Zeitzeugen erinnern sich
Werner Barth: Als in Becherbach die Bombe fiel
Werner Barth ist Zeitzeuge: Als Kind hat er den Zweiten Weltkrieg in Becherbach (bei Kirn) miterlebt. „Man kann das mit Worten nicht ausdrücken, was ein Krieg bedeutet“, sagt der 88-Jährige.
Hannah Klein

Dem Ende entgegen – Das Kriegsende im Kreis. 8. Mai 1945: Die deutsche Wehrmacht kapituliert bedingungslos. Zeitzeuge Werner Barth aus Becherbach bei Kirn blickt zurück. Welche Erinnerungen ihm geblieben sind, was nicht in Vergessenheit geraten darf.

Der Tag ist neblig und trüb. Der achtjährige Werner Barth ist mit seinen beiden jüngeren Cousins zum Einkaufen im Dorf – plötzlich ein ohrenbetäubendes Zischen und Pfeifen. Eine Bombe schlägt ein, zerstört das Amtsgebäude in der Becherbacher Ortsmitte. Es ist der Moment am 4. November, der Barth vor 80 Jahren fast das Leben kostet. Es sind nur noch wenige Monate, bis der Zweite Weltkrieg am 8. Mai 1945 endet.

Den Bombeneinschlag bezeichnet Barth selbst als sein Erlebnis des Jahrhunderts: „Ab da hatte ich kolossale Angst und habe alles als extreme Bedrohung wahrgenommen.“ Barth – im Oktober 1936 geboren – ist im Krieg aufgewachsen, die Gefahr sei ihm im Moment des Einschlags erst richtig bewusst geworden. Vieles ist dem heute 88-Jährigen in Erinnerung geblieben, manches so genau, als hätte er es gestern erst erlebt.

Kriegserlebnisse prägen ein ganzes Leben

Zurück zum 4. November 1944: Plötzlich geht alles ganz schnell. „Ihr Kinder, kommt schnell hier herein“, ruft eine Frau den Jungen zu. Im Hausflur angekommen: Türen fliegen auf, eine Staubwolke breitet sich unaufhaltsam aus, verhindert jegliche Sicht. Bis auf eine blutende Wunde am Bein bleibt der achtjährige Barth unversehrt. Das ehemalige Amtsgebäude, wo heute das Gemeindehaus steht, liegt in Schutt und Asche. Zwei Kinder kommen ums Leben. Zwei weitere Kinder liegen teilweise verschüttet unter den Trümmern, müssen befreit werden.

Ein Stromkasten in der Ortsmitte erinnert an das ehemalige Becherbacher Amtgebäude, das am 4. November 1944 bei einem Bombeneinschlag völlig zerstört wurde. Das Foto stammt aus einer Sammlung, die in der Verwaltung der VG Kirner Land aufbewahrt wird.
Hannah Klein/Archiv Verbandsgemeindeverwaltung Kirner Land

Es sind Bilder, die sich bis heute bei Barth eingeprägt haben, Momente, die bis heute nachwirken. „Das Erlebnis steckt mir heute noch in den Knochen. Meine Kindheit war beendet, ich war anders. Die Todesangst war nahegekommen – auch auf dem Dorf.“

Wo früher das Amtsgebäude stand, steht heute das Becherbacher Gemeindehaus in der Ortsmitte.
Hannah Klein

An den Knall der Detonation erinnere er sich nicht mehr, erzählt der Becherbacher. So sehr habe er unter Schock gestanden. „Mir war klar: Wenn wir statt auf die Frau zu hören, nach Hause gelaufen wären, dann wären wir genau an der Stelle gewesen, wo die Bombe detonierte.“ Umso größer war die Angst in den folgenden Monaten.

Die Menschen in Becherbach erlebten den Angriff von Jagdbombern. Diese hätten die ganze Gegend vor dem Einmarsch der Amerikaner tagelang unter Beschuss gehalten, erzählt Barth. „Die haben auf alles geschossen, was sich bewegte. Bei Tag konnte sich niemand im Freien aufhalten. In unserem Ort wurden mehr als 50 Pferde getötet.“ Munitionshülsen, die dabei überall verteilt auf dem Boden lag, besitzt der Becherbacher noch heute – aufbewahrt in seiner landwirtschaftlichen Privatsammlung, einem kleinen Museum.

Werner Barth vor seinem kleinen Museum: Landwirtschaftliche Geräte und Gegenstände aus dem vorigen Jahrhundert hat der 88-Jährige gesammelt. Alles ist beschriftet, damit auch die jüngeren Generationen verstehen, wozu die Gegenstände gebraucht wurden.
Hannah Klein

Die amerikanischen Panzer erreichten Becherbach am 19. März 1945. „Das ging ziemlich kampflos vonstatten“, sagt Barth. Ein mutiger Bürger habe ein weißes Tuch aus dem Speicherfenster gehängt, unter Lebensgefahr – ein Offizier der deutschen Wehrmacht hätte ihn für dieses Zeichen der Kapitulation erschießen können. Mit dem Einmarsch sei das Gebiet keine Kampfzone mehr gewesen, der ständige Beschuss habe geendet.

Bis zum offiziellen Ende des Zweiten Weltkrieges strichen nun noch einige Wochen ins Land. „Zu Kriegszeiten hatten wir polnische Kriegsgefangene hier. Als die Amerikaner eingerückt waren, waren die frei und sind – teils plündernd – in der Gegend umhergezogen“, erzählt Barth. Am 8. Mai seien diese dann zurück in ihre Heimat gegangen.

„Man kann das mit Worten nicht ausdrücken, was ein Krieg bedeutet.“
Werner Barth, Zeitzeuge des Zweiten Weltkriegs

Ab dem 8. Mai 1945 sei es für Menschen im Dorf zunächst schwer gewesen, Informationen zu erhalten – deutsche Radiosender oder Zeitungen habe es nicht mehr gegeben. Allerdings seien die ersten Berichte über die Gräueltaten des Hitlerregimes durchgedrungen, hatte man davon doch zu Kriegszeiten nichts oder nur wenig gehört.

„Man kann das mit Worten nicht ausdrücken, was ein Krieg bedeutet“, sagt Barth. Dem 88-Jährigen ist es wichtig, dass die Kriegserlebnisse nicht in Vergessenheit geraten. Deshalb hat er 2012 sein Buch „Landwirtschaft wird abgeschafft. Mein Dorf, mein Betrieb und meine Familie im Wandel des 20. Jahrhunderts“ veröffentlicht. „Wer den Krieg miterlebt hat, weiß, wie schlimm das war. Ich kann nicht verstehen, dass man so etwas heute wieder haben will.“

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