Eigentlich könnte sich Thomas Sponheimer aus Bad Sobernheim am letzten Bundesligaspieltag genüsslich zurücklegen und entspannt das letzte Saisonspiel „seines“ Vereins in Sinsheim im Fernseher oder am Radio verfolgen. Der FC Bayern München ist bereits Deutscher Fußballmeister und kann gegen die TSG Hoffenheim ruhig verlieren. Aber das wäre nicht Sponi, wie er von allen genannt wird. Der 55-Jährige wird wieder mitfiebern und bangen, fluchen oder jubeln – solange bis der Unparteiische die Partie abpfeift. So, wie es der Bad Sobernheimer seit rund 50 Jahren macht. Sponi lebt Bayern München und liebt den Verein über alles.
Dabei ist Thomas Sponheimer eher zufällig Fan des FC Bayern geworden. „Bei uns zu Hause lief die ,Sportschau’, gezeigt wurde ein Spiel der Bayern. Da hab ich beschlossen, Bayern-Fan zu werden“, erzählt er. Kein zündendes Erlebnis, kein Treffen mit einem Promi wie Gerd Müller oder Franz Beckenbauer. Sponi war damals fünf oder sechs Jahre alt. „Genau so gut hätte Waldhof Mannheim oder Mönchengladbach spielen können, dann wäre ich heute vielleicht Mannheim- oder Gladbach-Anhänger“, sagt er. Seine Mutter Magret hat ihren Sohn mit acht Jahren beim FC Bayern München als Mitglied angemeldet. „Sie hat gemerkt, wie verrückt ich war“, erzählt er. Von da an gab es kein Zurück mehr.

Heute wird Sponheimer als Mitglied Nummer 11.056 geführt – und das bei aktuell mehr als 400.000 Bayern-Mitgliedern. Jährlich sterben zwischen 500 und 600 Mitgliedern, sodass man automatisch weiter nach vorn rutscht. Irgendwann hat er keinen Mitgliedsausweis mehr zugeschickt bekommen. Das war Mitte 1993, sodass er nach einer Reklamation eine neue Mitgliedskarte bekommen hat – mit dem Eintrittsdatum 1. Juli 1993. Warum das wichtig ist? Laut Satzung muss Mitgliedern, deren Mitgliedsnummer unter 3000 liegt, bei einem Heimspiel ein Platz freigehalten werden. „Das will ich noch erreichen“, sagt Sponheimer.
Es sollte bis zum 26. November 1983 dauern, bis der Sobernheimer sein erstes Bayern-Spiel live erleben sollte. An diesem Tag gastierten die Bayern auf dem Betzenberg in Kaiserslautern. „Das war nicht einfach für mich. Alle Freunde und die Familie – das waren ja alles Lautern-Anhänger.“ Die Bayern gewannen 1:0 – „durch ein Tor von Klaus Augenthaler“, erinnert sich Sponheimer. Für Insider: Bayern Keeper Jean-Marie Pfaff hatte zehn Minuten zuvor einen Elfmeter von Andy Brehme pariert.

Nach diesem wegweisenden Ereignis sollten weitere Fahrten folgen. Der Kegelverein der Eltern – die Sobernheimer Burgherren – verlegte seine Jahresfahrt eigens nach Frankfurt. Der Grund: „Weil der FC Bayern an diesem Wochenende in Frankfurt gespielt hat, hab ich alle so lange genervt, bis die Kegler schließlich in die Mainmetropole gefahren sind.“ Und dann hatte Sponi das Glück, dass die Mutter seines Kumpels Matthias Schichtel ebenfalls fußballverrückt und darüber hinaus eine herzensgute Frau war. Gerda Schichtel hat die Jungs Mitte der 1980er-Jahre ein ums andere Mal zu Auswärtsspielen gefahren. Köln, Uerdingen, Frankfurt und Düsseldorf waren Ziele. Und immer gab’s belegte Brötchen und Frikadellen, die Gerda Schichtel zubereitet hatte. Und die gute Frau hat keineswegs nur als Fahrerin fungiert, sie ist immer auch mit ins Stadion gegangen. „Schade, dass sie vor einigen Jahren gestorben ist“, bedauert Sponheimer.

Abenteurlich verlief im April 1987 die Fahrt zum Europokalspiel der Landesmeister, Bayern München gegen Real Madrid. Kumpel Matthias Schichtel hatte sich für 800 Mark kurz zuvor sein erstes Auto gekauft. Mit einem grünen VW Scirocco ging es in die bayerische Landeshauptstadt. Mutter Sponheimer hatte ihren Sohn – ohne das Wissen von Vater Erwin – von der Schule beurlauben lassen, Ticktes waren für 7,50 Mark das Stück vorbestellt. „Das Auto hatte Sommerreifen drauf, die Scheibenwischanlage war kaputt. Und in München lag gefühlt ein halber Meter Schnee“, berichtet der 55-Jährige. Glücklich darüber, heil angekommen zu sein, wurden zunächst einige Biere getrunken. Offenbar zu viele, „denn zwei berittene Polizisten haben uns unsere Tickets abgenommen. Alkoholisierte durften nicht ins Stadion.“ Sponi und sein Kumpel waren nicht einfältig, wählten einen anderen Eingang und kauften sich neue Tickets – für 10 Mark die Karte. Die Bayern gewannen 4:1 – Lothar Matthäus gelangen an diesem Abend zwei Treffer – und zogen nach einem 0:1 im Rückspiel ins Endspiel ein. Das Finale allerdings wurde gegen FC Porto 1:2 verloren.

Viel tragischer – oder mindestens genau so tragisch – war für Sponheimer der Verlust seiner Fankutte. Seine Jeansjacke war mit zahlreichen Aufnähern verziert – alle von der Mutter aufgenäht. Bei einem Spiel gegen den Hamburger SV wurde er von drei bulligen HSV-Anhängern mächtig in die Mangel genommen. „Zwei haben mich festgehalten und mir meine Kutte ausgezogen, der Dritte hat sie angezündet und verbrannt.“ Solch eine Jacke wäre heute unbezahlbar“, sagt Sponi.

Weitaus erfreulicher war eine Begegnung der besonderen Art in Bad Kreuznach. 1988 war der FC Bayern zu einem Benefizspiel in die Kreisstadt gekommen. „Bei der Eintracht spielten damals Größen wie Volker Bohr, Karl Wilhelm oder Mario Spreitzer“, weiß Sponheimer noch. Der Bayern-Bus stand direkt am Moebus-Stadion. „In der Pause bin ich raus und habe Busfahrer Rudi Egerer getroffen. Er war so überrascht, dass ich ihn kannte, dass er mir den Bus gezeigt hat.“ Der Sobernheimer stieg ein, und drinnen saßen – „in feinster 80er-Jahre-Ballonseide – Lothar Matthäus und Andy Brehme“. Das sei schon ein besonderer Moment gewesen, sagt er. Eher zufällige Treffen mit dem damals verletzten Hamit Altintop in der VIP-Lounge in München, der Trainerlegende Hermann Gerland und dem Ex-Bayern-Sportdirektor Christian Nerlinger im Stadion werden Sponheimer ebenfalls immer in Erinnerung bleiben.

Eher im Herzen bleiben wird dem Bayern-Fan indes eine Geschichte mit seinem leider bereits verstorbenen Vater Erwin. Es war Anfang der 1990er-Jahre. Sponi wollte den letzten Bundesligaspieltag wie so oft in seinem Stammlokal „beim Ernschd – Wirt Ernst Endres – im Klein-Oberbayern“ schauen. Leider sei sein Vater nicht mitgekommen, was ungewöhnlich war. Erwin Sponheimer war während des Spiels der Bayern aber keineswegs untätig. Auf einem kleinen Anhänger platzierte er eine Bierzeltgarnitur, alles wurde mit bayrischen Utensilien dekoriert, Bier war kalt gestellt. Pünktlich um 17.15 Uhr fuhr Senior Sponheimer beim „Klein-Oberbayern“ vor und sammelte den Filius samt seiner Kumpels ein – zu einer Runde durch die Stadt. Ein zufällig vorbeikommendes Polizeiauto eskortierte die Fans mit Blaulicht bis zum Marktplatz. Dort feierte der Optiker Achtzehn gerade sein 25-jähriges Bestehen, so richtige Stimmung kam erst mit dem Eintreffen der Bayern-Fans auf. Und Eugen Iljen hat in seinem kleinen Laden dann spontan einen Schwung Meister-T-Shirts bedruckt und verteilt.

Sponi kann stundenlang Geschichten von und mit den Bayern erzählen – vom verlorenen „Finale dahoam“ 2012 gegen Chelsea, die regelmäßigen Treffen mit Michael Zeman, besser bekannt als Bayern Buschmann, dem Championsleague-Erfolg 2013 gegen Dortmund oder auch vom Lottogeschäft Schaaf in Sobernheim. Dort hat er montags und donnerstags den „Kicker“ gekauft, der stets für Sponi beiseitegelegt worden ist. Und natürlich von „Kaiser Franz“. Franz Beckenbauer ist und bleibt für Sponi „der Größte, er steht über allem“. Und während er das so sagt, merkt man ihm an, dass seine Emotionen sich in all den Jahrzehnten nicht verändert haben. Als die Bayern vor gefühlt 100 Jahren mal in Düsseldorf 1:7 verloren haben, hat Sponi tränenüberströmt in seinem Zimmer alle Bayern-Poster – seine Bude war damit zugepflastert – abgehängt. Eine Woche später hat er nach einem FCB-Sieg alle Bilder wieder feinsäuberlich an der Wand befestigt. Und so verwundert es auch nicht, dass Sponi, als die Meisterschaft 2024/25 feststand, wieder einmal mehr als ergriffen war. Eins ist sicher: Auch wenn Bayern schon Meister ist, der letzte Spieltag wird für ihn keineswegs entspannend.