Es hat im beschaulichen Kirner Land in den vergangenen Jahren kein einziges lokales Thema gegeben, bei dem so viele Menschen die Hallen füllten, um sich zu informieren und um – jawohl: politisch! – zu debattieren. Die neu gefassten Abwasserberechnungen sorgen schon Ende 2023 für geballten Zorn in den Gemeinden, der sich über das gesamte Frühjahr überall manifestiert, nirgends nachlässt.
Nachvollziehbar ist der Ärger, denn es wurden nun Abschlagsberechnungen verschickt, bei denen es den Kirner Landbewohnern die Nackenhaare aufstellt. Mehrere Hundert Euro mehr, die einfach mal so verlangt wurden, das sorgt für Wut. Und die Wut wird natürlich von der Angst gespeist, sich sein kleines Haus nicht mehr leisten zu können – für das man sich das ganze Leben lang den Buckel krummgeschafft hat. Hier kommen Existenzängste auf, und es ist nicht das bekannte Jammern um des Jammerns willen, hier ist echte Panik zu spüren.
Auswärtige Fehler und Ratschläge von oben
Bürgermeister Thomas Jung erkennt, dass es hier nicht mit den üblichen Beruhigungsfloskeln getan ist. Also beschließt er im März, mit Werkleiter Jochen Stumm in alle Dörfer zu fahren und mit den Bürgern zu diskutieren. In der Krisenkommunikation der VG-Verwaltung wird die Standardentschuldigung vorgebracht: Das beauftragte auswärtige Planungsbüro habe eben Mist gebaut, da sei es zu falschen Flächenaufnahmen gekommen.

Und es wird der in Krisen immer wieder gerne von der Administration vorgebrachte Verweis auf die Befehle beziehungsweise Ratschläge „von oben“ verwiesen. Mal ist es ein Mainzer Ministerium, mal die böse ADD in Trier – und mal ist es der Gemeinde- und Städtebund. Letzterer wird in Kirn vorgebracht: Man habe doch von Doktor Sowieso des rheinland-pfälzischen Städtebunds angeraten bekommen, bei der Gebührenerfassung mit wiederkehrendem Beitrag zu bleiben. Doch die Autorität des Doktor Sowieso hält in der Debatte nicht sehr lange. Denn die Bürgerinitiative Limbachtal bekommt vom Experten Friedrich Rohwer aus Andernach den Hinweis, dass zum einen der wiederkehrende Beitrag in keinem anderen Bundesland zur Abwasserberechnung verwendet werde, des Weiteren sei der Gemeinde- und Städtebund ein privater Verein und keine dem Bürgerwohl verpflichtete Behörde.
Bürger wollen nachvollziehbare Verbrauchsrechnung
Schon nach den ersten Debatten in den Dörfern der Verbandsgemeinde wird klar, dass die neue Entgeltsatzung nicht überleben wird. Es ist den Bürgern einfach schwer klarzumachen, warum man mit einem wiederkehrenden Beitrag Flächen für die Abwasserbeseitigung berechnen soll, auf denen man gar kein Abwasser produziert, weil eben kein Haus, kein Klo und kein Dach vorhanden ist. Wieso soll man für ein Grundstück bezahlen, auf dem der Regen einfach versickert? Eigentlich ist es logisch: Weil eine Kanalisation gebaut wurde, die Potenziale in Rechnung stellt. Der Bürger aber will nicht für Potenziale blechen, sondern für faktische Liter beziehungsweise Kubikmeter.
Was in den Veranstaltungen zu hören ist, das entspricht allerdings nicht nur der Kritik an den Abwasserentgelten. Es kommt immer wieder auf Plakaten oder in Wortbeiträgen zum Vorschein: Das Vertrauen in den Staat, in die administrative Führung, hat gewaltig abgenommen.
Kritische Diskussionen ohne Giftspritzerei
Wir besuchen mehrere Diskussions-Abende, und es ist bei allem Ärger sehr beeindruckend, wie sich die Bürger kritisch, keinesfalls bösartig artikulieren. Im Endeffekt setzt sich die Auffassung durch, dass man auf die fixen wiederkehrenden Beiträge verzichten sollte. Dagegen votieren CDU und FDP, witzigerweise. Denn sie bringen die Kritik vor, die man eigentlich von den Sozialdemokraten erwarten würde: Dass nämlich nun die Kanalkosten von Grundstückspotenzialen auf alle umgelegt würden, während der wiederkehrende Beitrag eben jenen abverlangt worden wäre, die große, unbebaute Grundstücke vorhalten.
Ob im Kirner Land nun der erhoffte Schmutzwasserfrieden einkehrt, bleibt abzuwarten. Die nächsten Rechnungen kommen bestimmt...