Großer Druck an der Nahe
Wahlkampf extrem: Man hat es den Kandidaten angemerkt
Marian Ristow ist Leiter des Redaktionsverbundes Nahe, zu dem der Oeffentliche Anzeiger und die Nahe-Zeitung gehören.
Marian Ristow

Es ging um alles oder nichts: Für Joe Weingarten und Julia Klöckner ging es am Sonntag um die politische Zukunft. Nun ist klar: Für Weingarten geht es zurück ins Ministerium, für Klöckner nach Berlin.

. Dieser Wahlkampf war anders als der vor vier Jahren. Ohne Corona, aber dafür mit sehr viel Gift und Galle. Und es ging um richtig viel: Wenn selbst Medien- und Politikprofis wie Julia Klöckner und Joe Weingarten dünnhäutig reagieren, kann man bloß erahnen, wie gigantisch der Druck gewesen sein muss. Die leicht schräge Anekdote um den verweigerten Handschlag am Wahlabend war nur ein Symptom der Angespanntheit, die dieser Tage den Wahlkampf dominierte.

Man muss es anerkennen: Julia Klöckner hat sich diesen Wahlsieg erarbeitet. Mit unbändigem Fleiß und plausiblen Antworten auf die vielen Fragen, die die meisten überzeugten. Klöckner hat Klartext gesprochen, mit einigen Äußerungen auch Kritik auf sich gezogen, hat diesen Gegenwind aber ausgehalten und ist unbeirrbar auf Kurs geblieben.

Eines hat aber verwundert wie verstört. Die Giftigkeit, mit der Julia Klöckner auf der Plattform X gegen SPD und Grüne gebissen hat, war unnötig. Im Football nennt man das „unnecessary roughness“, unnötige Rohheit im Spiel. Je mehr Friedrich Merz angefeindet wurde, manchmal durchaus in der Sache berechtigt, in der Tonalität übertrieben, umso loyaler verteidigte die Guldentalerin „ihren“ Zukunftskanzler und den neuen Kurs der Union.

Joe Weingarten ist indes nicht zu beneiden. Dem desaströsen Bundestrend der SPD zum Trotz schaffte er es, sich auf Platz zwei gegen eine kaum zu stoppende AfD zu behaupten – auch das ist ein kleiner Sieg, wenn auch politisch wertlos. Seine frühzeitige Absetzbewegung von der Scholz-SPD dürfte ihm dabei geholfen haben.

Für Klöckner und Weingarten, die wie bereits erwähnt, ein irres Pensum in diesem Wahlkampf zwischen Achtelsbach und Biebelsheim geleistet haben, muss es wie blanker Hohn vorkommen, dass Nicole Höchst, deren Auftritte im Wahlkreis Bigfoot-Sichtungen gleichkommen, en passant ein überragendes Ergebnis eingefahren hat. Der Bundestrend ist ein mächtiger Wind, dem man nicht Herr wird, egal, aus welcher Richtung er weht. Das AfD-Ergebnis im Wahlkreis gilt es zu akzeptieren und zu respektieren. Sie ist die zweitstärkste Kraft. Auch das ist Demokratie.

Die SPD muss sich fragen, welches Klientel sie noch vertreten möchte. Vor 100 Jahren mag die SPD die arbeitenden Massen aus der Verelendung geführt haben, heute findet man nicht mal mehr den Ausgang im Kanzleramt. Viele Arbeiter in prekären Beschäftigungsverhältnissen wählen schon lange AfD, die intellektuellen Ex-Spontis schon seit Jahren die Grünen. Wer bleibt da noch für die SPD?

E-Mail: marian.ristow@ rhein-zeitung.net

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