Kolumne „Stadtgeschichte(n)“
So war es früher: Der Kreuznacher Stadtrat des Grauens
Den Kreuznacher Originalen wurde ein eigener Brunnen gewidmet. Karl Steiner hat ihn geschaffen. Am 19. Juli 1975 wurde der Brunnen, nach einer Ausführungszeit von nahezu eineinhalb Jahren, durch Oberbürgermeister Fink der Öffentlichkeit übergeben.
Marian Ristow

Historiker Martin Senner lässt in seiner Kolumne „Stadtgeschichte(n)“ die gute alte Zeit aufleben. Aber Vorsicht: Wer denkt, dass früher alles besser gewesen sei, der dürfte sich hier das ein oder andere Mal die Augen reiben.

Früher war alles besser. Der Stadtrat allemal. So etwa 1913, als das damals 24-köpfige Kommunalparlament nicht durch Masse überzeugte, sondern durch Klasse.

Als Ratsherren – Frauen waren nicht wählbar – keine profilneurotischen Parteisoldaten waren, sondern Männer von Format. Stadtbekannte Persönlichkeiten, klangvolle Namen: Aschoff und Alten, Henss und Harrach, Stöck und Seitz, Potthoff und… nein, kein Prieger mehr. 1848 hatte der Heilbad-Gründer zu den noch 18 „Stadtverordneten“ gezählt, in bewegten Zeiten. Trotzdem, oder eben drum, wird mancher Kreuznacher von 1913 wehmutsvoll der Bürgerrepräsentanten aus dem Revolutionsjahr gedacht haben. Hatten sie nicht Mannesmut vor Fürstenthronen bewiesen? Dass die Herren seinerzeit keineswegs unumstritten gewesen waren, deckte längst der Mantel des Vergessens.

Wohl Ende April 1848 – die einschlägige Nummer 8 des „Kreuznacher Kreis- und Intelligenzblatts“ hat sich nicht erhalten – veröffentlichte der Mehlhändler Johann Westenberger (Römerstraße 7) – er rückte wenig später in den Vorstand des liberale „Bürgervereins“ auf – einen „Aufsatz“, durch den „ein alter Stadtrath“ sich und seine Kollegen beleidigt sah. Was der Gekränkte sich ausgerechnet davon versprach, nun im „Kreuznacher Boten“ eine Paraphrase der kritischen „Sätze“ zu veröffentlichen, blieb sein Geheimnis. Wir Heutigen verdanken ihm jedenfalls ein Panorama bizarrer Figuren: „1) von Einem, der eine gerechte Bitte mit Füßen trete; 2) von einem Wirth, der um ein Glas Wein zu verzapfen Kreuznach verkaufe; 3) von einem über den Markt Gehenden, Niemand aufrichtig ansehen Könnenden, und einem Narren Aehnlichen; 4) von einem über den Markt gehenden Spannenlangen, aus Interesse“ – gemeint ist: Eigennutz – „Handelnden, einem Seelenverkäufer Aehnlichen; 5) von einem über die Brücke hinaus Gehenden, weder rechts noch links Sehenden, dem die Dummheit aus den Augen heraus schaue; 6) von einem der mit Mantel und Hut und Verstand im Kopfe durch die Schuhgasse gehe und dennoch der Dummste sei; 7) von Einigen die im Wirthshause heimliches Gericht halten und Leute verurtheilten.“ Mit Satz 6 dürfte Jacob Stüber (1791 bis 1856) gemeint gewesen sein, Ratsherr seit 1843. Was den Goldschmied aus der Schuhgasse 15 in Westenbergers Galerie gebracht hat – die Zeitgenossen werden es gewusst haben.

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