugangsgesetz, das Versprechen an die Bürger? „Das klappt hinten und vorne nicht“, nimmt Dickes kein Blatt vor den Mund. „Und zwar bei allen Kreisverwaltungen.“ Weniger als ein Viertel aller Verwaltungsleistungen können in Bad Kreuznach zurzeit oder in naher Zukunft online gestellt werde (siehe Infotext).

Warum? Man sei stark vom Land abhängig, denn in Rheinland-Pfalz sollen in den Verwaltungen dieselben Systeme zum Einsatz kommen. Doch da gibt es wieder die bereits bekannte Schnittstellenproblematik. „Wir können keine eigenen Lösungen stricken“, verdeutlicht die Kreischefin. In einzelnen Bereichen der Bad Kreuznacher Kreisverwaltung laufen derzeit interne Tests. Sind die erfolgreich, folgt zumindest für einzelne Fachverfahren die Freischaltung des Landes. „Da muss noch einiges geregelt werden.“

Diese Anträge sind (bald) digital

Weniger als ein Viertel aller Bürgerleistungen können in der Bad Kreuznacher Kreisverwaltung derzeit oder in naher Zukunft online beantragt werden. Folgende Leistungen können aktuell online beantragt werden: Unterhaltsvorschuss, Aufenthaltstitel und -karte, Kfz-An- und -Abmeldungen (mit Wunschkennzeichen), Wohngeld, BAföG und Elterngeld.

Demnächst sollen hinzukommen: der digitale Bauantrag, die Infektionsschutzbelehrung (Hygieneschulung für die Gastronomie), Jägerprüfung und Jagdschein, Veterinärleistungen (Wildursprung), waffenrechtliche Erlaubnisse, Einbürgerung, Eingliederungshilfe, Blindenhilfe, Hilfe zur Pflege, Bestattungskostenhilfe und Weiterführung des Haushalts.

Perspektivisch sollen zudem der Erdaufschluss, Fahrtenschreiber, Personenbeförderungsschein, Vater- und Mutterschaftsanerkennung, Führerschein, Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung, Beistandschaft und Hilfe zur Erziehung sowie Erlaubniserteilung für Kindertagespflege online beantragt werden können.

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