Roman vor Becherbacher Kulisse
Wenn eine dicke Frau nicht ins Rollenbild passt
Daniela Dröscher (47) ist in Becherbach bei Kirn aufgewachsen. Das Dorf diente ihr als Hintergrund der Geschichte.
Heike Steinweg. Heike Stenweg

Im preisgekrönten Roman „Lügen über meine Mutter“ von Daniela Dröscher spielt ihre Kindheit in Becherbach eine wichtige Rolle. Eingeflossen in das Werk sind ihre Erfahrungen: wie es ist, wenn der Vater die Mutter wegen ihrer Figur unter Druck setzt.

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Sie ist im Becherbach der 1980er-Jahre groß geworden. Als Schulterpolster und Disco-Roller cool waren, in jedem Kinderzimmer ein Zauberwürfel zu finden war und McDonalds’s in den Städten wie Pilze aus dem Boden schossen. In dieser Zeit spielt der preisgekrönte Roman „Lügen über meine Mutter“ von Daniela Dröscher (47), der jetzt verfilmt wurde. Im Mittelpunkt der Geschichte steht die kleine Ela, die ihre Familie liebt, aber zwischen die Fronten der Eltern gerät: Ihr Vater findet die Mutter zu dick und entscheidet, sie müsse dringend abnehmen. Nur so komme er zu einer Beförderung, zu sozialem Aufstieg und zu Ansehen im Dorf. Im Gespräch mit Daniela Dröscher geht es um eine Kindheit wie ihre in einem Dorf wie Becherbach bei Kirn – und warum nicht nur die 80er-Jahre für Frauen in Bezug auf ihr Körpergewicht zur Hölle werden konnten.

Ist Ihr Roman schon im Kasten? Gedreht wurde ja auch in Idar-Oberstein.

Ja, tatsächlich. In Pisa ist die letzte Klappe gefallen. Aber es wurde auch in Nordrhein-Westfalen, in den Bavaria Studios, in Idar-Oberstein und Italien gedreht.

Warum eigentlich nicht in Becherbach?

Im Roman heißt der Ort ja Obach. Die Schauspieler im Film sprechen keinen Dialekt, und die Eltern haben andere Namen. Es ist zwar eine Geschichte mit autobiografischem Hintergrund, aber sie ist auch überpersönlich. Diäten waren damals überall ein Dauerthema, bei uns vielleicht nur extremer als in anderen Familien. In meinen Büchern geht es oft um Befreiung, und so ist es auch hier.

Sind Sie direkt nach der Schule aus Becherbach weggezogen?

Nein, das dauerte noch etwas. Ich habe 1996 am Paul-Schneider-Gymnasium in Meisenheim das Abitur gemacht, und danach habe ich in Trier studiert. Am Wochenende war ich oft zu Hause, weil meine erste große Liebe aus Kirn kam. (lacht)

Wie würden Sie das Becherbach der 80er-Jahre in einigen wenigen Schlagworten beschreiben?

Mein Partner hat mal gesagt: Das ist Bullerbü. Es ist ein hübsches Dorf, ich hatte dort tolle Freundinnen und eine idyllische Kindheit. Wir haben Nena im Radio gehört und auf Kassetten aufgenommen. Aber es wurde in unserer Familie eben auch viel gestritten, und für Kinder ist das belastend. Es war also nicht alles idyllisch.

Idyllisches Becherbach bei Kirn: Hier wuchs Daniela Dröscher auf. Sie erinnert sich gern an ihre Kindheit in ihrer Heimat, der sie sich verbunden fühlt - auch wenn das Familienleben gar nicht mal so idyllisch war.
Robert Neuber

Wie fangen Sie einen Roman an? Beginnen Sie, indem Sie über den Stoff nachdenken oder entwerfen Sie Charaktere, deren Handlungen Sie dann in eine bestimmte Richtung führen?

Das trifft es ziemlich genau. Ja, ich fange mit den Figuren an. Und das Buch wird immer dann gut, wenn die Figuren sozusagen selbst entscheiden, was sie tun. In schreibe gerade eine Geschichte, in der mein Sehnsuchtsort Japan eine Rolle spielt. Ich wollte das Ende eigentlich dort stattfinden lassen. Aber meine Lektorin sagte: So handelt die Figur nicht, das ist sie nicht. Sie hatte recht damit, es passte einfach nicht. Und jetzt endet es eben nicht in Japan (lacht).

Sie haben Germanistik, Philosophie und Anglistik studiert, da liegt das Schreiben vielleicht nahe. Wie sind Sie dazu gekommen, Autorin zu werden?

Ich habe in Trier und in England studiert, und in England habe ich entdeckt, dass man Schreiben lernen kann. Da gab es damals schon den Studiengang „Creative Writing“, wo ich schnell begriffen habe, dass Schreiben ein Handwerk ist. Aufbau, Erzähltechniken, Atmosphäre: Das kann man alles lernen, und das fand ich sympathisch bodenständig. Da war nicht so dieses deutsche „Genie“, das einfach aus sich selbst heraus geniale Texte schreibt. Was mich außerdem inspiriert hat, das waren Kurzgeschichten von Judith Herrmann. Ich kenne keine deutsche Autorin, die in so einer dichten, knappen Form über die Gegenwart schreiben kann.

In „Lügen über meine Mutter“ geht es, neudeutsch gesagt, um Bodyshaming. Der Vater im Buch setzt die Mutter wegen ihrer Körperfülle extrem unter Druck. Ging es ihm dabei wirklich um die Kilos oder störte ihn in Wirklichkeit etwas ganz anderes?

Ja, das ist eine gute Frage. Ich glaube, es gibt nicht den einen Grund, aus dem heraus man etwas tut, und es gibt ihn auch nicht als Erklärung für das Gewicht. Das war vielleicht meine größte Erkenntnis: Es kommen oft mehrere Sachen zusammen. Das Schönheitsideal, Scham, Gesundheit, die Frage danach, was das gute, normale Leben ist – das spielte alles eine Rolle. Wir Menschen hätten immer gern die eine Erklärung für etwas, aber die gibt es meistens nicht.

Straßen ihrer Kindheit: In Becherbach bei Kirn wuchs Daniela Dröscher auf. Ein Dorf, das ihr Partner einmal Bullerbü nannte, weil es so malerisch-versunken wirkt.
Robert Neuber

Hat sich Ihrer Ansicht nach seit Ihrer Kindheit mit Blick auf die Körper von Frauen etwas verändert, oder leben wir immer noch in den 80er-Jahren?

Es war nach meiner Wahrnehmung mal eine Zeit lang so, dass ein höheres Gewicht eher toleriert wurde als heute oder in meiner Kindheit. Aber ich denke, durch die Unterhaltungsindustrie, die Werbung und auch Abnehmspritzen wie Ozempic hat es einen Backlash gegeben. Dabei können ja auch schlanke Menschen ungesund leben und ein Gesundheitsrisiko haben. Das wird nur oft ausgeblendet. Andererseits haben meine Kinder ein gutes Gespür dafür, was Bodyshaming ist, und sie lehnen abwertende Kommentare ab. In der jungen Generation gibt es dafür eine gewisse Sensibilität.

Wo spielt Spott eher eine Rolle, wenn jemand nicht der Norm entspricht? In Dörfern wie Becherbach oder in einer Großstadt wie Berlin, wo Sie heute leben?

Hämische Kommentare über meine Mutter habe ich eher in der Stadt gehört, nicht auf dem Land. Vielleicht, weil man sich da kannte und nicht in der Anonymität verschwinden konnte. Da ist die Hemmschwelle niedriger, jemandem etwas Abfälliges zu sagen.

Können Sie sich vorstellen, nach Becherbach zurückzuziehen?

Ich bin nach Berlin gezogen, weil man als Schriftstellerin Netzwerke vorfindet und ein großes kulturelles Angebot. Aber ich liebe die Hügel meiner Heimat, die Landschaft ist tief in mir drin. Sollte es mal wieder ein Klassentreffen geben, dann bin ich wieder da.

Die letzte Klappe ist gefallen

Die letzte Klappe ist gefallen: Daniela Dröschers Roman „Lügen über meine Mutter“ ist in diesem Frühjahr von Tobis Filmproduktion für Kinos verfilmt worden. Gedreht wurde in Idar-Oberstein, München, Nordrhein-Westfalen und an der Adria. Der Kinostart ist für 2026 geplant. Produziert wird der Film in Zusammenarbeit mit dem ZDF sowie mit Unterstützung verschiedener Förderfilminstitutionen.

Daniela Dröscher, Jahrgang 1977, ist in Becherbach bei Kirn aufgewachsen und lebt heute mit ihrem Sohn (17) und ihrer Tochter (14) in Berlin. Sie studierte Germanistik, Philosophie und Anglistik in Trier und London und promovierte in Medienwissenschaften an der Universität Potsdam. An der Uni Graz legte sie ein Diplom in Szenischem Schreiben ab. Ihr Romandebüt Die Lichter des George Psalmanazar“ erschien 2009. Mit „Lügen über meine Mutter“ kam sie 2022 auf die Shortlist des Deutschen Buchpreises. Sie wurde u. a. mit dem Anna-Seghers-Preis sowie dem Robert-Gernhardt-Preis (2017) ausgezeichnet.

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