Steigende Energiekosten lassen keinen kalt
Viele Verbraucher verzweifeln: Was kommt auf uns zu?

Horrende Gas-, Öl- und Strompreise schaffen stark verunsicherte, verängstigte Verbraucher: „Was kommt da auf uns zu?“ Mit sieben Experten ging es in der Bretzenheimer Kronenberghalle um die Frage, wie man Energie und damit gutes Geld sparen kann – konkret in der Praxis und nicht bloß auf dem Papier.

Wartungsvertrag empfohlen: Damit lässt sich bei Heizungsanlagen gutes Geld sparen..
Stefan Munzlinger

Gastgeber der Gesprächsrunde mit Innungsober- und Kreishandwerksmeister Simon Henkel (Heizungsbau), Energiekostenberaterein der Verbraucherzentrale Antje Kahlheber, Stadtwerke-Vertriebschef Dirk Alsentzer, „Ofenfreund“ Günter Meurer, Jobcenter-Vize Jörg Schnadthorst, Schuldnerberater Carsten Stumpenhorst vom Diakonischen Werk und der Liga der Wohlfahrtsverbände und Gewobau-Chef Karl-Heinz Seeger war der SPD-Kreisverband um Vorsitzenden Michael Simon und Diskussionsabend-Initiatorin und Moderatorin Daniela Bartkus-Börder.

Carsten Stumpenhorst, Diakon. Werk
Stefan Munzlinger

Rote Welterklärungen waren vor 25 Zuhörern, davon die Hälfte Parteimitglieder wie Carsten Pöksen, Oliver Kohl und Marianne Müller, nicht gefragt, aber Antworten und Tipps für Menschen, die kurz vor der winterlichen Heizperiode stehen und ihre finanziellen Belastungen erst langsam realisieren; auch weil die Jahresabrechnungen noch gar nicht eingetroffen sind. So landete die SPD mit ihrem Expertenforum einen inhaltlichen Volltreffer, der mit einem Internetforum wiederholt werden könnte, um weit mehr als die 25 Teilnehmer zu erreichen.

Denn: Die Leute mit ihren Sorgen alleine lassen? Das stärkt lediglich die Ränder und vergrößert den Frust auf die Politik. Energie, Heizen, Entgelte, Handwerkertermin, Förderung ... Überall sind das die bestimmenden Themen: „An jedem Zweiten, an dem ich im Sommer vorbeischwamm, hörte ich die Frage: Was machst du mit deiner Heizung?“, erinnerte sich Moderatorin Daniela Bartkus-Börder.

Günter Meurer, Ofenfreund KH
Meurer

Von mehr als 1000 unbearbeiteten E-Mails von Menschen mit Zahlungsproblemen bei den Energiekosten berichtete Beraterin Antje Kahlheber. Schon 2021 ging es los mit den Klassikern wie Wärmerpumpe, Fotovoltaik ...: Heute gehe es für viele nur noch ums wirtschaftliche Überleben. „Unsere Hotline glüht.“ Weinende und verzweifelte Menschen nach stark hochgesetzten monatlichen Abschlägen und steigenden Entgelten trotz Preisgarantie in den Verträgen.

Dramatisch: Eine Frau deutete sogar einen Suizid an. In der Strombranche gebe es reichlich schwarze Schafe, so Antje Kahlheber, die harte Zeiten befürchtet, weiter: „Bei uns ist die massive Strompreiserhöhung noch gar nicht angekommen.“ In der 300-Euro-Energiepauschale sieht sie eine Subventionierung des Kostensockels und fragt sich: „Wie kann man denen helfen, die es brauchen?“

Jörg Schnadthorst, Jobcenter KH
Stefan Munzlinger

Man stelle die Lieferung mit Strom und Gas sicher, erklärte Dirk Alsentzer für die Stadtwerke. Kämen neue Auflagen, wie die nun gekippte Gasumlage, müssten auch die Stadtwerke die Kosten für solche Vorgaben auf ihre Kunden umlegen. Ferner kämpfe man für eine von 19 auf 7 Prozent reduzierte Mehrwertsteuer auf Strom. „Wir sind auf das angewiesen, was unser Kunde verträgt.“ Man habe ja keinen Einblick in die Finanzlage jedes Einzelnen. Und Alsentzer wies auf die Möglichkeit eines Wärme-Contractings hin. Die Stadtwerke bieten diesen Service der Energielieferung und Heizungsorganisation an – sei es Vermietern oder Unternehmen.

„Wir haben die Sorge, dass die Menschen ihre Schulden nicht mehr loswerden“, sagte Carsten Stumpenhorst, der von der Energiepauschale (300 Euro) überhaupt nichts hält, weil sie auch an jene fließe, die sie nicht bräuchten: „Für die einen ist sie eine Frage der Existenz, für die anderen eine Frage des Livestyles.“ Andererseits sei es bürokratisch wohl zu aufwendig, eine Bedarfsprüfung für jeden privaten Haushalt anzustellen. In Baden-Württemberg sammelten Wohlfahrtsorganisationen die 300 Euro bei Menschen ein, die das Geld nicht brauchen.

Antje Kahlheber, Verbraucherzentrale
Stefan Munzlinger

Jetzt spürten auch die mittleren Einkommen die finanziellen Lasten, verschärft durch eine steigende Inflation. Das Jobcenter, seit drei Jahren im Krisenmodus und jetzt auch für die Ukraine-Flüchtlinge mit zuständig, sichere die Grundlagen von rund 10.000 Existenzen, informierte Jörg Schnadthorst, und das in Zeiten von Krieg, Pandemie, Inflation und explodierenden Preisen. Mit 38 Euro sind die Stromkosten in den Regelleistungen enthalten, „das wird nicht reichen“, so Schnadthorst. Permanent sind „Stromsparhelfer“ des Jobcenters in den Haushalten unterwegs. Auch er weiß, dass die Krise bei uns noch gar nicht richtig angekommen ist.

Sie sei es dann, wenn in Kürze die Abrechnungen kommen und Nachzahlungen anstehen. Wechsel zur Bad Kreuznacher Gewobau: Im Wohnungsbau seien die Konstanten zwischenzeitlich Variable, so Karl-Heinz Seeger. Deutschland könne keine Krise, man brauche einen Gas- und Strompreisdeckel, zuverlässige Förderrichtlinien, rechtzeitige Liquiditätshilfen und weniger Bürokratie.

Simon Henkel, Obermeister Heizungsbauer
Stefan Munzlinger

Ein dreistelliger Milliardenbetrag werde benötigt. Zur Marktlage des Wohnungsbaus befragt, betonte der Geschäftsführer: „Wir haben keinen Markt mehr.“ Heizungsbau-Experte Simon Henkel erinnerte an fünf Anfragen von Heizungsneukunden am Tag – damals, als Corona begann: „Sie haben sich bis heute vervierfacht.“ Lieferzeit für eine Wärmepumpe: sechs Monate. „Wir kommen bald in die Umsetzung“, sagte Henkel zur Situation im Handwerk mit Material-, Terminengpässen und vielerorts fehlendem Fachpersonal.

Und er brach eine Lanze für die Politik: Hätte man vor zehn Jahren die Energiepreise vorausschauend angehoben, um für Krisen der Zukunft gewappnet zu sein: „Wie hätte die Gesellschaft reagiert?“ Ja, die Klimaziele unterlägen einem ambitionierten und strammen Zeitplan, aber, so Innungsobermeister Simon Henkel optimistisch: „Wir können das schaffen.“ Von einem Auftragsboom bei Holzheizungen und Pellets sprach Günter Meurer, der in Bad Kreuznach und Bonn ansässig ist. Volle Urlaubskassen konnten zu Pandemiezeiten nicht geleert werden, das Geld werde anders investiert, etwa in die Heiztechnik.

Dirk Alsentzer, Kreuznacher Stadtwerke
Stefan Munzlinger

Ähnlich wie den förmlich überrannten Ofenbauern ergehe es der Sanitärbranche oder den Gartengestaltern. Dem Feinstaub im Ofenbau, einem Hauptkritikpunkt, könne man heute mit modernen Filtersystemen begegnen, reagierte Meurer auf die öffentliche Diskussion. „Deutschland kann sehr wohl Krise“, widersprach er Karl-Heinz Seeger und wies auf die finanziellen Schutzschirme des Bundes und der Länder hin. Vor ihm säßen auch Menschen, die eingestünden, die 300 Euro Energiepauschale nicht zu brauchen, stellte Meurer den Sinn der Förderung via Gießkanne infrage.

Für ihn positiv: Alleine durch die öffentliche Diskussion über die Energiethemen würden 6 bis 8 Prozent Energie gespart. Und er machte den Prozess der Gesetzgebung bis hin zur Realisierung an der Basis deutlich: Ab 2013 sei das Bundesemissionsschutzgesetz (Schadstoffausstoß bei Heizungsanlagen) diskutiert und 2015 verabschiedet worden – mit einem erlaubten Umsetzungszeitraum von neun Jahren bis 2024.

Karl-Heinz Seeger, Gewobau KH
Gewobau

Ergebnis: Nur die wenigsten Kunden seien 2015 gekommen, die Masse reagiere erst kurz vor Toreschluss. Was das dreifache Engpass-Problem (Material, Personal, Termine) am gestressten Markt noch verschärfen dürfte. Ein SPD'ler gab in der Runde jedoch zu bedenken: „Energiesparen muss man sich auch leisten können.“

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