Bilanz Boehringer Ingelheim
Unsicherheit, aber keine Angst angesichts der US-Zölle
Am Standort Ingelheim beschäftigte das forschende Pharmaunternehmen Boehringer Ingelheim 2024 erstmals mehr als 10.000 Mitarbeiter. Die Gebäudeexpansion geht weiter.
Boehringer Ingelheim

Die Entwicklung von Arzneistoffen ist ein Hochrisikogeschäft. Aus 100 Ansätzen neuer Therapiekonzepte entsteht nur eine Registrierung und Marktzulassung. In diesem Spannungsfeld bewegt sich Boehringer Ingelheim. Jetzt kommt die Zolldebatte hinzu.

Als die Geschäftsleitung von Boehringer Ingelheim am Mittwoch bei der Jahrespressekonferenz zu den Medienvertretern sprach, stand eine unbekannte Größe unsichtbar im Raum: Was plant US-Präsident Donald Trump, wie stark werden die angedrohten Zölle das internationale Geschäft auch den Pharma-Riesen belasten? Die Antwort kam erst in der Nacht darauf und wird Unternehmensmaßnahmen verlangen.

Die Zahl erreichter Patienten steigt auf 66 Millionen

Doch zunächst überwogen die guten Nachrichten aus dem Geschäftsjahr 2024. Boehringer Ingelheim gab bekannt, dass die Zahl der mit seinen Medikamenten behandelten Patienten im Jahr 2024 auf 66 Millionen angestiegen ist. Dies entspricht einem Zuwachs von 8,0 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Die Entwicklung der aktuellen Produktpipeline verlaufe planmäßig, während das Unternehmen eine Reihe neuer Medikamenteneinführungen ab 2025 vorbereitet. Die Investitionen in Forschung und Entwicklung (F&E) stiegen auf 6,2 Milliarden Euro, was 23,2 Prozent des Konzernumsatzes ausmacht. Auch dieser wuchs im Berichtszeitraum: um 6,1 Prozent auf 26,8 Milliarden Euro.

„Da unsere aktuelle Pipeline weiter reift und mehr Produkte sich einer möglichen Markteinführung nähern, sind wir in eine entscheidende Phase hoher Investitionen eingetreten“, sagte Hubertus von Baumbach, Vorsitzender der Unternehmensleitung. „Nun kommt es darauf an, dass wir jede Gelegenheit nutzen, um diese neuen Behandlungen so schnell wie möglich zu den Patienten zu bringen – das hat für uns oberste Priorität.“

Jardiance und Ofev sind milliardenschwere Bestseller

Der Umsatz im Bereich Human Pharma stieg um 7 Prozent auf 21,9 Milliarden Euro, angeführt von den Medikamenten Jardiance und Ofev. Allein der Umsatz von Jardiance, das neben Typ-2-Diabetes und Herzinsuffizienz nun auch zur Behandlung von chronischer Nierenerkrankung zugelassen ist, stieg um 14,6 Prozent auf 8,4 Milliarden Euro. Ofev, das zur Behandlung der idiopathischen Lungenfibrose und weiterer Lungenerkrankungen eingesetzt wird, wuchs um 8,9 Prozent auf 3,8 Milliarden Euro.

Die USA nannte Baumbach „sehr, sehr relevant für unseren Markt“. Dort werden 45 Prozent des globalen Pharmamarktes abgewickelt. Boehringer Ingelheim habe „seine Hausaufgaben gemacht“, auch wenn es bislang noch nie Sonderzölle auf Pharmaprodukte gegeben habe. Man wolle „das Grundrauschen abwarten“ und sich auf sich selbst verlassen. Konkret bedeutet dies, dass Lieferketten beispielsweise in den USA regionalisiert werden sollen, um zum Beispiel Jardiance direkt dort herzustellen, und auf den Markt zu bringen. Einige Unsicherheit herrscht angesichts der Entlassungen bei den US-Gesundheits- und Zulassungsbehörden durch die Trump-Administration.

Forschung und Entwicklung garantieren den Markterfolg.
Boehringer Ingelheim

Die Forschungspipeline im Bereich Human Pharma umfasse mehr als zehn neue Phase-II- und Phase-III-Studien, schilderte Paola Casarosa als „Innovation Unit-Leiterin“ auf Vorstandsebene. Diese starten in den kommenden zwölf bis 18 Monaten und sollen in den nächsten fünf Jahren zu einer Reihe bedeutender Markteinführungen beitragen. Die Aufwendungen für Forschung und Entwicklung im Bereich Human Pharma stiegen auf 5,7 Milliarden Euro oder 27,6 Prozent des Nettoumsatzes des Geschäftsbereichs.

„In den zurückliegenden fünf Jahren hat Boehringer Ingelheim rund 25 Milliarden Euro in die Forschung und Entwicklung im Bereich Human Pharma investiert“, sagte Frank Hübler, Mitglied der Unternehmensleitung mit Verantwortung für Finanzen. „Mit den Innovationen, die wir derzeit in unserer Pipeline haben, werden wir die Investitionen in Forschung und Entwicklung in den kommenden Jahren weiter erhöhen.“

Der Umsatz im Bereich Tiergesundheit stieg im Jahr 2024 um 1,9 Prozent auf 4,7 Milliarden Euro, was vor allem auf Haustier-Antiparasitika und -Therapeutik sowie Medikamente für Geflügel und Nutztiere zurückzuführen ist. Die Nexgard-Antiparasitika bauten ihre marktführende Position aus und wuchsen um 14 Prozent auf 1,3 Milliarden Euro. 2024 unterstützte Boehringer Ingelheim Landwirte und Behörden mit der schnellen Bereitstellung von Impfstoffen und technischer Hilfe bei Ausbrüchen grenzüberschreitender Tierkrankheiten wie der Vogelgrippe, dem Blauzungenvirus und der Maul- und Klauenseuche. Im weltweiten Programm „Stop Rabies“ zur Bekämpfung von Tollwut hat das Unternehmen 2024 rund 46 Millionen Dosen Tollwutimpfstoff bereitgestellt und Impfkampagnen in betroffenen Ländern unterstützt.

Forderungen nach politischen Anpassungen der Richtlinien

Die Geschäftsleitung erwartet, dass sich die übergreifenden Trends und Entwicklungen des Vorjahres auch 2025 auswirken werden und rechnet mit einem anhaltenden Anstieg der Zahl erreichter Patienten und einem leichten Anstieg des Umsatzes gegenüber dem Vorjahr. Die weltweit rund 54.500 Mitarbeiter bedienen mehr als 130 Märkte. Die Mitarbeiterzahl in Deutschland lag 2024 bei durchschnittliche 18.694 (plus 550), davon erstmals in Ingelheim mehr als 10.000; in Biberach sind es 7800 Beschäftigte.

Für umfassende Anpassungen des Arzneimittelmarktneuordnungsgesetzes (AMNOG) sprach sich erneut Fridtjof Traulsen aus. Er war seit 2024 Vorsitzender der Geschäftsführung der Boehringer Ingelheim Deutschland GmbH und gab dieses Amt aktuell an Gérard Schoenmackers weiter. Nötig seien „verlässliche Rahmenbedingungen für Preisverhandlungen und Investitionen“. Deutschland sei in Bezug auf klinische Studien quantitativ zurückgefallen, das Prüfungs- und Zulassungssystem sei nicht auf dem wissenschaftlichen Niveau von heute: „Es dauert auch alles viel zu lang – anders als etwa in den USA.“ Womit das Thema wieder im Raum stand: „Die Zolldiskussion ist ein Pulverfass für die Branche. Zölle werden das Preisniveau verändern.“

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